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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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indeß noch keine erhebliche Ausdehnung erlangt und ihre Geschäfte meist erst
vor Kurzem begonnen haben.

Bei allen diesen Gesellschaften sind von den siebenzig Millionen
Deutschen nur 400.841 Personen mit 378,697,688 Thaler eingetreten; mit¬
hin kommen auf den Kopf nur 946 Thaler. Die Einnahmen an Prämien
und Zinsen betrugen im Jahre 1868 nur 16,245,912 Thaler und die Sterbe¬
fallzahlungen 5,632,741 Thaler.

Wie gering ist diese Betheiligung in Betracht der 70 Millionen Ein¬
wohner? zumal da doch zahlreiche Familien sofort in die drückendsten Ver¬
hältnisse gerathen, wenn beim Absterben des Vaters die Versicherungsgesell¬
schaften nicht helfend eintreten. Wie gering ist überhaupt die Kenntniß von
dieser Sicherung der Wohlfahrt bei den mittleren Ständen sowohl in den
Städten, wie auf dem Lande? Wie oft hindern die lästigen Bedingungen,
welche noch vielfach an den Eintritt gestellt sind, die Möglichkeit der Ver¬
sicherung! Und gehört nicht die Ausbreitung der Lebens- und Altersversorg¬
ungsanstalten, welche dem Manne bei abnehmenden Kräften eine Rente
sichern, die hinreicht, um den Rest des Lebens ohne leibliche Noth fristen zu
können, zu den Hauptbedürfnissen der Gegenwart? Frankreich zählt nur
35 Millionen Einwohner, mithin kaum die Hälfte von Deutschland, und
doch ist hier die doppelte Anzahl von Menschen (über 800,000), bei den
Lebensversicherungen betheiligt.

Die Geschichte der englischen Lebensversicherungsgesellschaften erweist eine
noch ungleich größere Betheiligung des Publikums. Freilich hat dasselbe in
Bezug auf die Solidität dieser Gesellschaften höchst betrübende Erfahrungen
gemacht. Es bestehen gegenwärtig immer noch 150 Lebensversicherungsan¬
stalten, sogenannte registrirte Joint-Stocks Compagnien und mehr als
10,000 kleinere Vereine unter der Benennung ^rienäl^ Looisties', welche
indeß nicht über Hundert Pfund Sterling auf den Todesfall zusichern.

In den letzten zwanzig Jahren sind in England überhaupt 250 Lebens¬
versicherungsgesellschaften, mit einem Grundcapital von 69 Millionen Pfund
Sterling gegründet worden; davon haben sich nicht weniger als 100 Gesell¬
schaften aufgelöst oder Bankerott gemacht. In diesem Jahre ist der neue
Bankerott von mehreren Gesellschaften hinzugekommen, unter welchen die
seit 1839 gegründete "Albert" die größte und umfangreichste ist. Die
Zahlungseinstellung dieser ^ssurtweö Ooinxau/ hält die Gemüther in fast
fieberhafter Aufregung über die extravagante und unvorsichtige Geschäfts¬
führung, wie über die vielen sowohl in Deutschland wie in England zerstörten
Hoffnungen. Mit allem Recht arbeitet die Presse darauf hin: daß seit dem
Falliment des Bankhauses Owerend Gourney in London in der Geschäfts¬
welt nichts soviel Aufsehen erregt habe, als die Suspension der Gesellschaft


indeß noch keine erhebliche Ausdehnung erlangt und ihre Geschäfte meist erst
vor Kurzem begonnen haben.

Bei allen diesen Gesellschaften sind von den siebenzig Millionen
Deutschen nur 400.841 Personen mit 378,697,688 Thaler eingetreten; mit¬
hin kommen auf den Kopf nur 946 Thaler. Die Einnahmen an Prämien
und Zinsen betrugen im Jahre 1868 nur 16,245,912 Thaler und die Sterbe¬
fallzahlungen 5,632,741 Thaler.

Wie gering ist diese Betheiligung in Betracht der 70 Millionen Ein¬
wohner? zumal da doch zahlreiche Familien sofort in die drückendsten Ver¬
hältnisse gerathen, wenn beim Absterben des Vaters die Versicherungsgesell¬
schaften nicht helfend eintreten. Wie gering ist überhaupt die Kenntniß von
dieser Sicherung der Wohlfahrt bei den mittleren Ständen sowohl in den
Städten, wie auf dem Lande? Wie oft hindern die lästigen Bedingungen,
welche noch vielfach an den Eintritt gestellt sind, die Möglichkeit der Ver¬
sicherung! Und gehört nicht die Ausbreitung der Lebens- und Altersversorg¬
ungsanstalten, welche dem Manne bei abnehmenden Kräften eine Rente
sichern, die hinreicht, um den Rest des Lebens ohne leibliche Noth fristen zu
können, zu den Hauptbedürfnissen der Gegenwart? Frankreich zählt nur
35 Millionen Einwohner, mithin kaum die Hälfte von Deutschland, und
doch ist hier die doppelte Anzahl von Menschen (über 800,000), bei den
Lebensversicherungen betheiligt.

Die Geschichte der englischen Lebensversicherungsgesellschaften erweist eine
noch ungleich größere Betheiligung des Publikums. Freilich hat dasselbe in
Bezug auf die Solidität dieser Gesellschaften höchst betrübende Erfahrungen
gemacht. Es bestehen gegenwärtig immer noch 150 Lebensversicherungsan¬
stalten, sogenannte registrirte Joint-Stocks Compagnien und mehr als
10,000 kleinere Vereine unter der Benennung ^rienäl^ Looisties', welche
indeß nicht über Hundert Pfund Sterling auf den Todesfall zusichern.

In den letzten zwanzig Jahren sind in England überhaupt 250 Lebens¬
versicherungsgesellschaften, mit einem Grundcapital von 69 Millionen Pfund
Sterling gegründet worden; davon haben sich nicht weniger als 100 Gesell¬
schaften aufgelöst oder Bankerott gemacht. In diesem Jahre ist der neue
Bankerott von mehreren Gesellschaften hinzugekommen, unter welchen die
seit 1839 gegründete „Albert" die größte und umfangreichste ist. Die
Zahlungseinstellung dieser ^ssurtweö Ooinxau/ hält die Gemüther in fast
fieberhafter Aufregung über die extravagante und unvorsichtige Geschäfts¬
führung, wie über die vielen sowohl in Deutschland wie in England zerstörten
Hoffnungen. Mit allem Recht arbeitet die Presse darauf hin: daß seit dem
Falliment des Bankhauses Owerend Gourney in London in der Geschäfts¬
welt nichts soviel Aufsehen erregt habe, als die Suspension der Gesellschaft


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[0356] indeß noch keine erhebliche Ausdehnung erlangt und ihre Geschäfte meist erst vor Kurzem begonnen haben. Bei allen diesen Gesellschaften sind von den siebenzig Millionen Deutschen nur 400.841 Personen mit 378,697,688 Thaler eingetreten; mit¬ hin kommen auf den Kopf nur 946 Thaler. Die Einnahmen an Prämien und Zinsen betrugen im Jahre 1868 nur 16,245,912 Thaler und die Sterbe¬ fallzahlungen 5,632,741 Thaler. Wie gering ist diese Betheiligung in Betracht der 70 Millionen Ein¬ wohner? zumal da doch zahlreiche Familien sofort in die drückendsten Ver¬ hältnisse gerathen, wenn beim Absterben des Vaters die Versicherungsgesell¬ schaften nicht helfend eintreten. Wie gering ist überhaupt die Kenntniß von dieser Sicherung der Wohlfahrt bei den mittleren Ständen sowohl in den Städten, wie auf dem Lande? Wie oft hindern die lästigen Bedingungen, welche noch vielfach an den Eintritt gestellt sind, die Möglichkeit der Ver¬ sicherung! Und gehört nicht die Ausbreitung der Lebens- und Altersversorg¬ ungsanstalten, welche dem Manne bei abnehmenden Kräften eine Rente sichern, die hinreicht, um den Rest des Lebens ohne leibliche Noth fristen zu können, zu den Hauptbedürfnissen der Gegenwart? Frankreich zählt nur 35 Millionen Einwohner, mithin kaum die Hälfte von Deutschland, und doch ist hier die doppelte Anzahl von Menschen (über 800,000), bei den Lebensversicherungen betheiligt. Die Geschichte der englischen Lebensversicherungsgesellschaften erweist eine noch ungleich größere Betheiligung des Publikums. Freilich hat dasselbe in Bezug auf die Solidität dieser Gesellschaften höchst betrübende Erfahrungen gemacht. Es bestehen gegenwärtig immer noch 150 Lebensversicherungsan¬ stalten, sogenannte registrirte Joint-Stocks Compagnien und mehr als 10,000 kleinere Vereine unter der Benennung ^rienäl^ Looisties', welche indeß nicht über Hundert Pfund Sterling auf den Todesfall zusichern. In den letzten zwanzig Jahren sind in England überhaupt 250 Lebens¬ versicherungsgesellschaften, mit einem Grundcapital von 69 Millionen Pfund Sterling gegründet worden; davon haben sich nicht weniger als 100 Gesell¬ schaften aufgelöst oder Bankerott gemacht. In diesem Jahre ist der neue Bankerott von mehreren Gesellschaften hinzugekommen, unter welchen die seit 1839 gegründete „Albert" die größte und umfangreichste ist. Die Zahlungseinstellung dieser ^ssurtweö Ooinxau/ hält die Gemüther in fast fieberhafter Aufregung über die extravagante und unvorsichtige Geschäfts¬ führung, wie über die vielen sowohl in Deutschland wie in England zerstörten Hoffnungen. Mit allem Recht arbeitet die Presse darauf hin: daß seit dem Falliment des Bankhauses Owerend Gourney in London in der Geschäfts¬ welt nichts soviel Aufsehen erregt habe, als die Suspension der Gesellschaft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/356>, abgerufen am 22.07.2024.