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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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über das gewöhnliche Jahrescontingent des deutschen Dramas, über die
Schablonenstücke und jugendlichen Versuche stattlich hervorragt.

Es ist ein deutscher Stoff aus Ostfriesland, einer Landschaft, deren
eigenthümliche Vergangenheit noch wenig von unseren stoffsuchenden Poeten
ausgebeutet ist, Zeit: das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, die Periode,
in welcher die Charaktere der Menschen aus der alten epischen Starrheit
herauswachsen und in ihrer Empfindungsweise uns Modernen leichter ver¬
ständlich werden.

An dem vorliegenden Trauerspiel ist vor Allem zu rühmen, daß der
Verfasser für ein neues Stoffgebiet eine schöne, eigenthümliche Farbe gefunden
hat. Es wird hier sichtbar, welchen Gewinn unsere Geschichtswissenschaft
und der dadurch geschärfte historische Blick auch der charakterisirenden Poesie
bereitet. Ein altheimisches Geschlecht in patriarchalischer Herrschaft, friesischer
Baueradel in vortrefflicher Mischung von Hochmuth und Gemeinheit, von
trotzigem Sinn und kalter List; der niederdeutsche Charakter des Volkes und
der Landschaft, Alles warm und poetisch empfunden und nicht nur in der
Exposition, sondern durch das ganze Stück wirksam. Die Mitteltöne und
der Hintergrund des Dramas gehören zu dem besten, was seit langer Zeit
aus diesem Gebiete in Deutschland geschaffen worden.

Die poetische Idee des Stückes ist: der hochfahrende Herrscherstolz eines
starken Frauencharakters zerbricht Glück und Leben der eigenen Kinder.

Die Begebenheit ist in folgender Weise zu dramatischer Handlung dis-
ponirt:

I. Akt. 1. Scene. Schloß Aurich. Die beiden Töchter der Gräfin
Theta von Ostfneslcmd; die sanfte Gela liebt unglücklich einen Grafen von
Oldenburg, der vor Jahren als Gefangener im Schlosse gelebt hat; die
heftige, starke Almuth hält ihren Geliebten für treulos, einen westphälischen
Junker Engelmann von Horst, der im Hause der Gräfin erzogen,-mit dem
Kaiser einen Heerzug nach Italien gemacht hat, jetzt zurückgekehrt ist. --
Darauf Häuptlinge der Friesen, mißvergnügt über die Herrschaft der Gräfin;
sie höhnen den hergekommenen Günstling Engelmann. Die auftretende
Gräfin befiehlt einem derselben, Gerd von der Haide, ein Mädchen zu
heirathen, das er höflich verlassen hat. -- Engelmann's Versöhnung mit
Almuth, da er nur durch Gerd von der Haide verleumdet ist, Sorge Almuth's,
daß die Mutter nicht in die Verbindung willigen werde. -- Die Gräfin
trägt Engelmann auf, eine Flotte Seeräuber an der Küste zu tilgen und die
Raubnester der Hehler zu zerstören, sie verheißt guten Lohn. -- 2. Scene.
In Aurich. Verschwörungsgemurmel der Häuptlinge, Gerd, bedrängt durch
die Forderungen des Juden Jsaac, vertröstet diesen auf Heirath mit der
Tochter des reichen Häuptlings Omken.*


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über das gewöhnliche Jahrescontingent des deutschen Dramas, über die
Schablonenstücke und jugendlichen Versuche stattlich hervorragt.

Es ist ein deutscher Stoff aus Ostfriesland, einer Landschaft, deren
eigenthümliche Vergangenheit noch wenig von unseren stoffsuchenden Poeten
ausgebeutet ist, Zeit: das Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, die Periode,
in welcher die Charaktere der Menschen aus der alten epischen Starrheit
herauswachsen und in ihrer Empfindungsweise uns Modernen leichter ver¬
ständlich werden.

An dem vorliegenden Trauerspiel ist vor Allem zu rühmen, daß der
Verfasser für ein neues Stoffgebiet eine schöne, eigenthümliche Farbe gefunden
hat. Es wird hier sichtbar, welchen Gewinn unsere Geschichtswissenschaft
und der dadurch geschärfte historische Blick auch der charakterisirenden Poesie
bereitet. Ein altheimisches Geschlecht in patriarchalischer Herrschaft, friesischer
Baueradel in vortrefflicher Mischung von Hochmuth und Gemeinheit, von
trotzigem Sinn und kalter List; der niederdeutsche Charakter des Volkes und
der Landschaft, Alles warm und poetisch empfunden und nicht nur in der
Exposition, sondern durch das ganze Stück wirksam. Die Mitteltöne und
der Hintergrund des Dramas gehören zu dem besten, was seit langer Zeit
aus diesem Gebiete in Deutschland geschaffen worden.

Die poetische Idee des Stückes ist: der hochfahrende Herrscherstolz eines
starken Frauencharakters zerbricht Glück und Leben der eigenen Kinder.

Die Begebenheit ist in folgender Weise zu dramatischer Handlung dis-
ponirt:

I. Akt. 1. Scene. Schloß Aurich. Die beiden Töchter der Gräfin
Theta von Ostfneslcmd; die sanfte Gela liebt unglücklich einen Grafen von
Oldenburg, der vor Jahren als Gefangener im Schlosse gelebt hat; die
heftige, starke Almuth hält ihren Geliebten für treulos, einen westphälischen
Junker Engelmann von Horst, der im Hause der Gräfin erzogen,-mit dem
Kaiser einen Heerzug nach Italien gemacht hat, jetzt zurückgekehrt ist. —
Darauf Häuptlinge der Friesen, mißvergnügt über die Herrschaft der Gräfin;
sie höhnen den hergekommenen Günstling Engelmann. Die auftretende
Gräfin befiehlt einem derselben, Gerd von der Haide, ein Mädchen zu
heirathen, das er höflich verlassen hat. — Engelmann's Versöhnung mit
Almuth, da er nur durch Gerd von der Haide verleumdet ist, Sorge Almuth's,
daß die Mutter nicht in die Verbindung willigen werde. — Die Gräfin
trägt Engelmann auf, eine Flotte Seeräuber an der Küste zu tilgen und die
Raubnester der Hehler zu zerstören, sie verheißt guten Lohn. — 2. Scene.
In Aurich. Verschwörungsgemurmel der Häuptlinge, Gerd, bedrängt durch
die Forderungen des Juden Jsaac, vertröstet diesen auf Heirath mit der
Tochter des reichen Häuptlings Omken.*


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/35>, abgerufen am 22.07.2024.