Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.Es war unter solchen Umständen höchst begreiflich, daß die ersten Verhand¬ Noch vor dem Schluß der General-Debatte über die Kreisordnung, Seit der detaillirteren Auseinandersetzung des Camphausenschen Finanz¬ Es war unter solchen Umständen höchst begreiflich, daß die ersten Verhand¬ Noch vor dem Schluß der General-Debatte über die Kreisordnung, Seit der detaillirteren Auseinandersetzung des Camphausenschen Finanz¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0286" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/122041"/> <p xml:id="ID_780"> Es war unter solchen Umständen höchst begreiflich, daß die ersten Verhand¬<lb/> lungen über die Kreisordnung wesentlich von der Stellung beeinflußt waren,<lb/> welche die Demokratie und die Mittelparteien zu der Regierung überhaupt<lb/> einnehmen. Wenn man sich auch nicht principiell gegen jede Annahme der<lb/> vom Minister des Innern eingebrachten Vorlage entschieden hatte, so mußte<lb/> man sich doch sagen, daß bei der zweifellosen Verwerfung der Vorlagen,<lb/> auf welche die Thronrede das höchste Gewicht gelegt hatte, die amendirte<lb/> Annahme eines Gesetzes nicht im Stande sein werde, die Lage zu ver¬<lb/> bessern. Und daß die Rücksicht auf den allgemeinen Charakter der inneren<lb/> preußischen Politik bei der Behandlung jeder einzelnen Bill erheblich mit¬<lb/> spricht, bestätigt jeder neue Tag — daß diese Rücksicht mitsprechen muß. ist<lb/> die erste und nächste Folge der noch immer prekären Umstände des preu¬<lb/> ßischen Verfassnngslebens. der Hauptgrund dafür, daß jede Debatte, mag sie<lb/> sich auch um die einfachsten technischen Fragen drehen, den Charakter eines<lb/> Principienstreits annimmt.</p><lb/> <p xml:id="ID_781"> Noch vor dem Schluß der General-Debatte über die Kreisordnung,<lb/> grade in dem Augenblick, wo die Verstimmung über die traurigen Aspekten<lb/> der Session diese zu verdüstern und ein engeres Verhältniß der National¬<lb/> liberalen zur Fortschrittspartei zu prognosticiren schien, trat Herr<lb/> v. d. Heydt zurück, um dem bisherigen Präsidenten der Seehandlung Platz<lb/> zu machen. Noch bevor Herr Otto Camphausen dem Hause sein Programm<lb/> vorgelegt hatte, wußte man, daß der Schwerpunkt der Session aus den Vor¬<lb/> lagen des Grafen Eulenburg in die Finanzangelegenheiten verlegt sei. Die<lb/> Deckung des Deficits wurde wiederum zu einer Frage, was sie, so lange es<lb/> sich um die Heydt'schen Pläne gehandelt hatte, nicht'gewesen war und gleich<lb/> die erste Rede, mit welcher der' Finanzminister vor das Haus trat, machte<lb/> nach allen Seiten den besten Eindruck; selbst die Fortschrittspartei zeigte<lb/> sich durch die Verheißung, daß eine Deckung ohne Steuerzuschlag in Aus¬<lb/> sicht genommen sei, freudig überrascht, zumal Herr Camphausen wiederholt<lb/> betonte, daß die Dauer seiner Amtsführung von dem Vertrauen der Volks¬<lb/> vertretung bestimmt sein werde.'</p><lb/> <p xml:id="ID_782" next="#ID_783"> Seit der detaillirteren Auseinandersetzung des Camphausenschen Finanz¬<lb/> planes hat die Situation sich wiederum verändert. Schon die ersten An¬<lb/> deutungen über die Wege, welche der neue Finanzminister zu gehen gedenkt,<lb/> sind von der Demokratie mit der Erklärung beantwortet worden, daß sie<lb/> ihm auf dieselbe nicht zu folgen im Stande sein werde. Mit einer Schlag¬<lb/> fertigkeit, die stark nach systematischer Opposition schmeckt, haben die Führer<lb/> der Fortschrittspartei schon gegenwärtig sagen zu können geglaubt, daß die<lb/> Consolidisation der 4- und 4V^procentigen Staatsschuld und die Beseitigung<lb/> der jährlichen Amortisationspflicht nicht sowohl den Interessen des Staates<lb/> und seiner Finanzen, als denen des Herrn Kriegsministers entsprechen werde,<lb/> der seine Hand sofort auf die disponibel gewordenen Fonds legen und in<lb/> den Stand gesetzt sein werde, noch ungenirter als bisher weiter zu wirth¬<lb/> schaften. Die Antwort, in welcher Herr Camphausen auf die Nothwendigkeit<lb/> hinwies, seinen Plan erst näherer Bekanntschaft und sodann der Kritik z»<lb/> unterwerfen, ist in der That die einzige, die den Herren gegeben werden<lb/> konnte. Die Rede des Abg. Löwe, unseres Erachtens die bedeutendste,<lb/> welche am zweiten Tage gehalten worden, stand zu dem Camphausen'schen<lb/> Plane nur scheinbar in directer Beziehung, im Wesentlichen hatte sie es<lb/> nur mit einer Kritik der früheren Verwaltung zu thun; die dieser nachge¬<lb/> wiesene Unzuverlässigkeit rechtfertigt wohl das'Verlangen nach einer genaueren<lb/> Controle der Volksvertretung, hat mit der Sache selbst aber Nichts zu</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0286]
Es war unter solchen Umständen höchst begreiflich, daß die ersten Verhand¬
lungen über die Kreisordnung wesentlich von der Stellung beeinflußt waren,
welche die Demokratie und die Mittelparteien zu der Regierung überhaupt
einnehmen. Wenn man sich auch nicht principiell gegen jede Annahme der
vom Minister des Innern eingebrachten Vorlage entschieden hatte, so mußte
man sich doch sagen, daß bei der zweifellosen Verwerfung der Vorlagen,
auf welche die Thronrede das höchste Gewicht gelegt hatte, die amendirte
Annahme eines Gesetzes nicht im Stande sein werde, die Lage zu ver¬
bessern. Und daß die Rücksicht auf den allgemeinen Charakter der inneren
preußischen Politik bei der Behandlung jeder einzelnen Bill erheblich mit¬
spricht, bestätigt jeder neue Tag — daß diese Rücksicht mitsprechen muß. ist
die erste und nächste Folge der noch immer prekären Umstände des preu¬
ßischen Verfassnngslebens. der Hauptgrund dafür, daß jede Debatte, mag sie
sich auch um die einfachsten technischen Fragen drehen, den Charakter eines
Principienstreits annimmt.
Noch vor dem Schluß der General-Debatte über die Kreisordnung,
grade in dem Augenblick, wo die Verstimmung über die traurigen Aspekten
der Session diese zu verdüstern und ein engeres Verhältniß der National¬
liberalen zur Fortschrittspartei zu prognosticiren schien, trat Herr
v. d. Heydt zurück, um dem bisherigen Präsidenten der Seehandlung Platz
zu machen. Noch bevor Herr Otto Camphausen dem Hause sein Programm
vorgelegt hatte, wußte man, daß der Schwerpunkt der Session aus den Vor¬
lagen des Grafen Eulenburg in die Finanzangelegenheiten verlegt sei. Die
Deckung des Deficits wurde wiederum zu einer Frage, was sie, so lange es
sich um die Heydt'schen Pläne gehandelt hatte, nicht'gewesen war und gleich
die erste Rede, mit welcher der' Finanzminister vor das Haus trat, machte
nach allen Seiten den besten Eindruck; selbst die Fortschrittspartei zeigte
sich durch die Verheißung, daß eine Deckung ohne Steuerzuschlag in Aus¬
sicht genommen sei, freudig überrascht, zumal Herr Camphausen wiederholt
betonte, daß die Dauer seiner Amtsführung von dem Vertrauen der Volks¬
vertretung bestimmt sein werde.'
Seit der detaillirteren Auseinandersetzung des Camphausenschen Finanz¬
planes hat die Situation sich wiederum verändert. Schon die ersten An¬
deutungen über die Wege, welche der neue Finanzminister zu gehen gedenkt,
sind von der Demokratie mit der Erklärung beantwortet worden, daß sie
ihm auf dieselbe nicht zu folgen im Stande sein werde. Mit einer Schlag¬
fertigkeit, die stark nach systematischer Opposition schmeckt, haben die Führer
der Fortschrittspartei schon gegenwärtig sagen zu können geglaubt, daß die
Consolidisation der 4- und 4V^procentigen Staatsschuld und die Beseitigung
der jährlichen Amortisationspflicht nicht sowohl den Interessen des Staates
und seiner Finanzen, als denen des Herrn Kriegsministers entsprechen werde,
der seine Hand sofort auf die disponibel gewordenen Fonds legen und in
den Stand gesetzt sein werde, noch ungenirter als bisher weiter zu wirth¬
schaften. Die Antwort, in welcher Herr Camphausen auf die Nothwendigkeit
hinwies, seinen Plan erst näherer Bekanntschaft und sodann der Kritik z»
unterwerfen, ist in der That die einzige, die den Herren gegeben werden
konnte. Die Rede des Abg. Löwe, unseres Erachtens die bedeutendste,
welche am zweiten Tage gehalten worden, stand zu dem Camphausen'schen
Plane nur scheinbar in directer Beziehung, im Wesentlichen hatte sie es
nur mit einer Kritik der früheren Verwaltung zu thun; die dieser nachge¬
wiesene Unzuverlässigkeit rechtfertigt wohl das'Verlangen nach einer genaueren
Controle der Volksvertretung, hat mit der Sache selbst aber Nichts zu
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