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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Epitaph als eine unter Mitwirkung des jungen Hans Holbein entstandene
Arbeit aus der Augsburger Werkstatt, so kann man sich des Eindrucks nicht
erwehren, daß der obere Theil des Bildes (Gottvater mit dem Schwert der
Gerechtigkeit, umgeben von Chnstus, der die Brustwunde, und Maria, die
ihre Brust entblößt) die plumpe und gemeine Weise des alten Stiles wieder¬
gibt, wogegen die knieende Familie des Bürgermeisters weit feineren
Künstlersinn bekundet, eben den eines jungen Malers, der schon auf Mannig¬
faltigkeit in Zügen und Ausdruck der Physiognomien ausgeht. Was diese
Seite der Augsburgischen Schule ganz besonders charakterisirt, ist gutes
Studium und sorgfältige Ausführung der Gewänder in milden Tempera¬
farben; die Falten sind nicht so steif und eckig gebrochen, wie auf flämischen
Bildern. Diese Eigenschaft, welche an dem Schwarz'schen Epitaph deutlich
hervortritt, findet sich nun auch auf den sicherer beglaubigten Arbeiten Hans
Holbein's wieder. Ein anderes Merkmal der Jugendwerke des Meisters
bildet die Schwulst in der Zeichnung der Hände, eine Jncorrectheit, welche
wieder die authentischere Madonna von Schnitter-Hug mit unserem Epitaph
gemein hat.

Woltmann scheint das Nichtige zu treffen, indem er jenes kleine Bild
in Se. Gallen ungefähr in das Jahr 1S13 setzt. Der damals 17- oder
18jährige Holbein bewegte sich noch in dem Vorstellungskreise, der den alter¬
thümlichen Künstlern eigen war. Das Jesuskind, wie es im Kissen auf
einem Simse sitzend mit dem Rosenkranz spielt, ist unverkennbar einem
archaischen stabilen Typus nachgebildet; seine sroschähnliche Bewegung ganz
wie bei den Niederländern und Deutschen des Is. Jahrhunderts, während
die dahinterstehende Mutter, die dem Knaben ein Stück Obst reicht, aber
Wie in Gedanken entrückt ist, schon sanftere und modernere Auffassung zeigt.
Charakteristisch für den Meister sind die kräftig braunen Schatten und die
schmelzende Weichheit, womit er sie in die gelben Lichter vertrieben hat.
Von völlig neuem Geschmack und vortrefflich in ihrer Art ist die Marmor¬
bekleidung des Hintergrundes mit ihrem Karnieß und dem Ornament von
Genien und Medaillons. Ob Holbein berechtigt war, das Motto "LarM
aliHuis cieius <man imitadiwr" ("Tadeln ist leichter als nachmachen") auf
den Master zu schreiben, lassen wir gleichwohl so lange dahingestellt, bis er¬
wiesen ist, daß er diesen dünkelhaften Spruch selbst dort angebracht hat. Jedenfalls
sticht er sehr ungünstig von der Bescheidenheit ab, womit der große Johann
van Eyck sich in all seiner Unübertrefflichkeit mit seinem schlichten "^1s iKK
Kau" begnügte. Zu Ehren Holbein's ist es nicht unwahrscheinlich, daß wir
als Verfasser jenes Mottos den nämlichen unbekannten Gönner anzusehen
haben, der die fernere classische Inschrift des Bildes "lOll^RLS. HOI^M.
IX. ^.VSVLI^.. LIUM^I." (sie) lieferte. Auch anderweit ist das Werk


Epitaph als eine unter Mitwirkung des jungen Hans Holbein entstandene
Arbeit aus der Augsburger Werkstatt, so kann man sich des Eindrucks nicht
erwehren, daß der obere Theil des Bildes (Gottvater mit dem Schwert der
Gerechtigkeit, umgeben von Chnstus, der die Brustwunde, und Maria, die
ihre Brust entblößt) die plumpe und gemeine Weise des alten Stiles wieder¬
gibt, wogegen die knieende Familie des Bürgermeisters weit feineren
Künstlersinn bekundet, eben den eines jungen Malers, der schon auf Mannig¬
faltigkeit in Zügen und Ausdruck der Physiognomien ausgeht. Was diese
Seite der Augsburgischen Schule ganz besonders charakterisirt, ist gutes
Studium und sorgfältige Ausführung der Gewänder in milden Tempera¬
farben; die Falten sind nicht so steif und eckig gebrochen, wie auf flämischen
Bildern. Diese Eigenschaft, welche an dem Schwarz'schen Epitaph deutlich
hervortritt, findet sich nun auch auf den sicherer beglaubigten Arbeiten Hans
Holbein's wieder. Ein anderes Merkmal der Jugendwerke des Meisters
bildet die Schwulst in der Zeichnung der Hände, eine Jncorrectheit, welche
wieder die authentischere Madonna von Schnitter-Hug mit unserem Epitaph
gemein hat.

Woltmann scheint das Nichtige zu treffen, indem er jenes kleine Bild
in Se. Gallen ungefähr in das Jahr 1S13 setzt. Der damals 17- oder
18jährige Holbein bewegte sich noch in dem Vorstellungskreise, der den alter¬
thümlichen Künstlern eigen war. Das Jesuskind, wie es im Kissen auf
einem Simse sitzend mit dem Rosenkranz spielt, ist unverkennbar einem
archaischen stabilen Typus nachgebildet; seine sroschähnliche Bewegung ganz
wie bei den Niederländern und Deutschen des Is. Jahrhunderts, während
die dahinterstehende Mutter, die dem Knaben ein Stück Obst reicht, aber
Wie in Gedanken entrückt ist, schon sanftere und modernere Auffassung zeigt.
Charakteristisch für den Meister sind die kräftig braunen Schatten und die
schmelzende Weichheit, womit er sie in die gelben Lichter vertrieben hat.
Von völlig neuem Geschmack und vortrefflich in ihrer Art ist die Marmor¬
bekleidung des Hintergrundes mit ihrem Karnieß und dem Ornament von
Genien und Medaillons. Ob Holbein berechtigt war, das Motto „LarM
aliHuis cieius <man imitadiwr" („Tadeln ist leichter als nachmachen") auf
den Master zu schreiben, lassen wir gleichwohl so lange dahingestellt, bis er¬
wiesen ist, daß er diesen dünkelhaften Spruch selbst dort angebracht hat. Jedenfalls
sticht er sehr ungünstig von der Bescheidenheit ab, womit der große Johann
van Eyck sich in all seiner Unübertrefflichkeit mit seinem schlichten „^1s iKK
Kau" begnügte. Zu Ehren Holbein's ist es nicht unwahrscheinlich, daß wir
als Verfasser jenes Mottos den nämlichen unbekannten Gönner anzusehen
haben, der die fernere classische Inschrift des Bildes „lOll^RLS. HOI^M.
IX. ^.VSVLI^.. LIUM^I." (sie) lieferte. Auch anderweit ist das Werk


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[0026] Epitaph als eine unter Mitwirkung des jungen Hans Holbein entstandene Arbeit aus der Augsburger Werkstatt, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der obere Theil des Bildes (Gottvater mit dem Schwert der Gerechtigkeit, umgeben von Chnstus, der die Brustwunde, und Maria, die ihre Brust entblößt) die plumpe und gemeine Weise des alten Stiles wieder¬ gibt, wogegen die knieende Familie des Bürgermeisters weit feineren Künstlersinn bekundet, eben den eines jungen Malers, der schon auf Mannig¬ faltigkeit in Zügen und Ausdruck der Physiognomien ausgeht. Was diese Seite der Augsburgischen Schule ganz besonders charakterisirt, ist gutes Studium und sorgfältige Ausführung der Gewänder in milden Tempera¬ farben; die Falten sind nicht so steif und eckig gebrochen, wie auf flämischen Bildern. Diese Eigenschaft, welche an dem Schwarz'schen Epitaph deutlich hervortritt, findet sich nun auch auf den sicherer beglaubigten Arbeiten Hans Holbein's wieder. Ein anderes Merkmal der Jugendwerke des Meisters bildet die Schwulst in der Zeichnung der Hände, eine Jncorrectheit, welche wieder die authentischere Madonna von Schnitter-Hug mit unserem Epitaph gemein hat. Woltmann scheint das Nichtige zu treffen, indem er jenes kleine Bild in Se. Gallen ungefähr in das Jahr 1S13 setzt. Der damals 17- oder 18jährige Holbein bewegte sich noch in dem Vorstellungskreise, der den alter¬ thümlichen Künstlern eigen war. Das Jesuskind, wie es im Kissen auf einem Simse sitzend mit dem Rosenkranz spielt, ist unverkennbar einem archaischen stabilen Typus nachgebildet; seine sroschähnliche Bewegung ganz wie bei den Niederländern und Deutschen des Is. Jahrhunderts, während die dahinterstehende Mutter, die dem Knaben ein Stück Obst reicht, aber Wie in Gedanken entrückt ist, schon sanftere und modernere Auffassung zeigt. Charakteristisch für den Meister sind die kräftig braunen Schatten und die schmelzende Weichheit, womit er sie in die gelben Lichter vertrieben hat. Von völlig neuem Geschmack und vortrefflich in ihrer Art ist die Marmor¬ bekleidung des Hintergrundes mit ihrem Karnieß und dem Ornament von Genien und Medaillons. Ob Holbein berechtigt war, das Motto „LarM aliHuis cieius <man imitadiwr" („Tadeln ist leichter als nachmachen") auf den Master zu schreiben, lassen wir gleichwohl so lange dahingestellt, bis er¬ wiesen ist, daß er diesen dünkelhaften Spruch selbst dort angebracht hat. Jedenfalls sticht er sehr ungünstig von der Bescheidenheit ab, womit der große Johann van Eyck sich in all seiner Unübertrefflichkeit mit seinem schlichten „^1s iKK Kau" begnügte. Zu Ehren Holbein's ist es nicht unwahrscheinlich, daß wir als Verfasser jenes Mottos den nämlichen unbekannten Gönner anzusehen haben, der die fernere classische Inschrift des Bildes „lOll^RLS. HOI^M. IX. ^.VSVLI^.. LIUM^I." (sie) lieferte. Auch anderweit ist das Werk

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/26>, abgerufen am 22.07.2024.