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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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nöthigt, nach einem Rückhalt sich umzusehen. Es sucht ihn zunächst in den
durch den Verkehr verbundenen wie durch gemeinsame Einrichtungen und
gleiche Bildung verwandten Reichsstädten Süddeutschlands, insbesondere in
Straßburg, Mühlhausen, Ulm, Augsburg, Constanz. Zu Ende 1527 kam
ein förmliches Schutz- und Trutzbündniß zwischen Zürich und Constanz unter
dem Namen "Burgrecht" zu Stande. Am 6. Januar 1528 trat auch Bern
diesem Bündniß bei, ein entscheidender Schritt, durch welchen das Werk der
Reformation in der Schweiz als gesichert erscheinen konnte. An eine gewalt¬
same Unterdrückung des Evangeliums war seit der Verbindung Zürich's und
Bern's nicht mehr zu denken, denn beide zusammen waren allen katholischen
Cantonen überlegen. Es war die Folge dieses Bündnisses, daß Bern nun
auch der Verbindung mit Frankreich entsagte und nach dem Vorgang Zürich's
allen fremden Kriegsdienst verbot. Später traten auch Mühlhausen, Se.
Gallen, Viel dem Burgrecht bei.

Zwingli erscheint von nun an nicht blos als die Seele der schweizerischen
Reformation, dessen Vermittelung überall angerufen wird, wo es in Folge
der religiösen Bewegung zu Conflicten oder, wie dies in Bern und Basel
der Fall war, zu tumultuarischen Auftritten kam, sondern er erscheint vor
Allem als die Seele des Züricherischen Staatswesens. Kein politisches Ge¬
schäft wird ohne sein Vorwissen oder vielmehr ohne feine Leitung vorgenom¬
men. Je enger die religiöse Frage sich auf diesem Boden mit politischen
Motiven aller Art verband -- so empfanden es die Bergcantone deutlich,
wie sie durch die aufstrebenden Städtecantone aus ihrer bisherigen privile-
girten Stellung verdrängt werden sollten, um so natürlicher war es, daß der
Führer der ganzen Bewegung auch eine politisch einflußreiche Persönlichkeit
wurde. Auf sein Betreiben wird im Januar 1529 um die Leitung ver Ge¬
schäfte zu concentriren, ein "Geheimer Rath" mit ausgedehnten Vollmachten
eingesetzt. Er selbst erscheint als förmliches Mitglied dieses Raths, und ist
in Wirklichkeit der Regent von Zürich, der die übrigen Rathsherren, die
alle ohne Bedeutung gewesen zu sein scheinen, weit überragt. Seine Stellung
in dieser Zeit erinnert lebhaft an diejenige, welche 35 Jahre früher Savo-
narola in Florenz inne hatte. Und wenn auch in Zwingli, der gewisser¬
maßen der modernste unter den Reformatoren ist, kein Theil von dem mönchi¬
schen Fanatismus und der mystischen Ueberschwenglichkeit des Florentiners
war, so zeigte sich doch auch an ihm die bedenkliche Klippe jedes geist¬
lich-weltlichen Regiments. Man gewinnt doch den Eindruck, daß sein geist¬
licher Eiser ihn in eine Politik fortriß, welche das Gegengewicht bürger¬
licher Räthe, bedacht auf sorgsamere Wahrung von Einrichtungen und Rechts¬
zuständen, vermissen ließ. Schon im Anfang der Reformation war es ein
Zwingli vertrauter Gedanke gewesen: "die Kirche, wie sie durch Blut er-


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nöthigt, nach einem Rückhalt sich umzusehen. Es sucht ihn zunächst in den
durch den Verkehr verbundenen wie durch gemeinsame Einrichtungen und
gleiche Bildung verwandten Reichsstädten Süddeutschlands, insbesondere in
Straßburg, Mühlhausen, Ulm, Augsburg, Constanz. Zu Ende 1527 kam
ein förmliches Schutz- und Trutzbündniß zwischen Zürich und Constanz unter
dem Namen „Burgrecht" zu Stande. Am 6. Januar 1528 trat auch Bern
diesem Bündniß bei, ein entscheidender Schritt, durch welchen das Werk der
Reformation in der Schweiz als gesichert erscheinen konnte. An eine gewalt¬
same Unterdrückung des Evangeliums war seit der Verbindung Zürich's und
Bern's nicht mehr zu denken, denn beide zusammen waren allen katholischen
Cantonen überlegen. Es war die Folge dieses Bündnisses, daß Bern nun
auch der Verbindung mit Frankreich entsagte und nach dem Vorgang Zürich's
allen fremden Kriegsdienst verbot. Später traten auch Mühlhausen, Se.
Gallen, Viel dem Burgrecht bei.

Zwingli erscheint von nun an nicht blos als die Seele der schweizerischen
Reformation, dessen Vermittelung überall angerufen wird, wo es in Folge
der religiösen Bewegung zu Conflicten oder, wie dies in Bern und Basel
der Fall war, zu tumultuarischen Auftritten kam, sondern er erscheint vor
Allem als die Seele des Züricherischen Staatswesens. Kein politisches Ge¬
schäft wird ohne sein Vorwissen oder vielmehr ohne feine Leitung vorgenom¬
men. Je enger die religiöse Frage sich auf diesem Boden mit politischen
Motiven aller Art verband — so empfanden es die Bergcantone deutlich,
wie sie durch die aufstrebenden Städtecantone aus ihrer bisherigen privile-
girten Stellung verdrängt werden sollten, um so natürlicher war es, daß der
Führer der ganzen Bewegung auch eine politisch einflußreiche Persönlichkeit
wurde. Auf sein Betreiben wird im Januar 1529 um die Leitung ver Ge¬
schäfte zu concentriren, ein „Geheimer Rath" mit ausgedehnten Vollmachten
eingesetzt. Er selbst erscheint als förmliches Mitglied dieses Raths, und ist
in Wirklichkeit der Regent von Zürich, der die übrigen Rathsherren, die
alle ohne Bedeutung gewesen zu sein scheinen, weit überragt. Seine Stellung
in dieser Zeit erinnert lebhaft an diejenige, welche 35 Jahre früher Savo-
narola in Florenz inne hatte. Und wenn auch in Zwingli, der gewisser¬
maßen der modernste unter den Reformatoren ist, kein Theil von dem mönchi¬
schen Fanatismus und der mystischen Ueberschwenglichkeit des Florentiners
war, so zeigte sich doch auch an ihm die bedenkliche Klippe jedes geist¬
lich-weltlichen Regiments. Man gewinnt doch den Eindruck, daß sein geist¬
licher Eiser ihn in eine Politik fortriß, welche das Gegengewicht bürger¬
licher Räthe, bedacht auf sorgsamere Wahrung von Einrichtungen und Rechts¬
zuständen, vermissen ließ. Schon im Anfang der Reformation war es ein
Zwingli vertrauter Gedanke gewesen: „die Kirche, wie sie durch Blut er-


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[0259] nöthigt, nach einem Rückhalt sich umzusehen. Es sucht ihn zunächst in den durch den Verkehr verbundenen wie durch gemeinsame Einrichtungen und gleiche Bildung verwandten Reichsstädten Süddeutschlands, insbesondere in Straßburg, Mühlhausen, Ulm, Augsburg, Constanz. Zu Ende 1527 kam ein förmliches Schutz- und Trutzbündniß zwischen Zürich und Constanz unter dem Namen „Burgrecht" zu Stande. Am 6. Januar 1528 trat auch Bern diesem Bündniß bei, ein entscheidender Schritt, durch welchen das Werk der Reformation in der Schweiz als gesichert erscheinen konnte. An eine gewalt¬ same Unterdrückung des Evangeliums war seit der Verbindung Zürich's und Bern's nicht mehr zu denken, denn beide zusammen waren allen katholischen Cantonen überlegen. Es war die Folge dieses Bündnisses, daß Bern nun auch der Verbindung mit Frankreich entsagte und nach dem Vorgang Zürich's allen fremden Kriegsdienst verbot. Später traten auch Mühlhausen, Se. Gallen, Viel dem Burgrecht bei. Zwingli erscheint von nun an nicht blos als die Seele der schweizerischen Reformation, dessen Vermittelung überall angerufen wird, wo es in Folge der religiösen Bewegung zu Conflicten oder, wie dies in Bern und Basel der Fall war, zu tumultuarischen Auftritten kam, sondern er erscheint vor Allem als die Seele des Züricherischen Staatswesens. Kein politisches Ge¬ schäft wird ohne sein Vorwissen oder vielmehr ohne feine Leitung vorgenom¬ men. Je enger die religiöse Frage sich auf diesem Boden mit politischen Motiven aller Art verband — so empfanden es die Bergcantone deutlich, wie sie durch die aufstrebenden Städtecantone aus ihrer bisherigen privile- girten Stellung verdrängt werden sollten, um so natürlicher war es, daß der Führer der ganzen Bewegung auch eine politisch einflußreiche Persönlichkeit wurde. Auf sein Betreiben wird im Januar 1529 um die Leitung ver Ge¬ schäfte zu concentriren, ein „Geheimer Rath" mit ausgedehnten Vollmachten eingesetzt. Er selbst erscheint als förmliches Mitglied dieses Raths, und ist in Wirklichkeit der Regent von Zürich, der die übrigen Rathsherren, die alle ohne Bedeutung gewesen zu sein scheinen, weit überragt. Seine Stellung in dieser Zeit erinnert lebhaft an diejenige, welche 35 Jahre früher Savo- narola in Florenz inne hatte. Und wenn auch in Zwingli, der gewisser¬ maßen der modernste unter den Reformatoren ist, kein Theil von dem mönchi¬ schen Fanatismus und der mystischen Ueberschwenglichkeit des Florentiners war, so zeigte sich doch auch an ihm die bedenkliche Klippe jedes geist¬ lich-weltlichen Regiments. Man gewinnt doch den Eindruck, daß sein geist¬ licher Eiser ihn in eine Politik fortriß, welche das Gegengewicht bürger¬ licher Räthe, bedacht auf sorgsamere Wahrung von Einrichtungen und Rechts¬ zuständen, vermissen ließ. Schon im Anfang der Reformation war es ein Zwingli vertrauter Gedanke gewesen: „die Kirche, wie sie durch Blut er- 32*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/259>, abgerufen am 25.06.2024.