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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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"Die Architectur bedarf für ihre höchsten Leistungen des Schmuckes, welchen
Sculptur und Malerei ihr bieten. Die architectonische Anlage muß darauf
berechnet sein, der Sculptur und Malerei Raum und Stätte für ihr Gebilde
zu schaffen, diese müssen den durch die Baulichkeit gebotenen Raum als die
nothwendige Bedingung ihrer Conceptionen ansehen; das Giebelfeld, die
Metope. das Deckengewölbe, die Lünette sind nicht frei gewählte Begrenzungen
der Composition, sondern durch die Nothwendigkeit gebotene. Der Bild¬
hauer modificirt seinen Stil, um seine Gebilde mit dem Charakter der Architectur
in Einklang zu bringen, der Maler weiß selbst da, wo ihm die Flächen
großer Wände eine Selbständigkeit geben, die ihn weit über die eigentliche
Ornamentik hinaushebt, durch Composition und Farbenton die Beziehung
auf das Ganze hervortreten zu lassen. Unzweifelhaft ist die Architectur mit
ihren strengen Gesetzen und festen Formen maßgebend; allein wer könnte
den Gedanken fassen, daß Phidias in den Sculpturen des Parthenon, Rafael
in den Loggien des Vatican dem Architecten Unterthan, die Freiheit und
Selbständigkeit künstlerischer Erfindung und Darstellung aufgegeben hätte?
Das Verhalten der Poesie und Musik im musikalischen Drama ist kein anderes."

Vortrefflich reiht sich daran, was Jahr in dem mit so viel Liebe geschrie¬
benen Aussatze über Ludwig Richter über die Grenzen der Poesie und Malerei,
auch nach Lessing noch wenig bekannt und noch weniger beherzigt, sagt.

Immer und überall tritt uns der reife, allseitig gebildete Kunstforscher
entgegen, der sich nicht mit dem Zusammenstellen einzelner Beobachtungen
und abgezogener Vorstellungen, wie etwa der geistreiche Kenner begnügt,
sondern gewissenhaft den allgemeinen Gesetzen nachspürt, stets auf die grund¬
legenden Begriffe zurückgeht. So darf man wohl sagen, was Jahr über
Musik schrieb, war nicht allein für Musiker geschrieben, wie er über die
Musik schrieb, so und nicht anders hätte, er auch über die Werke der antiken
Kunst schreiben können, schreiben müssen. Der Gegenstand wechselte und mit
dem Gegenstand trat natürlich auch ein anderer Jdeenkreis in den Vorder¬
grund. Aber die Art, wie er mit den Ideen operirte, wie er den Gegenstand
auffaßte und behandelte: die Methode war und blieb die gleiche, sie war
wenigstens für Jahr stets die gleiche. Wenn mit Recht von ihm gerühmt
wird, daß er die philologische Methode im Kreise der Archäologie, welcher
Wissenschaft er namentlich auf Emil Braun's freundlichen Zuspruch seit 1841
seine Kräfte vorzugsweise widmete, in deren Pflege er seine wichtigste Lebens¬
aufgabe erkannte, vor Vielen anderen eingebürgert habe -- die archäologischen
Seminare mit einer den bewährten philologischen Seminaren nachgebildeten
Einrichtung hat er zuerst in Deutschland begründet -- so wissen wir aus
seinem eigenen Munde, daß er philologische Methode und philologische Kritik
auch in der musikalischen Literatur auf das dringendste empfahl und an einem


„Die Architectur bedarf für ihre höchsten Leistungen des Schmuckes, welchen
Sculptur und Malerei ihr bieten. Die architectonische Anlage muß darauf
berechnet sein, der Sculptur und Malerei Raum und Stätte für ihr Gebilde
zu schaffen, diese müssen den durch die Baulichkeit gebotenen Raum als die
nothwendige Bedingung ihrer Conceptionen ansehen; das Giebelfeld, die
Metope. das Deckengewölbe, die Lünette sind nicht frei gewählte Begrenzungen
der Composition, sondern durch die Nothwendigkeit gebotene. Der Bild¬
hauer modificirt seinen Stil, um seine Gebilde mit dem Charakter der Architectur
in Einklang zu bringen, der Maler weiß selbst da, wo ihm die Flächen
großer Wände eine Selbständigkeit geben, die ihn weit über die eigentliche
Ornamentik hinaushebt, durch Composition und Farbenton die Beziehung
auf das Ganze hervortreten zu lassen. Unzweifelhaft ist die Architectur mit
ihren strengen Gesetzen und festen Formen maßgebend; allein wer könnte
den Gedanken fassen, daß Phidias in den Sculpturen des Parthenon, Rafael
in den Loggien des Vatican dem Architecten Unterthan, die Freiheit und
Selbständigkeit künstlerischer Erfindung und Darstellung aufgegeben hätte?
Das Verhalten der Poesie und Musik im musikalischen Drama ist kein anderes."

Vortrefflich reiht sich daran, was Jahr in dem mit so viel Liebe geschrie¬
benen Aussatze über Ludwig Richter über die Grenzen der Poesie und Malerei,
auch nach Lessing noch wenig bekannt und noch weniger beherzigt, sagt.

Immer und überall tritt uns der reife, allseitig gebildete Kunstforscher
entgegen, der sich nicht mit dem Zusammenstellen einzelner Beobachtungen
und abgezogener Vorstellungen, wie etwa der geistreiche Kenner begnügt,
sondern gewissenhaft den allgemeinen Gesetzen nachspürt, stets auf die grund¬
legenden Begriffe zurückgeht. So darf man wohl sagen, was Jahr über
Musik schrieb, war nicht allein für Musiker geschrieben, wie er über die
Musik schrieb, so und nicht anders hätte, er auch über die Werke der antiken
Kunst schreiben können, schreiben müssen. Der Gegenstand wechselte und mit
dem Gegenstand trat natürlich auch ein anderer Jdeenkreis in den Vorder¬
grund. Aber die Art, wie er mit den Ideen operirte, wie er den Gegenstand
auffaßte und behandelte: die Methode war und blieb die gleiche, sie war
wenigstens für Jahr stets die gleiche. Wenn mit Recht von ihm gerühmt
wird, daß er die philologische Methode im Kreise der Archäologie, welcher
Wissenschaft er namentlich auf Emil Braun's freundlichen Zuspruch seit 1841
seine Kräfte vorzugsweise widmete, in deren Pflege er seine wichtigste Lebens¬
aufgabe erkannte, vor Vielen anderen eingebürgert habe — die archäologischen
Seminare mit einer den bewährten philologischen Seminaren nachgebildeten
Einrichtung hat er zuerst in Deutschland begründet — so wissen wir aus
seinem eigenen Munde, daß er philologische Methode und philologische Kritik
auch in der musikalischen Literatur auf das dringendste empfahl und an einem


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[0214] „Die Architectur bedarf für ihre höchsten Leistungen des Schmuckes, welchen Sculptur und Malerei ihr bieten. Die architectonische Anlage muß darauf berechnet sein, der Sculptur und Malerei Raum und Stätte für ihr Gebilde zu schaffen, diese müssen den durch die Baulichkeit gebotenen Raum als die nothwendige Bedingung ihrer Conceptionen ansehen; das Giebelfeld, die Metope. das Deckengewölbe, die Lünette sind nicht frei gewählte Begrenzungen der Composition, sondern durch die Nothwendigkeit gebotene. Der Bild¬ hauer modificirt seinen Stil, um seine Gebilde mit dem Charakter der Architectur in Einklang zu bringen, der Maler weiß selbst da, wo ihm die Flächen großer Wände eine Selbständigkeit geben, die ihn weit über die eigentliche Ornamentik hinaushebt, durch Composition und Farbenton die Beziehung auf das Ganze hervortreten zu lassen. Unzweifelhaft ist die Architectur mit ihren strengen Gesetzen und festen Formen maßgebend; allein wer könnte den Gedanken fassen, daß Phidias in den Sculpturen des Parthenon, Rafael in den Loggien des Vatican dem Architecten Unterthan, die Freiheit und Selbständigkeit künstlerischer Erfindung und Darstellung aufgegeben hätte? Das Verhalten der Poesie und Musik im musikalischen Drama ist kein anderes." Vortrefflich reiht sich daran, was Jahr in dem mit so viel Liebe geschrie¬ benen Aussatze über Ludwig Richter über die Grenzen der Poesie und Malerei, auch nach Lessing noch wenig bekannt und noch weniger beherzigt, sagt. Immer und überall tritt uns der reife, allseitig gebildete Kunstforscher entgegen, der sich nicht mit dem Zusammenstellen einzelner Beobachtungen und abgezogener Vorstellungen, wie etwa der geistreiche Kenner begnügt, sondern gewissenhaft den allgemeinen Gesetzen nachspürt, stets auf die grund¬ legenden Begriffe zurückgeht. So darf man wohl sagen, was Jahr über Musik schrieb, war nicht allein für Musiker geschrieben, wie er über die Musik schrieb, so und nicht anders hätte, er auch über die Werke der antiken Kunst schreiben können, schreiben müssen. Der Gegenstand wechselte und mit dem Gegenstand trat natürlich auch ein anderer Jdeenkreis in den Vorder¬ grund. Aber die Art, wie er mit den Ideen operirte, wie er den Gegenstand auffaßte und behandelte: die Methode war und blieb die gleiche, sie war wenigstens für Jahr stets die gleiche. Wenn mit Recht von ihm gerühmt wird, daß er die philologische Methode im Kreise der Archäologie, welcher Wissenschaft er namentlich auf Emil Braun's freundlichen Zuspruch seit 1841 seine Kräfte vorzugsweise widmete, in deren Pflege er seine wichtigste Lebens¬ aufgabe erkannte, vor Vielen anderen eingebürgert habe — die archäologischen Seminare mit einer den bewährten philologischen Seminaren nachgebildeten Einrichtung hat er zuerst in Deutschland begründet — so wissen wir aus seinem eigenen Munde, daß er philologische Methode und philologische Kritik auch in der musikalischen Literatur auf das dringendste empfahl und an einem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/214>, abgerufen am 22.07.2024.