Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.reich und breit gemalten historischen Hintergrund, gegen welchen sich die So wurde sein Mozart, ursprünglich als Einleitung der leider nie voll¬ reich und breit gemalten historischen Hintergrund, gegen welchen sich die So wurde sein Mozart, ursprünglich als Einleitung der leider nie voll¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121967"/> <p xml:id="ID_547" prev="#ID_546"> reich und breit gemalten historischen Hintergrund, gegen welchen sich die<lb/> Gestalt des Helden doch wirksam abhob, von der überaus feinen und liebe«<lb/> vollen psychologischen Characteristik des letztern, von der Kunst, mit welcher<lb/> der Mensch und der Künstler zusammenhängend geschildert wird. Sie fühlten<lb/> sich gefesselt durch die vollkommene Beherrschung des Stoffes und die Durch¬<lb/> sichtigkeit der Form, diese wie jene das Resultat der genauen und metho¬<lb/> dischen Forschung, welche Jahr seinem Werke zu Grunde legte. Was den<lb/> Einen und den Anderen kaum vereinbar, ja unmöglich erschien, bei solch<lb/> überfluthender Gelehrsamkeit doch die feinste Empfänglichkeit für subjective<lb/> Empfindungen und wieder bei fo vollkommener Vertiefung in das rein Tech¬<lb/> nische, bei so unbedingter Hingabe an die Besonderheit einer einzelnen Kunst¬<lb/> gattung doch der freie historische Ueberblick— das hat Jahr vereint und gethan.</p><lb/> <p xml:id="ID_548" next="#ID_549"> So wurde sein Mozart, ursprünglich als Einleitung der leider nie voll¬<lb/> endeten Biographie Beethoven's gedacht, das hervorragendste Werk, welches<lb/> die Fachliteratur der Gegenwart geschaffen hat, so wurde sein Mozart das<lb/> bisher unerreichte Muster einer tun se historisch e n Biographie. Denn<lb/> nicht auf den musikalischen Kreis blieb sein Kunstinteresse und seine Kunst¬<lb/> erkenntniß eingeschränkt. Wohl fand er in der musikalischen Kunst seinen<lb/> Ausgangspunkt und gern legte er sich Fragen allgemeiner Natur, um sich<lb/> Klarheit zu verschaffen, zuerst für das ihm Nächstliegende musikalische Gebiet<lb/> zurecht. Er bemühte sich aber dabei stets, was er hier erforscht hatte, auf<lb/> die letzten Gründe zurückzuführen und seinem Urtheile die Allgemeingiltigkeit<lb/> zu sichern. „Provisorische Wahrheiten", wie er sich einmal glücklich aus¬<lb/> drückte, waren bei ihm arg verpönt, sowohl jene, welche der Heuchelei, wie<lb/> die andern, welche der Trägheit entspringen. Das man sich des ehrlichen<lb/> Geständnisses, etwas nicht zu wissen, zu schämen hat, hielt er für eben so<lb/> unstatthaft, wie daß man es vorläufig bei halben Erkenntnissen bewenden<lb/> lassen könne, weil das weitere Forschen unbequem und schwierig sei. Bis zum<lb/> Ziele, bis zur Grenze wenigstens vorzudringen, galt ihm als die erste wissen¬<lb/> schaftliche Pflicht. Er war überrascht, wenn er Helmholtz, dessen Verkehr ihn<lb/> freute und hob, seine bescheidenen Gedanken über den psychischen Eindruck der<lb/> musikalischen Töne, über das Werden der Empfindungen mittheilte, von<lb/> diesem zu hören, daß er die wichtigsten physiologischen Probleme präcis und<lb/> richtig ausspreche; er schüttelte ungläubig den Kopf, wenn man die Schärfe<lb/> und Klarheit seiner ästhetischen Grundsätze pries. „Ich habe ja niemals ein<lb/> philosophisches Buch gelesen", war seine Antwort. Das hatte er auch nicht<lb/> gethan, er hatte aber von einer Kunst die umfassendste und gründlichste<lb/> Erkenntniß — selbst die Leiden und Freuden des musikalischen Schaffens<lb/> hatte er an sich erprobt, wenn er auch von seinen Liedern und Quartetten<lb/> kein Aufheben machte —; weil er das Wesen einer Kunst ergründet hatte,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0212]
reich und breit gemalten historischen Hintergrund, gegen welchen sich die
Gestalt des Helden doch wirksam abhob, von der überaus feinen und liebe«
vollen psychologischen Characteristik des letztern, von der Kunst, mit welcher
der Mensch und der Künstler zusammenhängend geschildert wird. Sie fühlten
sich gefesselt durch die vollkommene Beherrschung des Stoffes und die Durch¬
sichtigkeit der Form, diese wie jene das Resultat der genauen und metho¬
dischen Forschung, welche Jahr seinem Werke zu Grunde legte. Was den
Einen und den Anderen kaum vereinbar, ja unmöglich erschien, bei solch
überfluthender Gelehrsamkeit doch die feinste Empfänglichkeit für subjective
Empfindungen und wieder bei fo vollkommener Vertiefung in das rein Tech¬
nische, bei so unbedingter Hingabe an die Besonderheit einer einzelnen Kunst¬
gattung doch der freie historische Ueberblick— das hat Jahr vereint und gethan.
So wurde sein Mozart, ursprünglich als Einleitung der leider nie voll¬
endeten Biographie Beethoven's gedacht, das hervorragendste Werk, welches
die Fachliteratur der Gegenwart geschaffen hat, so wurde sein Mozart das
bisher unerreichte Muster einer tun se historisch e n Biographie. Denn
nicht auf den musikalischen Kreis blieb sein Kunstinteresse und seine Kunst¬
erkenntniß eingeschränkt. Wohl fand er in der musikalischen Kunst seinen
Ausgangspunkt und gern legte er sich Fragen allgemeiner Natur, um sich
Klarheit zu verschaffen, zuerst für das ihm Nächstliegende musikalische Gebiet
zurecht. Er bemühte sich aber dabei stets, was er hier erforscht hatte, auf
die letzten Gründe zurückzuführen und seinem Urtheile die Allgemeingiltigkeit
zu sichern. „Provisorische Wahrheiten", wie er sich einmal glücklich aus¬
drückte, waren bei ihm arg verpönt, sowohl jene, welche der Heuchelei, wie
die andern, welche der Trägheit entspringen. Das man sich des ehrlichen
Geständnisses, etwas nicht zu wissen, zu schämen hat, hielt er für eben so
unstatthaft, wie daß man es vorläufig bei halben Erkenntnissen bewenden
lassen könne, weil das weitere Forschen unbequem und schwierig sei. Bis zum
Ziele, bis zur Grenze wenigstens vorzudringen, galt ihm als die erste wissen¬
schaftliche Pflicht. Er war überrascht, wenn er Helmholtz, dessen Verkehr ihn
freute und hob, seine bescheidenen Gedanken über den psychischen Eindruck der
musikalischen Töne, über das Werden der Empfindungen mittheilte, von
diesem zu hören, daß er die wichtigsten physiologischen Probleme präcis und
richtig ausspreche; er schüttelte ungläubig den Kopf, wenn man die Schärfe
und Klarheit seiner ästhetischen Grundsätze pries. „Ich habe ja niemals ein
philosophisches Buch gelesen", war seine Antwort. Das hatte er auch nicht
gethan, er hatte aber von einer Kunst die umfassendste und gründlichste
Erkenntniß — selbst die Leiden und Freuden des musikalischen Schaffens
hatte er an sich erprobt, wenn er auch von seinen Liedern und Quartetten
kein Aufheben machte —; weil er das Wesen einer Kunst ergründet hatte,
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