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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Furcht vor socialistischen Ausschreitungen sehr viel schwerer als die Abnei¬
gung gegen das Joch der Präfectenwirthschaft. welche in letzter Zeit aus den
Departements sehr viel schwerer gelastet hat, wie aus der Hauptstadt. Ganz
abgesehen von dem üblen Eindruck, den der von den Pariser Wählern gegen
ihre Deputirten geübte freche Terrorismus auf alle vernünftigen Leute üben
mußte, haben die während der Sommermonate dieses Jahres periodisch wiede-
kehrenden Arbeiteremeuten (zuletzt die blutigen Auftritte bei Aubin) dafür
gesorgt, daß die besitzenden Klassen in Furcht erhalten und daran erinnert
wurden, daß ihnen die kaiserliche Regierung trotz ihrer despotischen Neigungen
als Beschützerin des Eigenthums unentbehrlich sei.

Diese Regierung ist allerdings mit der Person des Kaisers identisch und
der Kaiser ist ein kranker Sechziger, der allein steht. Daß er den Entschluß
gefaßt hat, sich zunächst von den Ministern nicht zu trennen, zu denen er in
der Bedrängniß der Junitage gegriffen, will zunächst nicht viel sagen, denn
keiner derselben hat die Feuerprobe bestanden, zu welcher die Verhandlungen
mit einer feindseligen Kammer wieder zu werden drohen. Keiner dieser
Staatsmänner hat sich bis jetzt Einfluß und Autorität erobert und Herr Rouher
wußte dafür zu sorgen, daß sie nicht ein Mal bei Hof festen Fuß zu
fassen vermochten; Fürst Latour d'Auvergne, dem wenigstens Erfahrung in
großen Geschäften zur Seite steht, ist durch die Uebergriffe seines Amts¬
vorgängers und eigene Kränklichkeit so schnell mürbe geworden, daß ihn nur
der Apelt des Kaisers an seinen Patriotismus auf dem Posten zu halten
vermocht hatte. -- Das Rundschreiben, in welchem dieser Minister den diplo¬
matischen Vertretern Frankreichs mittheilte, die kaiserliche Regierung werde
das Concil nicht beschicken, etwaigen Ausschreitungen desselben aber mit
gebührender Wachsamkeit begegnen, hätte unter anderen Umständen und wenn
die inneren Fragen nicht die ganze Aufmerksamkeit des Volks beschäftigt hätten,
eines bedeutenden Eindrucks nicht verfehlt. Daß das Interesse der Franzosen
sür die gallikanischen Freiheiten ihrer Kirche trotz des Materialismus, der seit
dem Staatsstreich die eigentliche französische Staatsreligion geworden, lebendig
geblieben ist beweist die große, wenn auch kurzathmige Theilnahme welche das
bekannte Schreiben des Pater Hyanzinthe in allen Kreisen der pariser Gesell¬
schaft erregte. Dieser Protest eines geängstigten Gewissens gegen die herrsch¬
süchtigen Ansprüche des modernen Ultramontanismus, hat nicht nur bei
denen Anklang gefunden, die unterschiedslos jede Gelegenheit zu antikirchlichen
Demonstrationen wahrnehmen, sondern auch in den katholischen Kreisen einen
gewissen Eindruck gemacht. Daß Männer wie der Bischof Maret aus ihrer
Zustimmung zu dem Protest des berühmten Kanzelredners kein Geheimniß
gemacht haben, daß selbst Monseigneur Dupanloup demselben eine Rücksicht


Furcht vor socialistischen Ausschreitungen sehr viel schwerer als die Abnei¬
gung gegen das Joch der Präfectenwirthschaft. welche in letzter Zeit aus den
Departements sehr viel schwerer gelastet hat, wie aus der Hauptstadt. Ganz
abgesehen von dem üblen Eindruck, den der von den Pariser Wählern gegen
ihre Deputirten geübte freche Terrorismus auf alle vernünftigen Leute üben
mußte, haben die während der Sommermonate dieses Jahres periodisch wiede-
kehrenden Arbeiteremeuten (zuletzt die blutigen Auftritte bei Aubin) dafür
gesorgt, daß die besitzenden Klassen in Furcht erhalten und daran erinnert
wurden, daß ihnen die kaiserliche Regierung trotz ihrer despotischen Neigungen
als Beschützerin des Eigenthums unentbehrlich sei.

Diese Regierung ist allerdings mit der Person des Kaisers identisch und
der Kaiser ist ein kranker Sechziger, der allein steht. Daß er den Entschluß
gefaßt hat, sich zunächst von den Ministern nicht zu trennen, zu denen er in
der Bedrängniß der Junitage gegriffen, will zunächst nicht viel sagen, denn
keiner derselben hat die Feuerprobe bestanden, zu welcher die Verhandlungen
mit einer feindseligen Kammer wieder zu werden drohen. Keiner dieser
Staatsmänner hat sich bis jetzt Einfluß und Autorität erobert und Herr Rouher
wußte dafür zu sorgen, daß sie nicht ein Mal bei Hof festen Fuß zu
fassen vermochten; Fürst Latour d'Auvergne, dem wenigstens Erfahrung in
großen Geschäften zur Seite steht, ist durch die Uebergriffe seines Amts¬
vorgängers und eigene Kränklichkeit so schnell mürbe geworden, daß ihn nur
der Apelt des Kaisers an seinen Patriotismus auf dem Posten zu halten
vermocht hatte. — Das Rundschreiben, in welchem dieser Minister den diplo¬
matischen Vertretern Frankreichs mittheilte, die kaiserliche Regierung werde
das Concil nicht beschicken, etwaigen Ausschreitungen desselben aber mit
gebührender Wachsamkeit begegnen, hätte unter anderen Umständen und wenn
die inneren Fragen nicht die ganze Aufmerksamkeit des Volks beschäftigt hätten,
eines bedeutenden Eindrucks nicht verfehlt. Daß das Interesse der Franzosen
sür die gallikanischen Freiheiten ihrer Kirche trotz des Materialismus, der seit
dem Staatsstreich die eigentliche französische Staatsreligion geworden, lebendig
geblieben ist beweist die große, wenn auch kurzathmige Theilnahme welche das
bekannte Schreiben des Pater Hyanzinthe in allen Kreisen der pariser Gesell¬
schaft erregte. Dieser Protest eines geängstigten Gewissens gegen die herrsch¬
süchtigen Ansprüche des modernen Ultramontanismus, hat nicht nur bei
denen Anklang gefunden, die unterschiedslos jede Gelegenheit zu antikirchlichen
Demonstrationen wahrnehmen, sondern auch in den katholischen Kreisen einen
gewissen Eindruck gemacht. Daß Männer wie der Bischof Maret aus ihrer
Zustimmung zu dem Protest des berühmten Kanzelredners kein Geheimniß
gemacht haben, daß selbst Monseigneur Dupanloup demselben eine Rücksicht


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[0202] Furcht vor socialistischen Ausschreitungen sehr viel schwerer als die Abnei¬ gung gegen das Joch der Präfectenwirthschaft. welche in letzter Zeit aus den Departements sehr viel schwerer gelastet hat, wie aus der Hauptstadt. Ganz abgesehen von dem üblen Eindruck, den der von den Pariser Wählern gegen ihre Deputirten geübte freche Terrorismus auf alle vernünftigen Leute üben mußte, haben die während der Sommermonate dieses Jahres periodisch wiede- kehrenden Arbeiteremeuten (zuletzt die blutigen Auftritte bei Aubin) dafür gesorgt, daß die besitzenden Klassen in Furcht erhalten und daran erinnert wurden, daß ihnen die kaiserliche Regierung trotz ihrer despotischen Neigungen als Beschützerin des Eigenthums unentbehrlich sei. Diese Regierung ist allerdings mit der Person des Kaisers identisch und der Kaiser ist ein kranker Sechziger, der allein steht. Daß er den Entschluß gefaßt hat, sich zunächst von den Ministern nicht zu trennen, zu denen er in der Bedrängniß der Junitage gegriffen, will zunächst nicht viel sagen, denn keiner derselben hat die Feuerprobe bestanden, zu welcher die Verhandlungen mit einer feindseligen Kammer wieder zu werden drohen. Keiner dieser Staatsmänner hat sich bis jetzt Einfluß und Autorität erobert und Herr Rouher wußte dafür zu sorgen, daß sie nicht ein Mal bei Hof festen Fuß zu fassen vermochten; Fürst Latour d'Auvergne, dem wenigstens Erfahrung in großen Geschäften zur Seite steht, ist durch die Uebergriffe seines Amts¬ vorgängers und eigene Kränklichkeit so schnell mürbe geworden, daß ihn nur der Apelt des Kaisers an seinen Patriotismus auf dem Posten zu halten vermocht hatte. — Das Rundschreiben, in welchem dieser Minister den diplo¬ matischen Vertretern Frankreichs mittheilte, die kaiserliche Regierung werde das Concil nicht beschicken, etwaigen Ausschreitungen desselben aber mit gebührender Wachsamkeit begegnen, hätte unter anderen Umständen und wenn die inneren Fragen nicht die ganze Aufmerksamkeit des Volks beschäftigt hätten, eines bedeutenden Eindrucks nicht verfehlt. Daß das Interesse der Franzosen sür die gallikanischen Freiheiten ihrer Kirche trotz des Materialismus, der seit dem Staatsstreich die eigentliche französische Staatsreligion geworden, lebendig geblieben ist beweist die große, wenn auch kurzathmige Theilnahme welche das bekannte Schreiben des Pater Hyanzinthe in allen Kreisen der pariser Gesell¬ schaft erregte. Dieser Protest eines geängstigten Gewissens gegen die herrsch¬ süchtigen Ansprüche des modernen Ultramontanismus, hat nicht nur bei denen Anklang gefunden, die unterschiedslos jede Gelegenheit zu antikirchlichen Demonstrationen wahrnehmen, sondern auch in den katholischen Kreisen einen gewissen Eindruck gemacht. Daß Männer wie der Bischof Maret aus ihrer Zustimmung zu dem Protest des berühmten Kanzelredners kein Geheimniß gemacht haben, daß selbst Monseigneur Dupanloup demselben eine Rücksicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/202>, abgerufen am 22.07.2024.