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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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aber rasche Fortschritte und tritt das Streben immer deutlicher hervor, die
groß-russische Sprache in Kirche und Gemeinde zur herrschenden zu machen
und der unirten Kirche statt des lateinischen ein orthodox-griechisches Gepräge
zu geben. Grade weil die ungarischen Slaven sich bis jetzt ziemlich still ver¬
halten haben, ist auf diese Symptome slavischer Opposition gegen die Aus¬
schließlichkeit des Magyarischen Elements einiges Gewicht zu legen.

Zu den Gästen, welche die k. k. Hofburg während der Octobertage be¬
suchten, hat auch der Fürst Carl von Rumänien gehört, der seinen Weg aus
der Krimm nach Paris, über Wien genommen hat und diese Rundreise mit
einem Besuch in Berlin zu beschließen gedenkt. Die Verlobung des jungen
Fürsten mit der Tochter eines mediatisirten deutschen Geschlechts hat die
Eifersucht der Mächte, welche den Besuch in Livadia als eine Brautfahrt an¬
sahen, entwaffnet, und von all' den Höfen, welche Fürst Carl besuchte, wird
berichtet, er habe die freundlichste und zuvorkommendste Aufnahme gefunden.
Es scheint in der That, als ob die gegenwärtige rumänische Regierung die
schwierige Aufgabe gelöst hat, eine Position zu gewinnen, welche nach keiner
Seite Anstoß gibt. -- Dafür bestätigt es sich aber mehr und mehr, daß der
junge Fürst in dem Lande, das ihn zu seinem Herrscher gewählt, nicht Wurzel
zu schlagen vermocht hat und daß die alten Antipathien der Moldau-Bewohner
gegen die Union mit der mächtigeren Wallachei wieder aufleben. -- Aus dem
benachbarten Serbien hört man immer häufiger über die Zunahme des
östreichisch-ungarischen Einflusses klagen und wird die Hingebung an den¬
selben den Ministern Blasnawatz und Jljitsch ebenso zum Vorwurf gemacht,
wie dem serbischen Metropoliten. Diese Klagen haben natürlich keinen anderen
Sinn, als den seiner Beschwerde darüber, daß eine von Rußland unabhängige,
ja arti-russische Negierung sich in Belgrad dauernd behaupten kann; der ser¬
bische Metropolit Michael ist in den letzten Tagen übrigens nach Moskau
gereist und daselbst -- absichtlich oder zufällig -- mit verschiedenen russischen
Kirchenfürsten, namentlich dem Exarchen von Grusien zusammengetroffen. --
Unter den Bewohnern Bosniens und der Herzogewina circuliren wiederum
offene Briefe des in Odessa lebenden flüchtigen Woyewoden Luka Wuka-
lowitsch, der dieses Mal nicht nur zu Rüstungen gegen die Türken, sondern
zugleich zum Anschluß an die Bulgaren und deren Bestrebungen behufs Her¬
stellung einer von griechischen Einflüssen unabhängigen Nationalkirche mahnt.

In Petersburg (wohin der Kaiser erst in den letzten Tagen zurückge¬
kehrt) ist man anscheinend nur mit Fragen der innern Politik beschäftigt ge¬
wesen. Man hat eine Neubewaffnung der Artillerie angeordnet, zahlreiche
neue Eisenbahnen concessionirt, ein Gesetz über Umgestaltung des Städte¬
wesens berathen, die Reorganisation der Justiz im Königreich Polen vor¬
bereitet :c. Auch die öffentliche Meinung hatte sich so ausschließlich innern


aber rasche Fortschritte und tritt das Streben immer deutlicher hervor, die
groß-russische Sprache in Kirche und Gemeinde zur herrschenden zu machen
und der unirten Kirche statt des lateinischen ein orthodox-griechisches Gepräge
zu geben. Grade weil die ungarischen Slaven sich bis jetzt ziemlich still ver¬
halten haben, ist auf diese Symptome slavischer Opposition gegen die Aus¬
schließlichkeit des Magyarischen Elements einiges Gewicht zu legen.

Zu den Gästen, welche die k. k. Hofburg während der Octobertage be¬
suchten, hat auch der Fürst Carl von Rumänien gehört, der seinen Weg aus
der Krimm nach Paris, über Wien genommen hat und diese Rundreise mit
einem Besuch in Berlin zu beschließen gedenkt. Die Verlobung des jungen
Fürsten mit der Tochter eines mediatisirten deutschen Geschlechts hat die
Eifersucht der Mächte, welche den Besuch in Livadia als eine Brautfahrt an¬
sahen, entwaffnet, und von all' den Höfen, welche Fürst Carl besuchte, wird
berichtet, er habe die freundlichste und zuvorkommendste Aufnahme gefunden.
Es scheint in der That, als ob die gegenwärtige rumänische Regierung die
schwierige Aufgabe gelöst hat, eine Position zu gewinnen, welche nach keiner
Seite Anstoß gibt. — Dafür bestätigt es sich aber mehr und mehr, daß der
junge Fürst in dem Lande, das ihn zu seinem Herrscher gewählt, nicht Wurzel
zu schlagen vermocht hat und daß die alten Antipathien der Moldau-Bewohner
gegen die Union mit der mächtigeren Wallachei wieder aufleben. — Aus dem
benachbarten Serbien hört man immer häufiger über die Zunahme des
östreichisch-ungarischen Einflusses klagen und wird die Hingebung an den¬
selben den Ministern Blasnawatz und Jljitsch ebenso zum Vorwurf gemacht,
wie dem serbischen Metropoliten. Diese Klagen haben natürlich keinen anderen
Sinn, als den seiner Beschwerde darüber, daß eine von Rußland unabhängige,
ja arti-russische Negierung sich in Belgrad dauernd behaupten kann; der ser¬
bische Metropolit Michael ist in den letzten Tagen übrigens nach Moskau
gereist und daselbst — absichtlich oder zufällig — mit verschiedenen russischen
Kirchenfürsten, namentlich dem Exarchen von Grusien zusammengetroffen. —
Unter den Bewohnern Bosniens und der Herzogewina circuliren wiederum
offene Briefe des in Odessa lebenden flüchtigen Woyewoden Luka Wuka-
lowitsch, der dieses Mal nicht nur zu Rüstungen gegen die Türken, sondern
zugleich zum Anschluß an die Bulgaren und deren Bestrebungen behufs Her¬
stellung einer von griechischen Einflüssen unabhängigen Nationalkirche mahnt.

In Petersburg (wohin der Kaiser erst in den letzten Tagen zurückge¬
kehrt) ist man anscheinend nur mit Fragen der innern Politik beschäftigt ge¬
wesen. Man hat eine Neubewaffnung der Artillerie angeordnet, zahlreiche
neue Eisenbahnen concessionirt, ein Gesetz über Umgestaltung des Städte¬
wesens berathen, die Reorganisation der Justiz im Königreich Polen vor¬
bereitet :c. Auch die öffentliche Meinung hatte sich so ausschließlich innern


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[0198] aber rasche Fortschritte und tritt das Streben immer deutlicher hervor, die groß-russische Sprache in Kirche und Gemeinde zur herrschenden zu machen und der unirten Kirche statt des lateinischen ein orthodox-griechisches Gepräge zu geben. Grade weil die ungarischen Slaven sich bis jetzt ziemlich still ver¬ halten haben, ist auf diese Symptome slavischer Opposition gegen die Aus¬ schließlichkeit des Magyarischen Elements einiges Gewicht zu legen. Zu den Gästen, welche die k. k. Hofburg während der Octobertage be¬ suchten, hat auch der Fürst Carl von Rumänien gehört, der seinen Weg aus der Krimm nach Paris, über Wien genommen hat und diese Rundreise mit einem Besuch in Berlin zu beschließen gedenkt. Die Verlobung des jungen Fürsten mit der Tochter eines mediatisirten deutschen Geschlechts hat die Eifersucht der Mächte, welche den Besuch in Livadia als eine Brautfahrt an¬ sahen, entwaffnet, und von all' den Höfen, welche Fürst Carl besuchte, wird berichtet, er habe die freundlichste und zuvorkommendste Aufnahme gefunden. Es scheint in der That, als ob die gegenwärtige rumänische Regierung die schwierige Aufgabe gelöst hat, eine Position zu gewinnen, welche nach keiner Seite Anstoß gibt. — Dafür bestätigt es sich aber mehr und mehr, daß der junge Fürst in dem Lande, das ihn zu seinem Herrscher gewählt, nicht Wurzel zu schlagen vermocht hat und daß die alten Antipathien der Moldau-Bewohner gegen die Union mit der mächtigeren Wallachei wieder aufleben. — Aus dem benachbarten Serbien hört man immer häufiger über die Zunahme des östreichisch-ungarischen Einflusses klagen und wird die Hingebung an den¬ selben den Ministern Blasnawatz und Jljitsch ebenso zum Vorwurf gemacht, wie dem serbischen Metropoliten. Diese Klagen haben natürlich keinen anderen Sinn, als den seiner Beschwerde darüber, daß eine von Rußland unabhängige, ja arti-russische Negierung sich in Belgrad dauernd behaupten kann; der ser¬ bische Metropolit Michael ist in den letzten Tagen übrigens nach Moskau gereist und daselbst — absichtlich oder zufällig — mit verschiedenen russischen Kirchenfürsten, namentlich dem Exarchen von Grusien zusammengetroffen. — Unter den Bewohnern Bosniens und der Herzogewina circuliren wiederum offene Briefe des in Odessa lebenden flüchtigen Woyewoden Luka Wuka- lowitsch, der dieses Mal nicht nur zu Rüstungen gegen die Türken, sondern zugleich zum Anschluß an die Bulgaren und deren Bestrebungen behufs Her¬ stellung einer von griechischen Einflüssen unabhängigen Nationalkirche mahnt. In Petersburg (wohin der Kaiser erst in den letzten Tagen zurückge¬ kehrt) ist man anscheinend nur mit Fragen der innern Politik beschäftigt ge¬ wesen. Man hat eine Neubewaffnung der Artillerie angeordnet, zahlreiche neue Eisenbahnen concessionirt, ein Gesetz über Umgestaltung des Städte¬ wesens berathen, die Reorganisation der Justiz im Königreich Polen vor¬ bereitet :c. Auch die öffentliche Meinung hatte sich so ausschließlich innern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/198>, abgerufen am 22.07.2024.