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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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hältniß gesagt ist. Es kann nur erfreulich sein, daß man hüben und drüben
bemüht ist, den Groll, der durch die von unserm frühern Minister van Zuylen
so unglücklich geleitete luxemburger Geschichte entstanden ist, zu vergessen und
falsche Vorstellungen zu berichtigen. Aber die Conservativen wollen von einer
solchen Verständigung nichts wissen, sei es, daß sie. einer unparteiischen Auf¬
fassung unfähig, die Furcht vor Annexion, bei der sie am meisten verlieren
würden, wirklich noch hegen, sei es, daß sie den Liberalen Freundschaft für
Preußen vorwerfen, um sie dadurch in den Augen der Station zu verdächtigen.

Minder erklärlich ist das Widerstreben einiger Liberalen, die ihr Mi߬
trauen gegen die Absichten unserer Nachbarn noch nicht überwinden können;
aber es läßt sich annehmen, daß sie sich einer bessern Erkenntniß nicht lange
mehr verschließen werden.

Von einer "preußischen Partei" ist trotz des Geschrei's der Conservativen bei
uns keine Rede, da alle Ansätze dazu fehlen. Eine solche könnte sich nur dann
bilden, wenn die Umstände uns die Frage vorlegten, ob wir uns bei einem
möglichen Friedensbruch in Europa an die Seite Deutschlands oder seiner
Feinde schaaren sollen, und da wird unzweifelhaft ein Theil unserer Nation
sich künftig ganz anders zu Preußen stellen als im Jahre 1866, wo die all¬
gemeine Sympathie auf die Seite Oestreichs neigte. Man sängt an zu fühlen,
daß die Deutschen unsere natürlichen Bundesgenossen sind, mit denen wir
zusammen handeln müssen, so lange wir es mit unserm Rechtsgefühl ver¬
einbaren können. Will man das mit dem Namen "Preußischgesinntheit"
stempeln, so muß man sich doch hüten, dieser Bezeichnung einen größern Werth
beizulegen.

In unmittelbarer Verbindung mit unserer Stellung zum Auslande steht
die Frage nach der zweckmäßigen Einrichtung unserer Vertheidigungsmittel.
Unsere Armee ist nach der englischen die theuerste; wie ihre Leistungsfähigkeit
zu diesen Kosten steht, ist aber eine große Frage. Gesetzlich und thatsächlich
besteht die Armee aus angeworbenen Truppen; da sich aber freiwillig keine
hinlängliche Zahl zum Militärdienste meldet, so werden die fehlenden Mann¬
schaften durch Conscnption (wobei das System der Stellvertretung zugelassen
ist) ausgehoben. Diese Conseribirten werden das erste Jahr höchstens einige
Monate und vier spätere Jahre höchstens sechs Wochen, meistens aber eine
viel kürzere Zeit einberufen. Der größte Theil unserer Armee würde also im
Kriegsfall kaum ein Jahr lang im Militärdienst geübt sein. Es würden aus
diese Weise im günstigsten Fall in etwa 14 Tagen achtzigtausend Mann,
wahrscheinlich aber viel weniger einberufen werden können. Würde eine
solche wenig geübte Truppe, von der sich der bessere Theil des Volkes ent¬
fernt gehalten hat, den großen Anforderungen entsprechen können, die man
im gegebenen Fall an sie stellen muß?


hältniß gesagt ist. Es kann nur erfreulich sein, daß man hüben und drüben
bemüht ist, den Groll, der durch die von unserm frühern Minister van Zuylen
so unglücklich geleitete luxemburger Geschichte entstanden ist, zu vergessen und
falsche Vorstellungen zu berichtigen. Aber die Conservativen wollen von einer
solchen Verständigung nichts wissen, sei es, daß sie. einer unparteiischen Auf¬
fassung unfähig, die Furcht vor Annexion, bei der sie am meisten verlieren
würden, wirklich noch hegen, sei es, daß sie den Liberalen Freundschaft für
Preußen vorwerfen, um sie dadurch in den Augen der Station zu verdächtigen.

Minder erklärlich ist das Widerstreben einiger Liberalen, die ihr Mi߬
trauen gegen die Absichten unserer Nachbarn noch nicht überwinden können;
aber es läßt sich annehmen, daß sie sich einer bessern Erkenntniß nicht lange
mehr verschließen werden.

Von einer „preußischen Partei" ist trotz des Geschrei's der Conservativen bei
uns keine Rede, da alle Ansätze dazu fehlen. Eine solche könnte sich nur dann
bilden, wenn die Umstände uns die Frage vorlegten, ob wir uns bei einem
möglichen Friedensbruch in Europa an die Seite Deutschlands oder seiner
Feinde schaaren sollen, und da wird unzweifelhaft ein Theil unserer Nation
sich künftig ganz anders zu Preußen stellen als im Jahre 1866, wo die all¬
gemeine Sympathie auf die Seite Oestreichs neigte. Man sängt an zu fühlen,
daß die Deutschen unsere natürlichen Bundesgenossen sind, mit denen wir
zusammen handeln müssen, so lange wir es mit unserm Rechtsgefühl ver¬
einbaren können. Will man das mit dem Namen „Preußischgesinntheit"
stempeln, so muß man sich doch hüten, dieser Bezeichnung einen größern Werth
beizulegen.

In unmittelbarer Verbindung mit unserer Stellung zum Auslande steht
die Frage nach der zweckmäßigen Einrichtung unserer Vertheidigungsmittel.
Unsere Armee ist nach der englischen die theuerste; wie ihre Leistungsfähigkeit
zu diesen Kosten steht, ist aber eine große Frage. Gesetzlich und thatsächlich
besteht die Armee aus angeworbenen Truppen; da sich aber freiwillig keine
hinlängliche Zahl zum Militärdienste meldet, so werden die fehlenden Mann¬
schaften durch Conscnption (wobei das System der Stellvertretung zugelassen
ist) ausgehoben. Diese Conseribirten werden das erste Jahr höchstens einige
Monate und vier spätere Jahre höchstens sechs Wochen, meistens aber eine
viel kürzere Zeit einberufen. Der größte Theil unserer Armee würde also im
Kriegsfall kaum ein Jahr lang im Militärdienst geübt sein. Es würden aus
diese Weise im günstigsten Fall in etwa 14 Tagen achtzigtausend Mann,
wahrscheinlich aber viel weniger einberufen werden können. Würde eine
solche wenig geübte Truppe, von der sich der bessere Theil des Volkes ent¬
fernt gehalten hat, den großen Anforderungen entsprechen können, die man
im gegebenen Fall an sie stellen muß?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/191>, abgerufen am 24.08.2024.