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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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für möglich hielten. Wie dem aber auch sei, uns fesseln beide Büsten, weil
sie zu den nicht gerade zahlreichen Portraits aus der besten römischen Zeit
gehören und beitragen werden, den ihnen allen gemeinsamen Typus näher
festzustellen. Denn wenn schon die Natur eine gewisse Verwandtschaft und
Aehnlichkeit in den Gesichtszügen von Zeit- und Volksgenossen darbietet, so
tritt eine solche noch deutlicher in der Kunst hervor, obgleich es immer schwer
bleibt, sie in Worten präcis auszudrücken.

Die anziehendste Ausbeute der Aufgrabungen gewähren nach wie vor
die Wandgemälde. Pompeji ist ungemein reich daran. Das erkennt man
zumal jetzt, wo der Secretär des preußischen archäologischen Instituts in Rom,
Dr. W. Helbig, eine sehr verdienstvolle Beschreibung und Zusammenstellung
der daselbst sowie in den anderen verschütteten Städten Campaniens gefun¬
denen Kunstwerke dieser Gattung veröffentlicht hat.*) Sein Verzeichnis; um¬
faßt, obwohl es sich auf die wichtigsten beschränkt, doch nahe an zweitausend
Nummern. Eine treffliche Einleitung in das genannte Werk bildet die von
dem Maler O. Donner verfaßte Abhandlung über die Technik dieser Gemälde,
wodurch der alte Streit über die Art und Weise, in der die Malereien ausgeführt
sind, nach gründlicher Erwägung aller Momente, wie uns scheint, endgiltig
entschieden wird. Wir können uns nicht versagen, wenigstens die Haupt¬
resultate in den folgenden drei Sätzen des Verfassers mitzutheilen. Es sind
demnach wenn auch nicht sämmtliche, so doch ein sehr großer, ja bei weitem
der größte Theil jener Wandmalereien und zwar sowohl die farbigen Gründe
als auch die aus denselben und auf Weißen Gründen stehenden Ornamente,
Einzelfiguren und abgegrenzten Bilder a. krsseo gemalt. Die Leimfarben-
und Tempera-Malerei nimmt dagegen eine sehr untergeordnete Stelle ein
und findet sich mehr aushilfsweise als selbständig angewendet. Enkau¬
stische Malereien endlich kommen absolut nicht vor.

Sehen wir uns nun runter den jüngst gefundenen Fresken um, so be¬
gegnet uns hier derselbe bemerkenswerthe Unterschied, welcher auch an den
älteren auffiel und Veranlassung bietet, zwei verschiedene Hauptklassen zu
statutren. Die Hauptvertreter der einen sind die ideal gehaltenen Gemälde
mythischen Stoffes, während die andere aus den realistischen Darstellungen
der gemeinen Wirklichkeit besteht. Jene sind bedeutenden Originalen mit
größerer oder geringerer Freiheit nachgebildet und stehen in genauem Zu¬
sammenhange mit der griechischen Poesie besonders der letztvoraufgegangenen
Periode, welche man nach dem damaligen Mittelpunkte griechischer Cultur
die alexandrische nennt; die andern sind von aller Poesie weit entfernt und
haben ihr Interesse darin, daß sie das bürgerliche Leben einer Municipalstadt



') W. Helbig: Wandgemälde der vom Vesuv verschütteten Städte Campamens. Leipzig,
BreiNopf und HSrtel 1868.

für möglich hielten. Wie dem aber auch sei, uns fesseln beide Büsten, weil
sie zu den nicht gerade zahlreichen Portraits aus der besten römischen Zeit
gehören und beitragen werden, den ihnen allen gemeinsamen Typus näher
festzustellen. Denn wenn schon die Natur eine gewisse Verwandtschaft und
Aehnlichkeit in den Gesichtszügen von Zeit- und Volksgenossen darbietet, so
tritt eine solche noch deutlicher in der Kunst hervor, obgleich es immer schwer
bleibt, sie in Worten präcis auszudrücken.

Die anziehendste Ausbeute der Aufgrabungen gewähren nach wie vor
die Wandgemälde. Pompeji ist ungemein reich daran. Das erkennt man
zumal jetzt, wo der Secretär des preußischen archäologischen Instituts in Rom,
Dr. W. Helbig, eine sehr verdienstvolle Beschreibung und Zusammenstellung
der daselbst sowie in den anderen verschütteten Städten Campaniens gefun¬
denen Kunstwerke dieser Gattung veröffentlicht hat.*) Sein Verzeichnis; um¬
faßt, obwohl es sich auf die wichtigsten beschränkt, doch nahe an zweitausend
Nummern. Eine treffliche Einleitung in das genannte Werk bildet die von
dem Maler O. Donner verfaßte Abhandlung über die Technik dieser Gemälde,
wodurch der alte Streit über die Art und Weise, in der die Malereien ausgeführt
sind, nach gründlicher Erwägung aller Momente, wie uns scheint, endgiltig
entschieden wird. Wir können uns nicht versagen, wenigstens die Haupt¬
resultate in den folgenden drei Sätzen des Verfassers mitzutheilen. Es sind
demnach wenn auch nicht sämmtliche, so doch ein sehr großer, ja bei weitem
der größte Theil jener Wandmalereien und zwar sowohl die farbigen Gründe
als auch die aus denselben und auf Weißen Gründen stehenden Ornamente,
Einzelfiguren und abgegrenzten Bilder a. krsseo gemalt. Die Leimfarben-
und Tempera-Malerei nimmt dagegen eine sehr untergeordnete Stelle ein
und findet sich mehr aushilfsweise als selbständig angewendet. Enkau¬
stische Malereien endlich kommen absolut nicht vor.

Sehen wir uns nun runter den jüngst gefundenen Fresken um, so be¬
gegnet uns hier derselbe bemerkenswerthe Unterschied, welcher auch an den
älteren auffiel und Veranlassung bietet, zwei verschiedene Hauptklassen zu
statutren. Die Hauptvertreter der einen sind die ideal gehaltenen Gemälde
mythischen Stoffes, während die andere aus den realistischen Darstellungen
der gemeinen Wirklichkeit besteht. Jene sind bedeutenden Originalen mit
größerer oder geringerer Freiheit nachgebildet und stehen in genauem Zu¬
sammenhange mit der griechischen Poesie besonders der letztvoraufgegangenen
Periode, welche man nach dem damaligen Mittelpunkte griechischer Cultur
die alexandrische nennt; die andern sind von aller Poesie weit entfernt und
haben ihr Interesse darin, daß sie das bürgerliche Leben einer Municipalstadt



') W. Helbig: Wandgemälde der vom Vesuv verschütteten Städte Campamens. Leipzig,
BreiNopf und HSrtel 1868.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/173>, abgerufen am 26.06.2024.