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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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dies bewundern, -- hängt mit allen Eigenheiten seiner Insel und seines Volkes
untrennbar zusammen. Ein erwähnenswerthes Zeugniß dafür legt unter
Andern der amerikanische Geschichtschreiber Prescott ab. In der ersten Zeit
seines litterarischen Ruhmes verweilte er als gefeierter Gast mehrere Wochen
auf dem Schlosse eines Herzogs in England. Von dort aus schilderte er
in einem Brief an amerikanische Freunde, den das Londoner Athenäum mit¬
getheilt hat, seine Eindrücke. Er sagt darin im Wesentlichen: Wir haben
hier täglich die höchsten und angenehmsten Besuche, und ich lerne allmälig
die gesammte Blüthe der englischen Aristokratie kennen. Es sind herrliche
Männer und Frauen darunter, wahre Prachtexemplare der Menschheit in
jeder Beziehung, aber -- für die außerenglische Welt ist ihre Theilnahme
flüchtig und oberflächlich. Sie sind zu voll ihres eigenen kleinen Universums,
das ja so reich an Kraft und Leben ist. Es gibt kein fremdes Land, das
sie nicht besucht, von dem sie nicht Skizzen und Reliquien heimgebracht haben,
aber in ihren Gedanken haftet sehr wenig davon. Was Ihr ihnen von der
Fremde erzählt, wird nur halb gehört und schnell vergessen saußer insoweit
es den britischen Vorzügen als Folie dient.Z Zeigt dagegen Jemand Sym¬
pathie für etwas Englisches, so wird ihnen gleich das Herz warm, sie hören
nicht auf, ihn zu unterrichten und mit Eifer nähren sie sein Interesse für
jede kleine Besonderheit ihres nationalen Lebens und Treibens. -- --

Vor einer halben Stunde noch drängte sich ein schwacher Sonnenstrahl
zwischen den Wolken vor und zeichnete blaßgrüne Blumen auf die Meeres¬
fläche. Plötzlich schwanden sie, versprengte Nebelsäulen wandelten über den
Dünenkamm, nach dem Schlosse und weiter gegen Osten flüchtend; es blies
von Westen, es pfiff von Südwesten her, daß die Wogen im Canal zu tanzen
anfingen, und einzelne schwere Tropfen mahnten zur Rückkehr. Hungrige
Möven kreisten mit schrillem Wechselgesang tief unter dem Gipfel der Shake¬
speare-Klippe, und am Felsen stand, scharf auslugend, ein dicker schwarzer
Seerabe. Was mochte er schauen? Von der Schwelle des Continents. dem
schmalen Sandstreifen von Calais hätte kein Fernrohr eine Spur entdeckt.
Meer und Himmel verschwammen zu einem dunkelgrauen Vorhang, der das
Draußen glücklich verhüllte. Es sah jetzt aus, als wäre England in seinem
Wasser -- allein auf der Welt.

Am selben Abend hatte ich das Vergnügen, noch ein Ur-Jnselmännchen
zu hören. In meinem Gasthause saßen am Kamin zwei ältliche Leute mit
langen Thonpfeifen im Munde. Der Eine erzählte von Boulogne und Paris,
wo er zum ersten Mal gewesen war, und erklärte, daß nicht Alles im Aus¬
lande so schlecht sei, wie man sich's denke. "Hin!" -- entgegnete der Andere,
Wohl nicht ohne absichtliche sarkastische Uebertreibung -- "ich für mein Theil
liebe alle Nationen, Engländer und Schotten, Corkneys und Kentische, Hauy-


dies bewundern, — hängt mit allen Eigenheiten seiner Insel und seines Volkes
untrennbar zusammen. Ein erwähnenswerthes Zeugniß dafür legt unter
Andern der amerikanische Geschichtschreiber Prescott ab. In der ersten Zeit
seines litterarischen Ruhmes verweilte er als gefeierter Gast mehrere Wochen
auf dem Schlosse eines Herzogs in England. Von dort aus schilderte er
in einem Brief an amerikanische Freunde, den das Londoner Athenäum mit¬
getheilt hat, seine Eindrücke. Er sagt darin im Wesentlichen: Wir haben
hier täglich die höchsten und angenehmsten Besuche, und ich lerne allmälig
die gesammte Blüthe der englischen Aristokratie kennen. Es sind herrliche
Männer und Frauen darunter, wahre Prachtexemplare der Menschheit in
jeder Beziehung, aber — für die außerenglische Welt ist ihre Theilnahme
flüchtig und oberflächlich. Sie sind zu voll ihres eigenen kleinen Universums,
das ja so reich an Kraft und Leben ist. Es gibt kein fremdes Land, das
sie nicht besucht, von dem sie nicht Skizzen und Reliquien heimgebracht haben,
aber in ihren Gedanken haftet sehr wenig davon. Was Ihr ihnen von der
Fremde erzählt, wird nur halb gehört und schnell vergessen saußer insoweit
es den britischen Vorzügen als Folie dient.Z Zeigt dagegen Jemand Sym¬
pathie für etwas Englisches, so wird ihnen gleich das Herz warm, sie hören
nicht auf, ihn zu unterrichten und mit Eifer nähren sie sein Interesse für
jede kleine Besonderheit ihres nationalen Lebens und Treibens. — —

Vor einer halben Stunde noch drängte sich ein schwacher Sonnenstrahl
zwischen den Wolken vor und zeichnete blaßgrüne Blumen auf die Meeres¬
fläche. Plötzlich schwanden sie, versprengte Nebelsäulen wandelten über den
Dünenkamm, nach dem Schlosse und weiter gegen Osten flüchtend; es blies
von Westen, es pfiff von Südwesten her, daß die Wogen im Canal zu tanzen
anfingen, und einzelne schwere Tropfen mahnten zur Rückkehr. Hungrige
Möven kreisten mit schrillem Wechselgesang tief unter dem Gipfel der Shake¬
speare-Klippe, und am Felsen stand, scharf auslugend, ein dicker schwarzer
Seerabe. Was mochte er schauen? Von der Schwelle des Continents. dem
schmalen Sandstreifen von Calais hätte kein Fernrohr eine Spur entdeckt.
Meer und Himmel verschwammen zu einem dunkelgrauen Vorhang, der das
Draußen glücklich verhüllte. Es sah jetzt aus, als wäre England in seinem
Wasser — allein auf der Welt.

Am selben Abend hatte ich das Vergnügen, noch ein Ur-Jnselmännchen
zu hören. In meinem Gasthause saßen am Kamin zwei ältliche Leute mit
langen Thonpfeifen im Munde. Der Eine erzählte von Boulogne und Paris,
wo er zum ersten Mal gewesen war, und erklärte, daß nicht Alles im Aus¬
lande so schlecht sei, wie man sich's denke. „Hin!" — entgegnete der Andere,
Wohl nicht ohne absichtliche sarkastische Uebertreibung — „ich für mein Theil
liebe alle Nationen, Engländer und Schotten, Corkneys und Kentische, Hauy-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/159>, abgerufen am 02.10.2024.