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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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anfangs leise angedeutete Sympathie für Cäsars Person eine bestimmte, seinen
Intentionen entsprechende Richtung. Aus dieser Zeit, aber auch erst aus
dieser Zeit datirt das Freundschaftsverhältniß zu Lucretius, für das wir einen
sprechenden Beleg in dem berühmten Prolog des ersten Buches besitzen. Den
Lehren seines Meisters getreu und dem geräuschvollen Treiben des öffentlichen
Lebens abgeneigt, hatte dieser beste Schüler des wahren Epikur seine ganze
Thätigkeit auf die Abfassung des leider unvollendet gebliebenen Gedichts über
das Wesen der Dinge verwandt. Der Plan des Ganzen stand fest, einzelne
Partien, z. B. die nach Thucydides bearbeitete Pest in Athen waren vollen¬
det und den kleinen Cirkeln, welche sich für eine ernstere Poesie erwärmen
mochten, zur Begutachtung mitgetheilt. Wirklich bekannt war Lucretius noch
nicht, -- nun trat plötzlich eine hell erleuchtete, mit allen Reizen der Anmuth
geschmückte Persönlichkeit in den Kreis des Dichters und näherte sich ihm
wie einer, der gleichfalls nach Wahrheit, nach Erkenntniß, nach Wissen ein
aufrichtiges Verlangen trug. Wir wollen über die Selbsttäuschung des
Dichters, welcher eine Zeit lang in den Artigkeiten des Weltmannes freund¬
schaftliches Interesse, in den Verbindlichkeiten des politischen Intriguanten
persönliches Wohlwollen, in den Einreden des schlagfertigen, an die animirte
Conversation des Salons gewohnten Lion ein Suchen nach Wahrheit zu
finden glaubte, nicht lächeln, denn es ist gerade der edelsten Naturen unver¬
meidliches Loos, in solchem Falle getäuscht zu werden. Er nahm sich vor,
die Adresse des ganzen Gedichts zu ändern und widmete das Werk, welches
nach seiner concreten, individualisirenden Darstellungsweise bislang den Leser
schlechtweg apostrophirte und ihn je nach Umständen zurechtwies oder auf¬
munterte, dem einen Menenius. Dieser Stimmung des Dichters verdankt
die Ueberarbeitung des ersten und zweiten Buchs und der Entwurf des fünf¬
ten Buchs die vielfach auffälligen Beziehungen auf Menenius. Wir glauben
in dem damals (58) gedichteten neuen Proömium des Gedichts (das alte:
^.vis, ?ivriäuM etc. IV., I. sey. wurde bei Seite geschoben) noch die Fär¬
bung zu erkennen, welche Menenius der politischen Wirksamkeit Cäsars zu
geben wußte. Es ist ein Hymnus aus die Stamm-Mutter des Julischen Ge¬
schlechts, die auch durch die öfter erwähnten Münzen der Memmier verherr¬
lichte Venus Genetrix, und schildert das in der ganzen Natur allmächtige
Walten der durch Liebe belebenden Göttin. Ihren Beistand erfleht der Dichter
für sein Werk, das ja ihrem erklärten Liebling Menenius gewidmet sei, und
bittet um Erhaltung des Friedens. Ihr sei es ein Leichtes, dem wilden
Kriegsgott die zum Kampf gerüsteten Waffen abzuschmeicheln und den für
die Vollendung des Gedichts, für die Wohlfahrt des Freundes nothwendigen
Frieden zu sichern. Bedeutungsvoll erscheint uns namentlich die liebliche
Schilderung der schmeichelnden Göttin, wenn wir an die kurz vorher abge-


Grenzbvtm IV. 1869. 18

anfangs leise angedeutete Sympathie für Cäsars Person eine bestimmte, seinen
Intentionen entsprechende Richtung. Aus dieser Zeit, aber auch erst aus
dieser Zeit datirt das Freundschaftsverhältniß zu Lucretius, für das wir einen
sprechenden Beleg in dem berühmten Prolog des ersten Buches besitzen. Den
Lehren seines Meisters getreu und dem geräuschvollen Treiben des öffentlichen
Lebens abgeneigt, hatte dieser beste Schüler des wahren Epikur seine ganze
Thätigkeit auf die Abfassung des leider unvollendet gebliebenen Gedichts über
das Wesen der Dinge verwandt. Der Plan des Ganzen stand fest, einzelne
Partien, z. B. die nach Thucydides bearbeitete Pest in Athen waren vollen¬
det und den kleinen Cirkeln, welche sich für eine ernstere Poesie erwärmen
mochten, zur Begutachtung mitgetheilt. Wirklich bekannt war Lucretius noch
nicht, — nun trat plötzlich eine hell erleuchtete, mit allen Reizen der Anmuth
geschmückte Persönlichkeit in den Kreis des Dichters und näherte sich ihm
wie einer, der gleichfalls nach Wahrheit, nach Erkenntniß, nach Wissen ein
aufrichtiges Verlangen trug. Wir wollen über die Selbsttäuschung des
Dichters, welcher eine Zeit lang in den Artigkeiten des Weltmannes freund¬
schaftliches Interesse, in den Verbindlichkeiten des politischen Intriguanten
persönliches Wohlwollen, in den Einreden des schlagfertigen, an die animirte
Conversation des Salons gewohnten Lion ein Suchen nach Wahrheit zu
finden glaubte, nicht lächeln, denn es ist gerade der edelsten Naturen unver¬
meidliches Loos, in solchem Falle getäuscht zu werden. Er nahm sich vor,
die Adresse des ganzen Gedichts zu ändern und widmete das Werk, welches
nach seiner concreten, individualisirenden Darstellungsweise bislang den Leser
schlechtweg apostrophirte und ihn je nach Umständen zurechtwies oder auf¬
munterte, dem einen Menenius. Dieser Stimmung des Dichters verdankt
die Ueberarbeitung des ersten und zweiten Buchs und der Entwurf des fünf¬
ten Buchs die vielfach auffälligen Beziehungen auf Menenius. Wir glauben
in dem damals (58) gedichteten neuen Proömium des Gedichts (das alte:
^.vis, ?ivriäuM etc. IV., I. sey. wurde bei Seite geschoben) noch die Fär¬
bung zu erkennen, welche Menenius der politischen Wirksamkeit Cäsars zu
geben wußte. Es ist ein Hymnus aus die Stamm-Mutter des Julischen Ge¬
schlechts, die auch durch die öfter erwähnten Münzen der Memmier verherr¬
lichte Venus Genetrix, und schildert das in der ganzen Natur allmächtige
Walten der durch Liebe belebenden Göttin. Ihren Beistand erfleht der Dichter
für sein Werk, das ja ihrem erklärten Liebling Menenius gewidmet sei, und
bittet um Erhaltung des Friedens. Ihr sei es ein Leichtes, dem wilden
Kriegsgott die zum Kampf gerüsteten Waffen abzuschmeicheln und den für
die Vollendung des Gedichts, für die Wohlfahrt des Freundes nothwendigen
Frieden zu sichern. Bedeutungsvoll erscheint uns namentlich die liebliche
Schilderung der schmeichelnden Göttin, wenn wir an die kurz vorher abge-


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[0145] anfangs leise angedeutete Sympathie für Cäsars Person eine bestimmte, seinen Intentionen entsprechende Richtung. Aus dieser Zeit, aber auch erst aus dieser Zeit datirt das Freundschaftsverhältniß zu Lucretius, für das wir einen sprechenden Beleg in dem berühmten Prolog des ersten Buches besitzen. Den Lehren seines Meisters getreu und dem geräuschvollen Treiben des öffentlichen Lebens abgeneigt, hatte dieser beste Schüler des wahren Epikur seine ganze Thätigkeit auf die Abfassung des leider unvollendet gebliebenen Gedichts über das Wesen der Dinge verwandt. Der Plan des Ganzen stand fest, einzelne Partien, z. B. die nach Thucydides bearbeitete Pest in Athen waren vollen¬ det und den kleinen Cirkeln, welche sich für eine ernstere Poesie erwärmen mochten, zur Begutachtung mitgetheilt. Wirklich bekannt war Lucretius noch nicht, — nun trat plötzlich eine hell erleuchtete, mit allen Reizen der Anmuth geschmückte Persönlichkeit in den Kreis des Dichters und näherte sich ihm wie einer, der gleichfalls nach Wahrheit, nach Erkenntniß, nach Wissen ein aufrichtiges Verlangen trug. Wir wollen über die Selbsttäuschung des Dichters, welcher eine Zeit lang in den Artigkeiten des Weltmannes freund¬ schaftliches Interesse, in den Verbindlichkeiten des politischen Intriguanten persönliches Wohlwollen, in den Einreden des schlagfertigen, an die animirte Conversation des Salons gewohnten Lion ein Suchen nach Wahrheit zu finden glaubte, nicht lächeln, denn es ist gerade der edelsten Naturen unver¬ meidliches Loos, in solchem Falle getäuscht zu werden. Er nahm sich vor, die Adresse des ganzen Gedichts zu ändern und widmete das Werk, welches nach seiner concreten, individualisirenden Darstellungsweise bislang den Leser schlechtweg apostrophirte und ihn je nach Umständen zurechtwies oder auf¬ munterte, dem einen Menenius. Dieser Stimmung des Dichters verdankt die Ueberarbeitung des ersten und zweiten Buchs und der Entwurf des fünf¬ ten Buchs die vielfach auffälligen Beziehungen auf Menenius. Wir glauben in dem damals (58) gedichteten neuen Proömium des Gedichts (das alte: ^.vis, ?ivriäuM etc. IV., I. sey. wurde bei Seite geschoben) noch die Fär¬ bung zu erkennen, welche Menenius der politischen Wirksamkeit Cäsars zu geben wußte. Es ist ein Hymnus aus die Stamm-Mutter des Julischen Ge¬ schlechts, die auch durch die öfter erwähnten Münzen der Memmier verherr¬ lichte Venus Genetrix, und schildert das in der ganzen Natur allmächtige Walten der durch Liebe belebenden Göttin. Ihren Beistand erfleht der Dichter für sein Werk, das ja ihrem erklärten Liebling Menenius gewidmet sei, und bittet um Erhaltung des Friedens. Ihr sei es ein Leichtes, dem wilden Kriegsgott die zum Kampf gerüsteten Waffen abzuschmeicheln und den für die Vollendung des Gedichts, für die Wohlfahrt des Freundes nothwendigen Frieden zu sichern. Bedeutungsvoll erscheint uns namentlich die liebliche Schilderung der schmeichelnden Göttin, wenn wir an die kurz vorher abge- Grenzbvtm IV. 1869. 18

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/145>, abgerufen am 22.07.2024.