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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Näherung herbei. Es herrschte damals ein schlechter Geist unter den Vor-
nehmen der Stadt, unser Gajus war der Schlimmsten einer. Ein ernstes
Ziel verfolgten nur wenige, forcirter Lebensgenuß galt als die Parole
des Tags. Warum sollte man sich auch die Freude des Augensblicks durch
die Erinnerung an ernste Sachen verderben? Die Senatssitzungen wurden
selten besucht, und nur wenn die Verhandlungen dem verwüsteten Nerven¬
system der professionirten Spieler die pikanten Momente und affectreichen
Situationen einer interessanten Partie mit hohen Einsalzen und eventuellen
Ruin einer hochstehenden Persönlichkeit in Aussicht stellten, nur dann saßen
die Väter der Stadt vollzählig und aufmerksam auf ihren Plätzen. Den ver¬
wöhnten Zuschauern eines Schauspiels vergleichbar verlangten sie ihrer großen
Mehrzahl nach nur aufregendes Amüsement von den jeweiligen Acteurs, d. h.
den Beamten, und behielten sich eine eingreifende Thätigkeit nur für diejenigen
Abschnitte des Lebens vor, wo auch sie zur Befriedigung ihrer Eitelkeit oder
Habsucht auftreten und als Prätoren oder Consuln eine Rolle spielen mußten.
Was sie dann spielen würden, kümmerte sie wenig. Es war eine olioss eon-
Völlus, daß keine Antecedentien banden, und mit Bestimmtheit zu erwarten,
daß jeder sensationsvolle Coup auch seine Bewunderer fand. Freilich galt
das nur von der großen Mehrheit der gleichgestimmten Seelen, es gab auch
in jener Zeit der allgemeinen Auflösung ernstere Charaktere, denen pflicht¬
getreues Handeln eine liebe Gewohnheit war, oder welche Principien nicht
blos zur Parade in den Mund nahmen, sondern sie auch zur Richtschnur ihres
Handelns machten. Ein Lucull und Cato spielten nicht mit und blieben dem
Menenius unversöhnliche Feinde ihr Leben lang; die übrigen finden wir im
Jahre 89 wieder gut mit ihm befreundet. Er galt für einen der ersten guten,
d. h. regierungsfreundlich gesinnten Bürger, und Cicero spricht in einem
Briefe an seinen Bruder seine Freude über die Wahl des Menenius zum
Prätor aus, der übrigens nur dafür bekannt war, daß er ganze Tage lang
Würfel spielte oder gern vornehme Römerinnen verführte, wie die Gemahlin
des L. Lucullus. -- Das Debüt des neuen Prätors in den ersten Senats¬
sitzungen des Jahres 68 war ein glänzendes. Menenius und Domitius Ahenob.
griffen in ihrem Referat der g-elf, 69 die Julischen Gesetze als ungiltig, weil
ius-uspieato durchgeführt, in der heftigsten Weise an. Es wurde drei Tage lang
gestritten, und die Gegner sagten und schrieben einander öffentlich die bittersten
Sachen. Menenius warf unter anderem dem designirter Statthalter beider Gallien
sein früheres Verhältniß zum Könige von Bithynien vor, aber er zog wieder
den Kürzeren, und Cäsar ging ungefährdet in die Provinz. Um doch Eins
durchzusetzen, forderte man den früheren Quästor, jetzigen Legaten Cäsars.
P. Vatinius vor den Stuhl des städtischen Prätors und war des Verdicts
von Seiten dieses Richters sicher. Er ließ es an dem nöthigen Eiser nicht


Näherung herbei. Es herrschte damals ein schlechter Geist unter den Vor-
nehmen der Stadt, unser Gajus war der Schlimmsten einer. Ein ernstes
Ziel verfolgten nur wenige, forcirter Lebensgenuß galt als die Parole
des Tags. Warum sollte man sich auch die Freude des Augensblicks durch
die Erinnerung an ernste Sachen verderben? Die Senatssitzungen wurden
selten besucht, und nur wenn die Verhandlungen dem verwüsteten Nerven¬
system der professionirten Spieler die pikanten Momente und affectreichen
Situationen einer interessanten Partie mit hohen Einsalzen und eventuellen
Ruin einer hochstehenden Persönlichkeit in Aussicht stellten, nur dann saßen
die Väter der Stadt vollzählig und aufmerksam auf ihren Plätzen. Den ver¬
wöhnten Zuschauern eines Schauspiels vergleichbar verlangten sie ihrer großen
Mehrzahl nach nur aufregendes Amüsement von den jeweiligen Acteurs, d. h.
den Beamten, und behielten sich eine eingreifende Thätigkeit nur für diejenigen
Abschnitte des Lebens vor, wo auch sie zur Befriedigung ihrer Eitelkeit oder
Habsucht auftreten und als Prätoren oder Consuln eine Rolle spielen mußten.
Was sie dann spielen würden, kümmerte sie wenig. Es war eine olioss eon-
Völlus, daß keine Antecedentien banden, und mit Bestimmtheit zu erwarten,
daß jeder sensationsvolle Coup auch seine Bewunderer fand. Freilich galt
das nur von der großen Mehrheit der gleichgestimmten Seelen, es gab auch
in jener Zeit der allgemeinen Auflösung ernstere Charaktere, denen pflicht¬
getreues Handeln eine liebe Gewohnheit war, oder welche Principien nicht
blos zur Parade in den Mund nahmen, sondern sie auch zur Richtschnur ihres
Handelns machten. Ein Lucull und Cato spielten nicht mit und blieben dem
Menenius unversöhnliche Feinde ihr Leben lang; die übrigen finden wir im
Jahre 89 wieder gut mit ihm befreundet. Er galt für einen der ersten guten,
d. h. regierungsfreundlich gesinnten Bürger, und Cicero spricht in einem
Briefe an seinen Bruder seine Freude über die Wahl des Menenius zum
Prätor aus, der übrigens nur dafür bekannt war, daß er ganze Tage lang
Würfel spielte oder gern vornehme Römerinnen verführte, wie die Gemahlin
des L. Lucullus. — Das Debüt des neuen Prätors in den ersten Senats¬
sitzungen des Jahres 68 war ein glänzendes. Menenius und Domitius Ahenob.
griffen in ihrem Referat der g-elf, 69 die Julischen Gesetze als ungiltig, weil
ius-uspieato durchgeführt, in der heftigsten Weise an. Es wurde drei Tage lang
gestritten, und die Gegner sagten und schrieben einander öffentlich die bittersten
Sachen. Menenius warf unter anderem dem designirter Statthalter beider Gallien
sein früheres Verhältniß zum Könige von Bithynien vor, aber er zog wieder
den Kürzeren, und Cäsar ging ungefährdet in die Provinz. Um doch Eins
durchzusetzen, forderte man den früheren Quästor, jetzigen Legaten Cäsars.
P. Vatinius vor den Stuhl des städtischen Prätors und war des Verdicts
von Seiten dieses Richters sicher. Er ließ es an dem nöthigen Eiser nicht


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[0143] Näherung herbei. Es herrschte damals ein schlechter Geist unter den Vor- nehmen der Stadt, unser Gajus war der Schlimmsten einer. Ein ernstes Ziel verfolgten nur wenige, forcirter Lebensgenuß galt als die Parole des Tags. Warum sollte man sich auch die Freude des Augensblicks durch die Erinnerung an ernste Sachen verderben? Die Senatssitzungen wurden selten besucht, und nur wenn die Verhandlungen dem verwüsteten Nerven¬ system der professionirten Spieler die pikanten Momente und affectreichen Situationen einer interessanten Partie mit hohen Einsalzen und eventuellen Ruin einer hochstehenden Persönlichkeit in Aussicht stellten, nur dann saßen die Väter der Stadt vollzählig und aufmerksam auf ihren Plätzen. Den ver¬ wöhnten Zuschauern eines Schauspiels vergleichbar verlangten sie ihrer großen Mehrzahl nach nur aufregendes Amüsement von den jeweiligen Acteurs, d. h. den Beamten, und behielten sich eine eingreifende Thätigkeit nur für diejenigen Abschnitte des Lebens vor, wo auch sie zur Befriedigung ihrer Eitelkeit oder Habsucht auftreten und als Prätoren oder Consuln eine Rolle spielen mußten. Was sie dann spielen würden, kümmerte sie wenig. Es war eine olioss eon- Völlus, daß keine Antecedentien banden, und mit Bestimmtheit zu erwarten, daß jeder sensationsvolle Coup auch seine Bewunderer fand. Freilich galt das nur von der großen Mehrheit der gleichgestimmten Seelen, es gab auch in jener Zeit der allgemeinen Auflösung ernstere Charaktere, denen pflicht¬ getreues Handeln eine liebe Gewohnheit war, oder welche Principien nicht blos zur Parade in den Mund nahmen, sondern sie auch zur Richtschnur ihres Handelns machten. Ein Lucull und Cato spielten nicht mit und blieben dem Menenius unversöhnliche Feinde ihr Leben lang; die übrigen finden wir im Jahre 89 wieder gut mit ihm befreundet. Er galt für einen der ersten guten, d. h. regierungsfreundlich gesinnten Bürger, und Cicero spricht in einem Briefe an seinen Bruder seine Freude über die Wahl des Menenius zum Prätor aus, der übrigens nur dafür bekannt war, daß er ganze Tage lang Würfel spielte oder gern vornehme Römerinnen verführte, wie die Gemahlin des L. Lucullus. — Das Debüt des neuen Prätors in den ersten Senats¬ sitzungen des Jahres 68 war ein glänzendes. Menenius und Domitius Ahenob. griffen in ihrem Referat der g-elf, 69 die Julischen Gesetze als ungiltig, weil ius-uspieato durchgeführt, in der heftigsten Weise an. Es wurde drei Tage lang gestritten, und die Gegner sagten und schrieben einander öffentlich die bittersten Sachen. Menenius warf unter anderem dem designirter Statthalter beider Gallien sein früheres Verhältniß zum Könige von Bithynien vor, aber er zog wieder den Kürzeren, und Cäsar ging ungefährdet in die Provinz. Um doch Eins durchzusetzen, forderte man den früheren Quästor, jetzigen Legaten Cäsars. P. Vatinius vor den Stuhl des städtischen Prätors und war des Verdicts von Seiten dieses Richters sicher. Er ließ es an dem nöthigen Eiser nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/143>, abgerufen am 22.07.2024.