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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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nicht später als 98 setzen, ebensowenig acht Jahre früher, wie man in Folge
einer Verwechselung mit Gajus Menenius, Gajus' Sohn, der 76 als Quästor
in Spanien stand, gethan hat, denn in diesem Falle würde sich ein Lebens¬
alter ergeben, welches im Widerspruch stände mit den notorischen Beziehungen
zu dem jüngeren Cäsar (geb. 100) und Lucretius (94--50).

Der erste Zeitabschnitt, welchen wir von der Geburt bis zu dem Jahre
setzen, wo Gajus selbständig in das Staatsleben einzugreifen versuchte, ver¬
lief dem Manne,


"den die Göttin der Anmuth
allezeit allen voran mit den herrlichsten Gaben geziert hat"

einem schönen Traume gleich, wie ihn die Vorsehung wohl einzelnen von
der Welt in ihrem Unverstand neidvoll gehaßten "Lieblingen des Glücks" ver¬
leiht. Der Vater Lucius trat im öffentlichen Leben zu wenig hervor, war
weder mit Sulla noch Marius liirt, so blieben ihm Leben und Ver¬
mögen von beiden siegenden Parteien unangetastet, wie denn Cicero den ihm
bekannten Redner nicht mit unter den proscribirten Zierden der Rednerbühne
nennt. Die nicht gewöhnlichen Anlagen des Knaben wurden augenscheinlich
unter den Augen einer feingebildeten und aufmerksamen Mutter, die Wohl
auch Gewalt über den Vater hatte, von geschickten Lehrern ausgebildet. Der
erwachsene Gajus zeigt wenigstens eine Virtuosität in allen Dingen, worauf
von Anbeginn der Welt die Frauen das größte Gewicht gelegt haben,
und läßt nur eine sittlich geläuterte Willenskraft vermissen, welche ohne ge¬
räuschvolle Vorbereitungen naturgemäß durch das Beispiel und das zeitgemäße
Wort des Vaters vermittelt wird. Er hatte eine Feinheit der geselligen
Bildung erlangt, welche noch Wieland mit Hochachtung erfüllen konnte, weil
sie dem in den höchsten Kreisen der Hauptstadt beliebten Cicero die aus¬
gesuchteste Höflichkeit gegen den Exilirten abnöthigte. Bei großer Lebhaftig¬
keit des Temperaments, welche sich im reiferen Lebensalter leicht zu maßloser
Heftigkeit fortreißen ließ, stand ihm eine laermäig, oris zu Gebote, die je nach
den Umständen in Galanterien, Bonmots, beißendem Witz, poetischen Im¬
promptus, sogar in zusammenhängenden Reden aus dem Stegreif glänzte.
Dabei besaß er eine ungeheure Bekanntschaft mit den litterarischen Producten
der Zeit, vollständige Herrschaft über die griechische Sprache, seines Kunst¬
urtheil nach der neuesten Mode, stand im Ruf eines gedruckten Dichters und
war stolz nicht blos auf Schönheit -- man nannte ihn den römischen Paris --
sondern auch aus Kraft des Körpers, denn ohne letztere hätte wohl der über¬
raschte Liebhaber der Gattin, L. Octavius, sich seiner Knute leicht entzogen.

So ergibt sich eine Summe von Prädicaten, welche ihrer großentheils
formalen Natur nach allerdings erst durch innigen Anschluß an ein inhalt¬
schweres Subject ihre volle Bedeutung erlangen, aber einem jungen Manne,


nicht später als 98 setzen, ebensowenig acht Jahre früher, wie man in Folge
einer Verwechselung mit Gajus Menenius, Gajus' Sohn, der 76 als Quästor
in Spanien stand, gethan hat, denn in diesem Falle würde sich ein Lebens¬
alter ergeben, welches im Widerspruch stände mit den notorischen Beziehungen
zu dem jüngeren Cäsar (geb. 100) und Lucretius (94—50).

Der erste Zeitabschnitt, welchen wir von der Geburt bis zu dem Jahre
setzen, wo Gajus selbständig in das Staatsleben einzugreifen versuchte, ver¬
lief dem Manne,


„den die Göttin der Anmuth
allezeit allen voran mit den herrlichsten Gaben geziert hat"

einem schönen Traume gleich, wie ihn die Vorsehung wohl einzelnen von
der Welt in ihrem Unverstand neidvoll gehaßten „Lieblingen des Glücks" ver¬
leiht. Der Vater Lucius trat im öffentlichen Leben zu wenig hervor, war
weder mit Sulla noch Marius liirt, so blieben ihm Leben und Ver¬
mögen von beiden siegenden Parteien unangetastet, wie denn Cicero den ihm
bekannten Redner nicht mit unter den proscribirten Zierden der Rednerbühne
nennt. Die nicht gewöhnlichen Anlagen des Knaben wurden augenscheinlich
unter den Augen einer feingebildeten und aufmerksamen Mutter, die Wohl
auch Gewalt über den Vater hatte, von geschickten Lehrern ausgebildet. Der
erwachsene Gajus zeigt wenigstens eine Virtuosität in allen Dingen, worauf
von Anbeginn der Welt die Frauen das größte Gewicht gelegt haben,
und läßt nur eine sittlich geläuterte Willenskraft vermissen, welche ohne ge¬
räuschvolle Vorbereitungen naturgemäß durch das Beispiel und das zeitgemäße
Wort des Vaters vermittelt wird. Er hatte eine Feinheit der geselligen
Bildung erlangt, welche noch Wieland mit Hochachtung erfüllen konnte, weil
sie dem in den höchsten Kreisen der Hauptstadt beliebten Cicero die aus¬
gesuchteste Höflichkeit gegen den Exilirten abnöthigte. Bei großer Lebhaftig¬
keit des Temperaments, welche sich im reiferen Lebensalter leicht zu maßloser
Heftigkeit fortreißen ließ, stand ihm eine laermäig, oris zu Gebote, die je nach
den Umständen in Galanterien, Bonmots, beißendem Witz, poetischen Im¬
promptus, sogar in zusammenhängenden Reden aus dem Stegreif glänzte.
Dabei besaß er eine ungeheure Bekanntschaft mit den litterarischen Producten
der Zeit, vollständige Herrschaft über die griechische Sprache, seines Kunst¬
urtheil nach der neuesten Mode, stand im Ruf eines gedruckten Dichters und
war stolz nicht blos auf Schönheit — man nannte ihn den römischen Paris —
sondern auch aus Kraft des Körpers, denn ohne letztere hätte wohl der über¬
raschte Liebhaber der Gattin, L. Octavius, sich seiner Knute leicht entzogen.

So ergibt sich eine Summe von Prädicaten, welche ihrer großentheils
formalen Natur nach allerdings erst durch innigen Anschluß an ein inhalt¬
schweres Subject ihre volle Bedeutung erlangen, aber einem jungen Manne,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/140>, abgerufen am 24.08.2024.