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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Ministerium Ratazzi die Kirchengüterangelegenheit wenigstens zu einem vor¬
läufigen Abschluß gediehen. Zwar hatte der Vertrag, den der Finanzminister
Ferrara mit dem Haus Erlanger abschloß, und der binnen vier Jahren dem
Staatsschatz 430 Mill. auf die Kirchengütec einbringen sollte, -- so herab¬
gemindert waren bereits die Schätzungen des Ertrags aus diesem Geschäft --
den Beifall der Kammer nicht gefunden, und Ferrara hatte seine Entlassung
nehmen müssen, sein Portefeuille an Ratazzi überlassend, der keinen anderen
Finanzminister aufzufinden vermochte. Aber der weit radicalere Entwurf,
den die Commission ausgearbeitet hatte, fand endlich die Mehrheit, trotzdem
die Consorterie den Entwurf als zu brutal lebhaft bekämpft hatte und auch
die Linke unzufrieden darüber war, daß der Ertrag nunmehr nur noch auf
400 Mill. angeschlagen wurde. Denn das Gesetz vom 28. Juli 1867 er¬
mächtigte den Minister, so viele Obligationen auf die Kirchengüter aus¬
zugeben, als zur Realisirung einer effectiven Summe von 400 Mill. erforder¬
lich wären. Diese Obligationen, zu S Proc., sollten bei dem künstigen Ver¬
kauf der Güter al pari angenommen werden. Es kam nun nur darauf an,
die Obligationen unterzubringen, und das war die schwache Seite des Ent¬
wurfs. Denn als am 27. October in Folge der Ereignisse im Kirchenstaat
und der neuen französischen Expedition nach Rom das Ministerium Me-
nabrea ins Amt trat, waren von jenen 400 Mill. kaum 1^2 Mill. gezeichnet.

Es war eine wenig beneidenswerthe Erbschaft, die das neue Ministerium
antrat. Schon die Art seiner Ernennung -- während der Vertagung und
ohne daß ein Votum der Kammer .mitgewirkt hätte -- bereitete ihm eine
schwierige Stellung. Es hatte die undankbare Aufgabe, die Thatsache der
erneuten Besetzung Roms hinzunehmen, während im Uebrigen die aus dem
Septembervertrag fließenden Verpflichtungen in Kraft blieben und namentlich
in Betreff der Zahlung der päpstlichen Schuld Frankreich unerbittlich war.
Die extremen Parteien, die so eben ihre Unfähigkeit glänzend bewiesen hatten,
beeilten sich, dadurch Rache zu nehmen, daß sie die Minister als Vasallen
des Tuilerienkabinets herunterrissen, obwohl die Erklärungen Menabrea's
zeigten, daß er um keinen Fußbreit von der Linie des nationalen Programms
abwich und die später veröffentlichte diplomatische Correspondenz urkundlich
erwies, daß das Ministerium, sobald es sich fest fühlte und Vertrauen in
seine Loyalität beanspruchen zu können glaubte, sofort Versuche gemacht hatte,
die Wiederräumung des Kirchenstaats zu erwirken und Frankreich zum Rück¬
zug auf die Stipulationen des Septembervertrags zu bewegen, was freilich
Napoleon schon aus dem Grund nicht zugestehen konnte, weil er es ange¬
sichts der bevorstehenden Wahlen in Frankreich nicht mit der clericalen Partei
verderben durfte. Das neue Ministerium sollte vor Allem ein Ministerium
der Loyalität sein, und dies war nach der Amtsführung Natazzi's auch das


Ministerium Ratazzi die Kirchengüterangelegenheit wenigstens zu einem vor¬
läufigen Abschluß gediehen. Zwar hatte der Vertrag, den der Finanzminister
Ferrara mit dem Haus Erlanger abschloß, und der binnen vier Jahren dem
Staatsschatz 430 Mill. auf die Kirchengütec einbringen sollte, — so herab¬
gemindert waren bereits die Schätzungen des Ertrags aus diesem Geschäft —
den Beifall der Kammer nicht gefunden, und Ferrara hatte seine Entlassung
nehmen müssen, sein Portefeuille an Ratazzi überlassend, der keinen anderen
Finanzminister aufzufinden vermochte. Aber der weit radicalere Entwurf,
den die Commission ausgearbeitet hatte, fand endlich die Mehrheit, trotzdem
die Consorterie den Entwurf als zu brutal lebhaft bekämpft hatte und auch
die Linke unzufrieden darüber war, daß der Ertrag nunmehr nur noch auf
400 Mill. angeschlagen wurde. Denn das Gesetz vom 28. Juli 1867 er¬
mächtigte den Minister, so viele Obligationen auf die Kirchengüter aus¬
zugeben, als zur Realisirung einer effectiven Summe von 400 Mill. erforder¬
lich wären. Diese Obligationen, zu S Proc., sollten bei dem künstigen Ver¬
kauf der Güter al pari angenommen werden. Es kam nun nur darauf an,
die Obligationen unterzubringen, und das war die schwache Seite des Ent¬
wurfs. Denn als am 27. October in Folge der Ereignisse im Kirchenstaat
und der neuen französischen Expedition nach Rom das Ministerium Me-
nabrea ins Amt trat, waren von jenen 400 Mill. kaum 1^2 Mill. gezeichnet.

Es war eine wenig beneidenswerthe Erbschaft, die das neue Ministerium
antrat. Schon die Art seiner Ernennung — während der Vertagung und
ohne daß ein Votum der Kammer .mitgewirkt hätte — bereitete ihm eine
schwierige Stellung. Es hatte die undankbare Aufgabe, die Thatsache der
erneuten Besetzung Roms hinzunehmen, während im Uebrigen die aus dem
Septembervertrag fließenden Verpflichtungen in Kraft blieben und namentlich
in Betreff der Zahlung der päpstlichen Schuld Frankreich unerbittlich war.
Die extremen Parteien, die so eben ihre Unfähigkeit glänzend bewiesen hatten,
beeilten sich, dadurch Rache zu nehmen, daß sie die Minister als Vasallen
des Tuilerienkabinets herunterrissen, obwohl die Erklärungen Menabrea's
zeigten, daß er um keinen Fußbreit von der Linie des nationalen Programms
abwich und die später veröffentlichte diplomatische Correspondenz urkundlich
erwies, daß das Ministerium, sobald es sich fest fühlte und Vertrauen in
seine Loyalität beanspruchen zu können glaubte, sofort Versuche gemacht hatte,
die Wiederräumung des Kirchenstaats zu erwirken und Frankreich zum Rück¬
zug auf die Stipulationen des Septembervertrags zu bewegen, was freilich
Napoleon schon aus dem Grund nicht zugestehen konnte, weil er es ange¬
sichts der bevorstehenden Wahlen in Frankreich nicht mit der clericalen Partei
verderben durfte. Das neue Ministerium sollte vor Allem ein Ministerium
der Loyalität sein, und dies war nach der Amtsführung Natazzi's auch das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/12>, abgerufen am 22.07.2024.