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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band.

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Odyssee" zu sprechen. Herr Gerland sucht nämlich zu beweisen, daß den Er¬
zählungen der Odyssee von der Insel der Phäaken, welche nach den von ganz
anderen Gesichtspunkten aus ausgehenden Untersuchungen Kirchhoffs über
die Composition der Odyssee zu den jüngsten Bestandtheilen des großen
Gedichtes gehören, ein Märchen zu Grunde liegt, das sich in einer im Ein¬
zelnen modificirten aber doch in seiner Gesammtheit wohl erkennbaren Fassung
auch in einem Märchen der Sammlung des Somadeva (1103 n. Chr. u. kurz
nachher abgefaßt), erhalten habe.

Manchem klassisch gebildeten Schulmanne, der bei der Herbeiziehung eines
soweit abliegenden Stoffes zur Erklärung der Entstehung von Gesängen seines
Homers etwas ängstlich zu Muth wird, wird es vielleicht schon etwas zur
Beruhigung dienen, daß schon Welcker jener Erzählung von den Phäaken und
den Inseln der Seligen nicht nur einen nicht ursprünglich griechischen Ursprung
zugeschrieben, sondern in dem kunstreichsten Gebilde der Poesie einen Bestand¬
theil aus dem Lande nordischer Barbaren aufgezeigt hat. Welcker bringt
die homerische Dichtung in Verbindung mit der alten, uns aufbewahrten
Sage von den "teutonischen Todtenschiffern", und erklärt: Mir hat sich
die Ueberzeugung aufgedrungen, daß diese Schiffer, die sich aus dem weit¬
räumiger Oberland, aus dem Bereiche der gewaltsamen Kyklopen in die
Abgeschiedenheit zurückzogen und fern von den erwerbsamen Menschen und
unzugänglich ihren Angriffen leben, den Göttern hingegen nahe stehen und
in den glücklichen Himmelsstrichen, wo Elysion liegt und das Hyperboräer
Land, in ewigem Frühling ein heiteres, harmloses Leben führen, stets ver¬
gnügt bei Mahl, Saitenspiel und Tanz, die nur schiffen, um die in der Irre
Umherschweifenden zur Heimath zu bringen, deren Schiff ohne Steuer seinen
Weg von selbst findet und niemals Gefahr läuft, daß die Dunkelmänner
vom Küstenlande, die von Dunkel umhüllt in der Nacht fahren, ohne
daß des Windes, der sie treibt, gedacht wird, und ihren Mann in tiefem,
dem Tod ganz ähnlichen Schlaf zur Heimath bringen und keinem die
Fahrt verweigern, nichts anderes sein können, als die Fährmänner
des Todes in irgend einer ausländischen entfernten Religion und
Sage, die in die hellenische Heldenpoesie gezogen, eine schöner erfun¬
dene Bestimmung nie erhalten konnten, als die, den geprüften Dulder
Odysseus nach allen Irrfahrten in seine oberirdische Heimath zurückzubringen."
(Kleine Schriften II. S. 14.) Ohne auf diese Deutung Welckers, die Ger¬
land gewiß nicht unbekannt war, Rücksicht zu nehmen, hat dieser nun aus¬
geführt, wie die Erzählung der Irrfahrten des Odysseus mit der Geschichte
des Brahmanen Saktidewo, die Somadeva erzählt, verwandt sei und die
homerischen Phäaken mit den indischen WidrMharen, Halbgöttern von
himmlischer Weisheit und Unsterblichkeit, vollendeter Schönheit und Glück-


Odyssee" zu sprechen. Herr Gerland sucht nämlich zu beweisen, daß den Er¬
zählungen der Odyssee von der Insel der Phäaken, welche nach den von ganz
anderen Gesichtspunkten aus ausgehenden Untersuchungen Kirchhoffs über
die Composition der Odyssee zu den jüngsten Bestandtheilen des großen
Gedichtes gehören, ein Märchen zu Grunde liegt, das sich in einer im Ein¬
zelnen modificirten aber doch in seiner Gesammtheit wohl erkennbaren Fassung
auch in einem Märchen der Sammlung des Somadeva (1103 n. Chr. u. kurz
nachher abgefaßt), erhalten habe.

Manchem klassisch gebildeten Schulmanne, der bei der Herbeiziehung eines
soweit abliegenden Stoffes zur Erklärung der Entstehung von Gesängen seines
Homers etwas ängstlich zu Muth wird, wird es vielleicht schon etwas zur
Beruhigung dienen, daß schon Welcker jener Erzählung von den Phäaken und
den Inseln der Seligen nicht nur einen nicht ursprünglich griechischen Ursprung
zugeschrieben, sondern in dem kunstreichsten Gebilde der Poesie einen Bestand¬
theil aus dem Lande nordischer Barbaren aufgezeigt hat. Welcker bringt
die homerische Dichtung in Verbindung mit der alten, uns aufbewahrten
Sage von den „teutonischen Todtenschiffern", und erklärt: Mir hat sich
die Ueberzeugung aufgedrungen, daß diese Schiffer, die sich aus dem weit¬
räumiger Oberland, aus dem Bereiche der gewaltsamen Kyklopen in die
Abgeschiedenheit zurückzogen und fern von den erwerbsamen Menschen und
unzugänglich ihren Angriffen leben, den Göttern hingegen nahe stehen und
in den glücklichen Himmelsstrichen, wo Elysion liegt und das Hyperboräer
Land, in ewigem Frühling ein heiteres, harmloses Leben führen, stets ver¬
gnügt bei Mahl, Saitenspiel und Tanz, die nur schiffen, um die in der Irre
Umherschweifenden zur Heimath zu bringen, deren Schiff ohne Steuer seinen
Weg von selbst findet und niemals Gefahr läuft, daß die Dunkelmänner
vom Küstenlande, die von Dunkel umhüllt in der Nacht fahren, ohne
daß des Windes, der sie treibt, gedacht wird, und ihren Mann in tiefem,
dem Tod ganz ähnlichen Schlaf zur Heimath bringen und keinem die
Fahrt verweigern, nichts anderes sein können, als die Fährmänner
des Todes in irgend einer ausländischen entfernten Religion und
Sage, die in die hellenische Heldenpoesie gezogen, eine schöner erfun¬
dene Bestimmung nie erhalten konnten, als die, den geprüften Dulder
Odysseus nach allen Irrfahrten in seine oberirdische Heimath zurückzubringen."
(Kleine Schriften II. S. 14.) Ohne auf diese Deutung Welckers, die Ger¬
land gewiß nicht unbekannt war, Rücksicht zu nehmen, hat dieser nun aus¬
geführt, wie die Erzählung der Irrfahrten des Odysseus mit der Geschichte
des Brahmanen Saktidewo, die Somadeva erzählt, verwandt sei und die
homerischen Phäaken mit den indischen WidrMharen, Halbgöttern von
himmlischer Weisheit und Unsterblichkeit, vollendeter Schönheit und Glück-


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[0114] Odyssee" zu sprechen. Herr Gerland sucht nämlich zu beweisen, daß den Er¬ zählungen der Odyssee von der Insel der Phäaken, welche nach den von ganz anderen Gesichtspunkten aus ausgehenden Untersuchungen Kirchhoffs über die Composition der Odyssee zu den jüngsten Bestandtheilen des großen Gedichtes gehören, ein Märchen zu Grunde liegt, das sich in einer im Ein¬ zelnen modificirten aber doch in seiner Gesammtheit wohl erkennbaren Fassung auch in einem Märchen der Sammlung des Somadeva (1103 n. Chr. u. kurz nachher abgefaßt), erhalten habe. Manchem klassisch gebildeten Schulmanne, der bei der Herbeiziehung eines soweit abliegenden Stoffes zur Erklärung der Entstehung von Gesängen seines Homers etwas ängstlich zu Muth wird, wird es vielleicht schon etwas zur Beruhigung dienen, daß schon Welcker jener Erzählung von den Phäaken und den Inseln der Seligen nicht nur einen nicht ursprünglich griechischen Ursprung zugeschrieben, sondern in dem kunstreichsten Gebilde der Poesie einen Bestand¬ theil aus dem Lande nordischer Barbaren aufgezeigt hat. Welcker bringt die homerische Dichtung in Verbindung mit der alten, uns aufbewahrten Sage von den „teutonischen Todtenschiffern", und erklärt: Mir hat sich die Ueberzeugung aufgedrungen, daß diese Schiffer, die sich aus dem weit¬ räumiger Oberland, aus dem Bereiche der gewaltsamen Kyklopen in die Abgeschiedenheit zurückzogen und fern von den erwerbsamen Menschen und unzugänglich ihren Angriffen leben, den Göttern hingegen nahe stehen und in den glücklichen Himmelsstrichen, wo Elysion liegt und das Hyperboräer Land, in ewigem Frühling ein heiteres, harmloses Leben führen, stets ver¬ gnügt bei Mahl, Saitenspiel und Tanz, die nur schiffen, um die in der Irre Umherschweifenden zur Heimath zu bringen, deren Schiff ohne Steuer seinen Weg von selbst findet und niemals Gefahr läuft, daß die Dunkelmänner vom Küstenlande, die von Dunkel umhüllt in der Nacht fahren, ohne daß des Windes, der sie treibt, gedacht wird, und ihren Mann in tiefem, dem Tod ganz ähnlichen Schlaf zur Heimath bringen und keinem die Fahrt verweigern, nichts anderes sein können, als die Fährmänner des Todes in irgend einer ausländischen entfernten Religion und Sage, die in die hellenische Heldenpoesie gezogen, eine schöner erfun¬ dene Bestimmung nie erhalten konnten, als die, den geprüften Dulder Odysseus nach allen Irrfahrten in seine oberirdische Heimath zurückzubringen." (Kleine Schriften II. S. 14.) Ohne auf diese Deutung Welckers, die Ger¬ land gewiß nicht unbekannt war, Rücksicht zu nehmen, hat dieser nun aus¬ geführt, wie die Erzählung der Irrfahrten des Odysseus mit der Geschichte des Brahmanen Saktidewo, die Somadeva erzählt, verwandt sei und die homerischen Phäaken mit den indischen WidrMharen, Halbgöttern von himmlischer Weisheit und Unsterblichkeit, vollendeter Schönheit und Glück-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121754/114>, abgerufen am 22.07.2024.