Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.zahlreicher besucht als je. Zwar wußte man im voraus, daß zu Paris die Die These der Orthodoxen auf der Pariser Conferenz war: "zu erklären, 12*
zahlreicher besucht als je. Zwar wußte man im voraus, daß zu Paris die Die These der Orthodoxen auf der Pariser Conferenz war: „zu erklären, 12*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0099" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121320"/> <p xml:id="ID_334" prev="#ID_333"> zahlreicher besucht als je. Zwar wußte man im voraus, daß zu Paris die<lb/> Orthodoxen, auf der Ulmer Conferenz, die vorzugsweise aus den Kirchen<lb/> des Südens besucht zu sein pflegt, die Liberalen die Mehrheit besitzen würden.<lb/> Allein eben dieses Verhältniß zeigt auch aufs klarste, wie widersinnig es war,<lb/> wenn die eine Partei den Anspruch auf Exclusivität erhob und der anderen<lb/> das Recht der Existenz innerhalb der Kirche bestritt.</p><lb/> <p xml:id="ID_335" next="#ID_336"> Die These der Orthodoxen auf der Pariser Conferenz war: „zu erklären,<lb/> daß die reformirte Kirche Frankreichs positive Lehren und constituirte Organe,<lb/> die darüber zu wachen berufen sind, besitzt." Vager konnte der Antrag nicht<lb/> wohl lauten, vorsichtiger der Grundgedanke, daß die Orthodoxie berechtigt<lb/> sei, was nicht zu, ihr gehöre, aus der Kirche auszuschließen, nicht verdeckt<lb/> werden. Die begründenden Reden der Orthodoxen hielten sich gleichfalls sehr<lb/> allgemein. Man vermied eine genaue Definition jener positiven Lehren,<lb/> offenbar, um die Nuancen zu verbergen, in welche die Orthodoxie selbst sich<lb/> spaltet. Und doch wurden eben diese nicht präeisirten und definirten Dogmen<lb/> zum Schiboleth gemacht, um diejenigen, welche man für richtige Protestanten<lb/> erklärte, von den übrigen scharf zu trennen. Diese specielle Aufgabe hatte<lb/> Guizot, das greise Haupt der Orthodoxen, übernommen. Er zählte in<lb/> der Weise eines päpstlichen Syllabus die hauptsächlichsten Negationen auf,<lb/> welche in unserer Zeit die Kirche bedrohen, und resümirte dagegen in einer<lb/> Erklärung die hauptsächlichsten Glaubensartikel, zu der sich seine Freunde be¬<lb/> kennen : „Wir haben vollen Glauben an die übernatürliche Thätigkeit Gottes<lb/> in der Regierung der Welt, an die göttliche und übernatürliche Eingebung<lb/> der heiligen Schrift, wie an ihre souveraine Autorität in religiösen Dingen,<lb/> an die ewige Göttlichkeit und die übernatürliche Geburt, wie an die Auf¬<lb/> erstehung unseres Herrn Jesus Christus, der Gottmensch, Erlöser und Heiland<lb/> der Menschen ist; wir sind überzeugt, daß diese Fundamente der christlichen Re¬<lb/> ligion auch die Fundamente der reformirten Kirche sind, welche sie positiv<lb/> als solche anerkannt hat." Also eine subjective Auswahl von Dogmen,<lb/> deren Einheit einzig der Begriff des Uebernatürlichen >war, von Dogmen<lb/> überdies, welche als allen christlichen Bekenntnissen gemeinsam erklärt wurden —<lb/> man muß gestehen, daß eine solche Orthodoxie wenig zuversichtlich auftrat.<lb/> Die Gegenerklärung der Liberalen ging davon aus, daß die Glaubensbekennt¬<lb/> nisse stets nur ein Element der Zwietracht gewesen und daß die beiden reli¬<lb/> giösen Tendenzen, die man Orthodoxie und Liberalismus nennt, herkömmlich<lb/> im französischen Protestantismus seien, und verlangte auf Grund hiervon<lb/> Anerkennung der Einheit der reformirten Kirche auf der doppelten Grund¬<lb/> lage des Evangeliums und der Freiheit der Gewissen. Sie verlangte Toleranz<lb/> für beide Richtungen, aber die Intoleranz trug den Sieg davon. Die von<lb/> Guizot beantragte Erklärung wurde angenommen und damit freilich nichts</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 12*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0099]
zahlreicher besucht als je. Zwar wußte man im voraus, daß zu Paris die
Orthodoxen, auf der Ulmer Conferenz, die vorzugsweise aus den Kirchen
des Südens besucht zu sein pflegt, die Liberalen die Mehrheit besitzen würden.
Allein eben dieses Verhältniß zeigt auch aufs klarste, wie widersinnig es war,
wenn die eine Partei den Anspruch auf Exclusivität erhob und der anderen
das Recht der Existenz innerhalb der Kirche bestritt.
Die These der Orthodoxen auf der Pariser Conferenz war: „zu erklären,
daß die reformirte Kirche Frankreichs positive Lehren und constituirte Organe,
die darüber zu wachen berufen sind, besitzt." Vager konnte der Antrag nicht
wohl lauten, vorsichtiger der Grundgedanke, daß die Orthodoxie berechtigt
sei, was nicht zu, ihr gehöre, aus der Kirche auszuschließen, nicht verdeckt
werden. Die begründenden Reden der Orthodoxen hielten sich gleichfalls sehr
allgemein. Man vermied eine genaue Definition jener positiven Lehren,
offenbar, um die Nuancen zu verbergen, in welche die Orthodoxie selbst sich
spaltet. Und doch wurden eben diese nicht präeisirten und definirten Dogmen
zum Schiboleth gemacht, um diejenigen, welche man für richtige Protestanten
erklärte, von den übrigen scharf zu trennen. Diese specielle Aufgabe hatte
Guizot, das greise Haupt der Orthodoxen, übernommen. Er zählte in
der Weise eines päpstlichen Syllabus die hauptsächlichsten Negationen auf,
welche in unserer Zeit die Kirche bedrohen, und resümirte dagegen in einer
Erklärung die hauptsächlichsten Glaubensartikel, zu der sich seine Freunde be¬
kennen : „Wir haben vollen Glauben an die übernatürliche Thätigkeit Gottes
in der Regierung der Welt, an die göttliche und übernatürliche Eingebung
der heiligen Schrift, wie an ihre souveraine Autorität in religiösen Dingen,
an die ewige Göttlichkeit und die übernatürliche Geburt, wie an die Auf¬
erstehung unseres Herrn Jesus Christus, der Gottmensch, Erlöser und Heiland
der Menschen ist; wir sind überzeugt, daß diese Fundamente der christlichen Re¬
ligion auch die Fundamente der reformirten Kirche sind, welche sie positiv
als solche anerkannt hat." Also eine subjective Auswahl von Dogmen,
deren Einheit einzig der Begriff des Uebernatürlichen >war, von Dogmen
überdies, welche als allen christlichen Bekenntnissen gemeinsam erklärt wurden —
man muß gestehen, daß eine solche Orthodoxie wenig zuversichtlich auftrat.
Die Gegenerklärung der Liberalen ging davon aus, daß die Glaubensbekennt¬
nisse stets nur ein Element der Zwietracht gewesen und daß die beiden reli¬
giösen Tendenzen, die man Orthodoxie und Liberalismus nennt, herkömmlich
im französischen Protestantismus seien, und verlangte auf Grund hiervon
Anerkennung der Einheit der reformirten Kirche auf der doppelten Grund¬
lage des Evangeliums und der Freiheit der Gewissen. Sie verlangte Toleranz
für beide Richtungen, aber die Intoleranz trug den Sieg davon. Die von
Guizot beantragte Erklärung wurde angenommen und damit freilich nichts
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