Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.Ungnade eines bureaukratischen Kirchenregiments legt dem freien Wort Unter diesen Umständen befindet sich die Orthodoxie in einer eigen¬ Mehrere Umstände wirkten zusammen, daß gerade in der Pariser Ge¬ ll"
Ungnade eines bureaukratischen Kirchenregiments legt dem freien Wort Unter diesen Umständen befindet sich die Orthodoxie in einer eigen¬ Mehrere Umstände wirkten zusammen, daß gerade in der Pariser Ge¬ ll"
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0091" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121312"/> <p xml:id="ID_312" prev="#ID_311"> Ungnade eines bureaukratischen Kirchenregiments legt dem freien Wort<lb/> Fesseln an.</p><lb/> <p xml:id="ID_313"> Unter diesen Umständen befindet sich die Orthodoxie in einer eigen¬<lb/> thümlichen Lage. Sie ist ihrem Princip nach exclusiv, das Monopol gehört<lb/> zu ihrem Begriff, sie hört auf Orthodoxie zu sein, wenn sie andere Rich¬<lb/> tungen als gleichberechtigt neben sich dulden muß. Seit lange ist deshalb<lb/> ihr Bestreben darauf gerichtet gewesen, die Mehrheit, die sie als die ältere<lb/> Richtung gegenwärtig unzweifelhaft noch besitzt, zu einer dauernden Be¬<lb/> festigung ihrer Herrschaft zu benutzen. In diesem Sinne agitirte sie für das<lb/> Institut der Synode, um durch diese eine neue Autorität in Glaubenssachen<lb/> aufzurichten, der die Minderheit sich zu fügen hätte, wenn sie es nicht vor¬<lb/> zöge, die Kirche zu verlassen. Und da diese ihre Bestrebungen bisher erfolglos<lb/> waren, bietet sie wenigstens überall da, wo sie thatsächlich im Besitz der<lb/> Gewalt ist, alle Mittel auf, dem Eindringen der gegnerischen Richtung einen<lb/> Riegel vorzuschieben. So vor Allem in Paris, wo diese Kämpfe, die weit<lb/> über Frankreich hinaus die Aufmerksamkeit auf sich lenkten, einen besonders<lb/> leidenschaftlichen Charakter angenommen haben. Die Absetzung Athanase<lb/> Coquerels des Jüngeren. Sohns des im vorigen Jahr verstorbenen viel¬<lb/> jährigen Hauptes der Pariser Liberalen, führte den Bruch des bis dahin<lb/> leidlich bewahrten Friedens unter den Parteien herbei, sie war das Signal,<lb/> welches die ganze reformirte Kirche in zwei feindliche Heerlager theilte.</p><lb/> <p xml:id="ID_314" next="#ID_315"> Mehrere Umstände wirkten zusammen, daß gerade in der Pariser Ge¬<lb/> meinde die Gegensätze so feindlich aufeinanderstießen. Paris war immer die<lb/> feste Burg der Orthodoxie gewesen, um welche sich die vorwiegend ortho¬<lb/> doxen Kirchen des Nordens gruppirten, während im Süden, in der alten<lb/> Heimath des Hugenottenthums, die liberale Meinung vorherrscht. Die Ortho¬<lb/> doxie der Hauptstadt hatte aber weniger dogmatische, als vielmehr wesentlich<lb/> hierarchische Motive. Der Presbyterialrath erneuerte sich bis zum Decret<lb/> von 1862 durch Selbstergänzung, und so kam es. daß die Leitung der<lb/> Pariser Gemeinde in die Hände einer Aristokratie gerieth. welche sich aus<lb/> Freunden und Verwandten zu recrutiren pflegte und nicht blos durch Be¬<lb/> setzung der Predigerstellen die Orthodoxie aufrecht erhielt, sondern durch das<lb/> Diaconen, dem die Armenpflege obliegt, eine eigentliche Herrschaft in der Ge¬<lb/> meinde ausübte. Es war dies eine Gruppe von Männern, welche unter<lb/> Louis Philipp eine hervorragende Stelle theils als Staatsmänner theils als<lb/> Finanzmänner gespielt hatten und in Guizot ihr geistiges Haupt verehrten.<lb/> Die Orthodoxie angreifen hieß also vor Allem das Monopol der Kirchen¬<lb/> leitung gefährden, das in diesen Händen lag. Kein Zweifel, daß es den<lb/> Herren Delessert, Umbri, Mallet u. f. w. um die Reinhaltung des Glaubens<lb/> zu thun war, aber noch mehr war ihnen darum zu thun, die süße Ge¬</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> ll"</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0091]
Ungnade eines bureaukratischen Kirchenregiments legt dem freien Wort
Fesseln an.
Unter diesen Umständen befindet sich die Orthodoxie in einer eigen¬
thümlichen Lage. Sie ist ihrem Princip nach exclusiv, das Monopol gehört
zu ihrem Begriff, sie hört auf Orthodoxie zu sein, wenn sie andere Rich¬
tungen als gleichberechtigt neben sich dulden muß. Seit lange ist deshalb
ihr Bestreben darauf gerichtet gewesen, die Mehrheit, die sie als die ältere
Richtung gegenwärtig unzweifelhaft noch besitzt, zu einer dauernden Be¬
festigung ihrer Herrschaft zu benutzen. In diesem Sinne agitirte sie für das
Institut der Synode, um durch diese eine neue Autorität in Glaubenssachen
aufzurichten, der die Minderheit sich zu fügen hätte, wenn sie es nicht vor¬
zöge, die Kirche zu verlassen. Und da diese ihre Bestrebungen bisher erfolglos
waren, bietet sie wenigstens überall da, wo sie thatsächlich im Besitz der
Gewalt ist, alle Mittel auf, dem Eindringen der gegnerischen Richtung einen
Riegel vorzuschieben. So vor Allem in Paris, wo diese Kämpfe, die weit
über Frankreich hinaus die Aufmerksamkeit auf sich lenkten, einen besonders
leidenschaftlichen Charakter angenommen haben. Die Absetzung Athanase
Coquerels des Jüngeren. Sohns des im vorigen Jahr verstorbenen viel¬
jährigen Hauptes der Pariser Liberalen, führte den Bruch des bis dahin
leidlich bewahrten Friedens unter den Parteien herbei, sie war das Signal,
welches die ganze reformirte Kirche in zwei feindliche Heerlager theilte.
Mehrere Umstände wirkten zusammen, daß gerade in der Pariser Ge¬
meinde die Gegensätze so feindlich aufeinanderstießen. Paris war immer die
feste Burg der Orthodoxie gewesen, um welche sich die vorwiegend ortho¬
doxen Kirchen des Nordens gruppirten, während im Süden, in der alten
Heimath des Hugenottenthums, die liberale Meinung vorherrscht. Die Ortho¬
doxie der Hauptstadt hatte aber weniger dogmatische, als vielmehr wesentlich
hierarchische Motive. Der Presbyterialrath erneuerte sich bis zum Decret
von 1862 durch Selbstergänzung, und so kam es. daß die Leitung der
Pariser Gemeinde in die Hände einer Aristokratie gerieth. welche sich aus
Freunden und Verwandten zu recrutiren pflegte und nicht blos durch Be¬
setzung der Predigerstellen die Orthodoxie aufrecht erhielt, sondern durch das
Diaconen, dem die Armenpflege obliegt, eine eigentliche Herrschaft in der Ge¬
meinde ausübte. Es war dies eine Gruppe von Männern, welche unter
Louis Philipp eine hervorragende Stelle theils als Staatsmänner theils als
Finanzmänner gespielt hatten und in Guizot ihr geistiges Haupt verehrten.
Die Orthodoxie angreifen hieß also vor Allem das Monopol der Kirchen¬
leitung gefährden, das in diesen Händen lag. Kein Zweifel, daß es den
Herren Delessert, Umbri, Mallet u. f. w. um die Reinhaltung des Glaubens
zu thun war, aber noch mehr war ihnen darum zu thun, die süße Ge¬
ll"
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