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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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man. daß Lord Derby als Führer der Tories das Haus in seiner Hand
habe, daß dasselbe auf den alten Traditionen bestehen und es auf einem Con¬
flict mit dem Unterhause ankommen lassen werde. Aber das Oberhaus hat
gezeigt, daß er kein Parteiausschuß ist, sondern daß es sich als verantwortlicher
Factor im Staatsleben fühlt, daß es sich die traditionelle Mäßigung der
englischen Aristokratie bewahrt hat und eben deshalb seinen eigenthümlichen
Einfluß erhalten wird. Sein Vortheil ist, daß es aus durchaus unabhängigen
Männern besteht, während eine repräsentative Versammlung wie das Haus
der Gemeinen von ihren Constituenten abhängt und sich namentlich nach
einer Neuwahl schwerlich mit denselben in Widerspruch setzen kann. Ein
Mitglied des Unterhauses weiß, daß es vor seinen Wählern rechtfertigen
muß, was es sagt, Männer wie Lord Salisbury und Carnarvon, (welche be¬
kanntlich bei der disraelischen Schwenkung zum Haushaltswahlrecht aus dem
Cabinet traten), wären schwerlich wieder gewählt worden, wenn sie im Unter¬
hause gesessen, weil sie die Tories verlassen, ohne zu den Liberalen überzugehen
Ein Peer aber sagt, was er will, weil er niemand verantwortlich ist und
das Oberhaus ist namentlich deshalb befähigt, unabhängig von allen Ein¬
flüssen die Stimme staatsmännischer Billigkeit zur Vermittlung der Extreme
geltend zu machen. Hierzu wird sich wahrscheinlich gleich bei der gegen¬
wärtigen Frage Gelegenheit zeigen; im Unterhause war die Debatte un-
bedeuiend, weil jedes Mitglied der Mehrheit erst kürzlich durch seine Wähler
verpflichtet war, in dieser Frage mit Gladstone zu gehen, die Bill passirte
dann auch mit einer großen Majorität gegen eine schwache Opposition.
Nichts desto weniger ist kaum ein weiter blickender Staatsmann von der
materiellen Regelung der Frage befriedigt, welche der Gladstone'sche Plan
vorgeschlagen. Die Peers sind jetzt in der Lage, die Bill durch Berathung
im Comite' so zu verbessern, daß sie den wirklichen Bedürfnissen Irlands
entspricht, aber die Vorbedingung hierfür war die Annahme der zweiten Le¬
sung, deren traditionelle Bedeutung die Annahme des Princips des Gesetzes
ist, während die Ablehnung das Oberhaus in unheilbaren Conflict mit der
Nation gebracht hätte. Eben darum war die Debatte von so großer Tragweite
nicht nur für den Augenblick, sondern für die Zukunft der Verfassung.

Unter den Gegnern der Bill nahm Lord Derby mit wenigen starren
Anhängern des Alten den äußersten Flügel ein, indem er behauptete, daß
der Klönungseid der Königin und die irische Unionsacte die Aufhebung
der Staatskirche, deren ungeschmälerte Fortdauer auch bei der Abschaffung der
Test-Act von den Katholiken feierlich versprochen worden, verhinderten. Gerade
der glänzendste Redner gegen die Bill, der neuernannte Bischof von Peter-
borough, welcher das Haus zu minutenlangem Beifall hinriß, ließ jenes
Argument als durchaus hohl fallen und gab zu, daß kein Gesetz eine Nation


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man. daß Lord Derby als Führer der Tories das Haus in seiner Hand
habe, daß dasselbe auf den alten Traditionen bestehen und es auf einem Con¬
flict mit dem Unterhause ankommen lassen werde. Aber das Oberhaus hat
gezeigt, daß er kein Parteiausschuß ist, sondern daß es sich als verantwortlicher
Factor im Staatsleben fühlt, daß es sich die traditionelle Mäßigung der
englischen Aristokratie bewahrt hat und eben deshalb seinen eigenthümlichen
Einfluß erhalten wird. Sein Vortheil ist, daß es aus durchaus unabhängigen
Männern besteht, während eine repräsentative Versammlung wie das Haus
der Gemeinen von ihren Constituenten abhängt und sich namentlich nach
einer Neuwahl schwerlich mit denselben in Widerspruch setzen kann. Ein
Mitglied des Unterhauses weiß, daß es vor seinen Wählern rechtfertigen
muß, was es sagt, Männer wie Lord Salisbury und Carnarvon, (welche be¬
kanntlich bei der disraelischen Schwenkung zum Haushaltswahlrecht aus dem
Cabinet traten), wären schwerlich wieder gewählt worden, wenn sie im Unter¬
hause gesessen, weil sie die Tories verlassen, ohne zu den Liberalen überzugehen
Ein Peer aber sagt, was er will, weil er niemand verantwortlich ist und
das Oberhaus ist namentlich deshalb befähigt, unabhängig von allen Ein¬
flüssen die Stimme staatsmännischer Billigkeit zur Vermittlung der Extreme
geltend zu machen. Hierzu wird sich wahrscheinlich gleich bei der gegen¬
wärtigen Frage Gelegenheit zeigen; im Unterhause war die Debatte un-
bedeuiend, weil jedes Mitglied der Mehrheit erst kürzlich durch seine Wähler
verpflichtet war, in dieser Frage mit Gladstone zu gehen, die Bill passirte
dann auch mit einer großen Majorität gegen eine schwache Opposition.
Nichts desto weniger ist kaum ein weiter blickender Staatsmann von der
materiellen Regelung der Frage befriedigt, welche der Gladstone'sche Plan
vorgeschlagen. Die Peers sind jetzt in der Lage, die Bill durch Berathung
im Comite' so zu verbessern, daß sie den wirklichen Bedürfnissen Irlands
entspricht, aber die Vorbedingung hierfür war die Annahme der zweiten Le¬
sung, deren traditionelle Bedeutung die Annahme des Princips des Gesetzes
ist, während die Ablehnung das Oberhaus in unheilbaren Conflict mit der
Nation gebracht hätte. Eben darum war die Debatte von so großer Tragweite
nicht nur für den Augenblick, sondern für die Zukunft der Verfassung.

Unter den Gegnern der Bill nahm Lord Derby mit wenigen starren
Anhängern des Alten den äußersten Flügel ein, indem er behauptete, daß
der Klönungseid der Königin und die irische Unionsacte die Aufhebung
der Staatskirche, deren ungeschmälerte Fortdauer auch bei der Abschaffung der
Test-Act von den Katholiken feierlich versprochen worden, verhinderten. Gerade
der glänzendste Redner gegen die Bill, der neuernannte Bischof von Peter-
borough, welcher das Haus zu minutenlangem Beifall hinriß, ließ jenes
Argument als durchaus hohl fallen und gab zu, daß kein Gesetz eine Nation


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/75>, abgerufen am 01.07.2024.