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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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vor einem solchen ein entschiedenes, wenn auch mitunter sehr unklares
Mißtrauen an den Tag legt. Der Shllabus hat uns von den päpstlichen
Vorlagen für das Concil einen höchst unangenehmen Vorschmack gegeben.
Ist dieses Gefühl berechtigt? und worin bestehen die Gefahren, die aus den
Beschlüssen des Concils für den Staat und damit für die ganze moderne
Cultur hervorgehen können?

Betrachten wir zunächst die Zusammensetzung des Concils und die
Stellung desselben innerhalb der Verfassung der katholischen Kirche, so er¬
scheint es als eine Versammlung (Kollegium) der höchsten Inhaber der Kirchen¬
gewalt, welche vom Papste zur Entscheidung wichtiger dogmatischer, litur¬
gischer und disciplinärer Angelegenheiten der Kirche zusammenberufen und
mit Vorlagen bedacht worden sind.

Nach dem Herkommen haben in demselben nur die Bischöfe, aber diese
schon kraft ihrer Weihe, die Cardinäle (auch wenn sie nicht zugleich Bi¬
schöfe sind), und endlich die Generäle und Aebte der Mönchsorden ent¬
scheidende Stimmen, wogegen die niederen Cleriker sowie Laien nur mit
berathender Stimme zugelassen werden können. Aus dem Umstände, daß
die Bisihöfe schon kraft ihrer Weihe Stimme im Concil haben, ergibt sich
ein numerisches Uebergewicht der italienischen Nationalität zu Ungunsten der
übrigen, das geradezu erdrückend wirken muß. Denn nirgends gibt es mehr
Titular-Bischöfe (Bischöfe ohne Diöcese), wie gerade im Königreich Italien.
Die Beschlüsse der Concilien bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Bestäti¬
gung und Publication durch den Papst. Aus dieser Organisation geht her¬
vor, daß der Papst und das Concil zusammen die gesetzgebende Gewalt
in der Kirche ausüben und daß die vom Papst bestätigten Beschlüsse des
Concils unzweifelhafte Quellen für einen Theil des katholischen
Kirchenrechtes sind.

Wir sagten "sür einen Theil" insofern das gegenwärtig in Deutschland
geltende Kirchenrecht sehr verschiedene Bestandtheile enthält. Es finden sich
in demselben Kirchengesetze im engeren Sinn, also Bestimmungen, die sich
auf die inneren Verhältnisse der Kirche beziehen, und andererseits kirchen-
und staatsrechtliche Bestimmungen, durch welche die Stellung der Kirche
dem Staat und Dritten gegenüber geregelt wird.

Was nun das künftige Concil in ersterer Beziehung an neuen Grund¬
sätzen ausstellen wird, muß schon seinem Ursprünge nach als bindendes Ge¬
setz für die Katholiken anerkannt werden und unabhängig von jeder Beein¬
flussung des Staates bleiben, weil letzterer der Natur der Sache nach nicht
berufen sein kann, in Bezug auf das Dogma oder das innere kirchliche Leben
und dessen Organisation als Gesetzgeber aufzutreten. So wird von staatlicher
Seite gegen die projectirte Jnfallibilitäts-Erklärung des Papstes, solange


vor einem solchen ein entschiedenes, wenn auch mitunter sehr unklares
Mißtrauen an den Tag legt. Der Shllabus hat uns von den päpstlichen
Vorlagen für das Concil einen höchst unangenehmen Vorschmack gegeben.
Ist dieses Gefühl berechtigt? und worin bestehen die Gefahren, die aus den
Beschlüssen des Concils für den Staat und damit für die ganze moderne
Cultur hervorgehen können?

Betrachten wir zunächst die Zusammensetzung des Concils und die
Stellung desselben innerhalb der Verfassung der katholischen Kirche, so er¬
scheint es als eine Versammlung (Kollegium) der höchsten Inhaber der Kirchen¬
gewalt, welche vom Papste zur Entscheidung wichtiger dogmatischer, litur¬
gischer und disciplinärer Angelegenheiten der Kirche zusammenberufen und
mit Vorlagen bedacht worden sind.

Nach dem Herkommen haben in demselben nur die Bischöfe, aber diese
schon kraft ihrer Weihe, die Cardinäle (auch wenn sie nicht zugleich Bi¬
schöfe sind), und endlich die Generäle und Aebte der Mönchsorden ent¬
scheidende Stimmen, wogegen die niederen Cleriker sowie Laien nur mit
berathender Stimme zugelassen werden können. Aus dem Umstände, daß
die Bisihöfe schon kraft ihrer Weihe Stimme im Concil haben, ergibt sich
ein numerisches Uebergewicht der italienischen Nationalität zu Ungunsten der
übrigen, das geradezu erdrückend wirken muß. Denn nirgends gibt es mehr
Titular-Bischöfe (Bischöfe ohne Diöcese), wie gerade im Königreich Italien.
Die Beschlüsse der Concilien bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Bestäti¬
gung und Publication durch den Papst. Aus dieser Organisation geht her¬
vor, daß der Papst und das Concil zusammen die gesetzgebende Gewalt
in der Kirche ausüben und daß die vom Papst bestätigten Beschlüsse des
Concils unzweifelhafte Quellen für einen Theil des katholischen
Kirchenrechtes sind.

Wir sagten „sür einen Theil" insofern das gegenwärtig in Deutschland
geltende Kirchenrecht sehr verschiedene Bestandtheile enthält. Es finden sich
in demselben Kirchengesetze im engeren Sinn, also Bestimmungen, die sich
auf die inneren Verhältnisse der Kirche beziehen, und andererseits kirchen-
und staatsrechtliche Bestimmungen, durch welche die Stellung der Kirche
dem Staat und Dritten gegenüber geregelt wird.

Was nun das künftige Concil in ersterer Beziehung an neuen Grund¬
sätzen ausstellen wird, muß schon seinem Ursprünge nach als bindendes Ge¬
setz für die Katholiken anerkannt werden und unabhängig von jeder Beein¬
flussung des Staates bleiben, weil letzterer der Natur der Sache nach nicht
berufen sein kann, in Bezug auf das Dogma oder das innere kirchliche Leben
und dessen Organisation als Gesetzgeber aufzutreten. So wird von staatlicher
Seite gegen die projectirte Jnfallibilitäts-Erklärung des Papstes, solange


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[0071] vor einem solchen ein entschiedenes, wenn auch mitunter sehr unklares Mißtrauen an den Tag legt. Der Shllabus hat uns von den päpstlichen Vorlagen für das Concil einen höchst unangenehmen Vorschmack gegeben. Ist dieses Gefühl berechtigt? und worin bestehen die Gefahren, die aus den Beschlüssen des Concils für den Staat und damit für die ganze moderne Cultur hervorgehen können? Betrachten wir zunächst die Zusammensetzung des Concils und die Stellung desselben innerhalb der Verfassung der katholischen Kirche, so er¬ scheint es als eine Versammlung (Kollegium) der höchsten Inhaber der Kirchen¬ gewalt, welche vom Papste zur Entscheidung wichtiger dogmatischer, litur¬ gischer und disciplinärer Angelegenheiten der Kirche zusammenberufen und mit Vorlagen bedacht worden sind. Nach dem Herkommen haben in demselben nur die Bischöfe, aber diese schon kraft ihrer Weihe, die Cardinäle (auch wenn sie nicht zugleich Bi¬ schöfe sind), und endlich die Generäle und Aebte der Mönchsorden ent¬ scheidende Stimmen, wogegen die niederen Cleriker sowie Laien nur mit berathender Stimme zugelassen werden können. Aus dem Umstände, daß die Bisihöfe schon kraft ihrer Weihe Stimme im Concil haben, ergibt sich ein numerisches Uebergewicht der italienischen Nationalität zu Ungunsten der übrigen, das geradezu erdrückend wirken muß. Denn nirgends gibt es mehr Titular-Bischöfe (Bischöfe ohne Diöcese), wie gerade im Königreich Italien. Die Beschlüsse der Concilien bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Bestäti¬ gung und Publication durch den Papst. Aus dieser Organisation geht her¬ vor, daß der Papst und das Concil zusammen die gesetzgebende Gewalt in der Kirche ausüben und daß die vom Papst bestätigten Beschlüsse des Concils unzweifelhafte Quellen für einen Theil des katholischen Kirchenrechtes sind. Wir sagten „sür einen Theil" insofern das gegenwärtig in Deutschland geltende Kirchenrecht sehr verschiedene Bestandtheile enthält. Es finden sich in demselben Kirchengesetze im engeren Sinn, also Bestimmungen, die sich auf die inneren Verhältnisse der Kirche beziehen, und andererseits kirchen- und staatsrechtliche Bestimmungen, durch welche die Stellung der Kirche dem Staat und Dritten gegenüber geregelt wird. Was nun das künftige Concil in ersterer Beziehung an neuen Grund¬ sätzen ausstellen wird, muß schon seinem Ursprünge nach als bindendes Ge¬ setz für die Katholiken anerkannt werden und unabhängig von jeder Beein¬ flussung des Staates bleiben, weil letzterer der Natur der Sache nach nicht berufen sein kann, in Bezug auf das Dogma oder das innere kirchliche Leben und dessen Organisation als Gesetzgeber aufzutreten. So wird von staatlicher Seite gegen die projectirte Jnfallibilitäts-Erklärung des Papstes, solange

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/71>, abgerufen am 01.07.2024.