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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Feier in Prag am stärksten vertreten und auch in Petersburg und Moskau
ist der Geburtstag des Märtyrers von Constanz mit öffentlichen Feierlich¬
keiten begangen worden. Für die Czechen selbst hat diese Feier in zwiefacher
Beziehung eine politische Bedeutung. Alt und Jung-Czechen denken über den
nationalen böhmischen Reformator ebenso verschieden, wie über viele andere
wichtige Fragen. Die Ersteren haben schon aus Rücksicht auf den ihrer
Sache verbündeten katholischen Clerus an der Hußfeier nicht so lebhaften An¬
theil nehmen können, wie die Letzteren; dazu kommt, daß die außerböhmischen
Panslavisten, namentlich die Russen, schon lange den Wunsch hegen, das
Czechenvolk mit Hilfe husfitischer Traditionen dem Katholicismus abwendig zu
machen und der Kirche des Morgenlandes anzunähern. Aus diesem Grunde
ist nicht nur die Zahl russischer Gäste und Festgrüße eine außerordentlich
zahlreiche gewesen, sondern der Erinnerungstag an den Vorläufer der natio¬
nalen und kirchlichen Vorkämpfer Böhmens in den russischen Hauptstädten ebenso
festlich begangen worden, wie in Prag. Besonderes Gewicht wurde von den
russischen Festrednern darauf gelegt, daß Huß entschiedene Sympathien für
die griechische Kirche gehabt und auch in dieser Beziehung bewiesen habe, daß
er das slavische Interesse richtig verstand und beurtheilte. -- Die Mei¬
nungsverschiedenheiten im czechischen Lager haben indessen nicht verhindert
daß man er Bezug auf die Verfassungsfrage durchaus einig ist und der Regie¬
rungspolitik gegenüber nach wie vor die gleichen Wege geht. Für das Maß
der den Czechen zu machenden Concessionen (darüber, daß überhaupt nachge¬
geben werde, sollen die Grasen Beust und Taafe bereits einig sein) werden die
Entscheidungen des galizischen Landtags wohl auch mitwiegen, denn die polni¬
schen Demokraten haben sich mit den Czechenführern schon vor einiger Zeit über
gemeinsame Action verständigt. -- Auf den deutsch-östreichischen Landtagen steht
die Frage nach dem künftigen Modus für die Reichstagswahlen im Mittel¬
punkt der Interessen; man ist hier der Einführung directer Wahlen ebenso geneigt,
wie in den slavischen Provinzen feindlich. Möglich daß die Gegensätze in
Galizien auch in diesem Königreich eine Wendung zu Gunsten des allge¬
meinen Wahlrechts herbeiführen; die polnische Demokratie ist demselben an
und für sich nicht ungünstig , hat über das numerische Uebergewicht der
Nuthenen zu berücksichtigen. -- Jenseit der Leitha haben die Magyaren
eine neue Besiegelung des dualistischen Systems durchzusetzen gewußt; am
8. und 9. September fand zu Agram die feierliche Einholung und Beeidigung
des Barus statt, durch welche das Verhältniß Croatiens zur Stephanskrone
endgiltig geordnet worden ist.

Ungarns eifersüchtigster und turbulentester Nachbar, der junge rumäni¬
sche Staat, scheint sich mehr und mehr in die friedlichen Bahnen zu gewöhnen,
welche ihm durch den Fürsten Karl und das Ministerium Ghika-Cogolnitsche-


Feier in Prag am stärksten vertreten und auch in Petersburg und Moskau
ist der Geburtstag des Märtyrers von Constanz mit öffentlichen Feierlich¬
keiten begangen worden. Für die Czechen selbst hat diese Feier in zwiefacher
Beziehung eine politische Bedeutung. Alt und Jung-Czechen denken über den
nationalen böhmischen Reformator ebenso verschieden, wie über viele andere
wichtige Fragen. Die Ersteren haben schon aus Rücksicht auf den ihrer
Sache verbündeten katholischen Clerus an der Hußfeier nicht so lebhaften An¬
theil nehmen können, wie die Letzteren; dazu kommt, daß die außerböhmischen
Panslavisten, namentlich die Russen, schon lange den Wunsch hegen, das
Czechenvolk mit Hilfe husfitischer Traditionen dem Katholicismus abwendig zu
machen und der Kirche des Morgenlandes anzunähern. Aus diesem Grunde
ist nicht nur die Zahl russischer Gäste und Festgrüße eine außerordentlich
zahlreiche gewesen, sondern der Erinnerungstag an den Vorläufer der natio¬
nalen und kirchlichen Vorkämpfer Böhmens in den russischen Hauptstädten ebenso
festlich begangen worden, wie in Prag. Besonderes Gewicht wurde von den
russischen Festrednern darauf gelegt, daß Huß entschiedene Sympathien für
die griechische Kirche gehabt und auch in dieser Beziehung bewiesen habe, daß
er das slavische Interesse richtig verstand und beurtheilte. — Die Mei¬
nungsverschiedenheiten im czechischen Lager haben indessen nicht verhindert
daß man er Bezug auf die Verfassungsfrage durchaus einig ist und der Regie¬
rungspolitik gegenüber nach wie vor die gleichen Wege geht. Für das Maß
der den Czechen zu machenden Concessionen (darüber, daß überhaupt nachge¬
geben werde, sollen die Grasen Beust und Taafe bereits einig sein) werden die
Entscheidungen des galizischen Landtags wohl auch mitwiegen, denn die polni¬
schen Demokraten haben sich mit den Czechenführern schon vor einiger Zeit über
gemeinsame Action verständigt. — Auf den deutsch-östreichischen Landtagen steht
die Frage nach dem künftigen Modus für die Reichstagswahlen im Mittel¬
punkt der Interessen; man ist hier der Einführung directer Wahlen ebenso geneigt,
wie in den slavischen Provinzen feindlich. Möglich daß die Gegensätze in
Galizien auch in diesem Königreich eine Wendung zu Gunsten des allge¬
meinen Wahlrechts herbeiführen; die polnische Demokratie ist demselben an
und für sich nicht ungünstig , hat über das numerische Uebergewicht der
Nuthenen zu berücksichtigen. — Jenseit der Leitha haben die Magyaren
eine neue Besiegelung des dualistischen Systems durchzusetzen gewußt; am
8. und 9. September fand zu Agram die feierliche Einholung und Beeidigung
des Barus statt, durch welche das Verhältniß Croatiens zur Stephanskrone
endgiltig geordnet worden ist.

Ungarns eifersüchtigster und turbulentester Nachbar, der junge rumäni¬
sche Staat, scheint sich mehr und mehr in die friedlichen Bahnen zu gewöhnen,
welche ihm durch den Fürsten Karl und das Ministerium Ghika-Cogolnitsche-


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[0519] Feier in Prag am stärksten vertreten und auch in Petersburg und Moskau ist der Geburtstag des Märtyrers von Constanz mit öffentlichen Feierlich¬ keiten begangen worden. Für die Czechen selbst hat diese Feier in zwiefacher Beziehung eine politische Bedeutung. Alt und Jung-Czechen denken über den nationalen böhmischen Reformator ebenso verschieden, wie über viele andere wichtige Fragen. Die Ersteren haben schon aus Rücksicht auf den ihrer Sache verbündeten katholischen Clerus an der Hußfeier nicht so lebhaften An¬ theil nehmen können, wie die Letzteren; dazu kommt, daß die außerböhmischen Panslavisten, namentlich die Russen, schon lange den Wunsch hegen, das Czechenvolk mit Hilfe husfitischer Traditionen dem Katholicismus abwendig zu machen und der Kirche des Morgenlandes anzunähern. Aus diesem Grunde ist nicht nur die Zahl russischer Gäste und Festgrüße eine außerordentlich zahlreiche gewesen, sondern der Erinnerungstag an den Vorläufer der natio¬ nalen und kirchlichen Vorkämpfer Böhmens in den russischen Hauptstädten ebenso festlich begangen worden, wie in Prag. Besonderes Gewicht wurde von den russischen Festrednern darauf gelegt, daß Huß entschiedene Sympathien für die griechische Kirche gehabt und auch in dieser Beziehung bewiesen habe, daß er das slavische Interesse richtig verstand und beurtheilte. — Die Mei¬ nungsverschiedenheiten im czechischen Lager haben indessen nicht verhindert daß man er Bezug auf die Verfassungsfrage durchaus einig ist und der Regie¬ rungspolitik gegenüber nach wie vor die gleichen Wege geht. Für das Maß der den Czechen zu machenden Concessionen (darüber, daß überhaupt nachge¬ geben werde, sollen die Grasen Beust und Taafe bereits einig sein) werden die Entscheidungen des galizischen Landtags wohl auch mitwiegen, denn die polni¬ schen Demokraten haben sich mit den Czechenführern schon vor einiger Zeit über gemeinsame Action verständigt. — Auf den deutsch-östreichischen Landtagen steht die Frage nach dem künftigen Modus für die Reichstagswahlen im Mittel¬ punkt der Interessen; man ist hier der Einführung directer Wahlen ebenso geneigt, wie in den slavischen Provinzen feindlich. Möglich daß die Gegensätze in Galizien auch in diesem Königreich eine Wendung zu Gunsten des allge¬ meinen Wahlrechts herbeiführen; die polnische Demokratie ist demselben an und für sich nicht ungünstig , hat über das numerische Uebergewicht der Nuthenen zu berücksichtigen. — Jenseit der Leitha haben die Magyaren eine neue Besiegelung des dualistischen Systems durchzusetzen gewußt; am 8. und 9. September fand zu Agram die feierliche Einholung und Beeidigung des Barus statt, durch welche das Verhältniß Croatiens zur Stephanskrone endgiltig geordnet worden ist. Ungarns eifersüchtigster und turbulentester Nachbar, der junge rumäni¬ sche Staat, scheint sich mehr und mehr in die friedlichen Bahnen zu gewöhnen, welche ihm durch den Fürsten Karl und das Ministerium Ghika-Cogolnitsche-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/519>, abgerufen am 23.07.2024.