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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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wieder in ihrer ganzen Schroffheit hervorgetreten und wird die Nothwendig¬
keit von Zugeständnissen, mindestens an die Czechen, bis in die höchsten
Regierungskreise hinaus anerkannt. Zu der Czechennoth droht eine Polen¬
noth zu kommen. Schon bei der Schlußabstimmung in den Delegationen
war man von der Rücksichtslosigkeit peinlich berührt worden, mit welcher
sich die galizischen Repräsentanten von den übrigen Cisleithaniern getrennt
hatten, um ihr Gewicht zu Gunsten der Magyaren in die Wagschaale zu
werfen. Gegenwärtig wird im Lemberger Landtagssaale bei offenen Thüren
darüber berathen, ob man sich der Beschickung des Reichstages nicht zunächst
vollständig enthalten und im Bunde mit den Czechen direct zur Opposition
übergehen soll, um auf diese Weise die gewünschte Autonomie und die
Adoption eines föderalistischen Systems zu ertrotzen. Wenn der galizische
Landtag vor diesem Wagniß zurückschreckt, so wird das nicht das Verdienst
der polnischen Demokratie und ihres Führers Smolt'a, sondern lediglich die
Folge von § 11 des im Jahre 1860 angenommenen Wahlgesetzes sein, das
der zur Regierung und zu Goluchowski haltenden Bureaukratie sehr viel
weiteren Spielraum sicherte, als man im Lager der kurzsichtigen und leicht¬
sinnigen polnischen Volksfreunde angenommen hatte. Mit einer Feindselig¬
keit, die ebenso gegen die östreichische Regierung wie gegen das herrschende
polnische Element gerichtet ist, sehen die Ruthenen Galiziens den Verhand¬
lungen der soeben zusammengetretenen Versammlung zu, denn zu den dieser
übergebenen Vorlagen gehört ein Antrag auf Abschaffung des für die Volks- und
Mittelschulen obligatorisch gewesenen russischen Sprachunterrichts (der "zweiten
Landessprache" wie es officiell heißt) dessen Erthe'lung künstig von dem Willen
der einzelnen Gemeinden abhängig sein soll. Von der Ablehnung oder Annahme
dieses Antrags wird abhängen, ob die Ruthenen sich vollständig und für immer
von Oestreich abwenden und nur noch den panslavistischen Einflüsterungen
des Slavo und der großrussischen Agitation Raum geben, denn in der Ab¬
schaffung des obligatorischen Unterrichts ihrer Sprache sehen sie zugleich ein
Attentat auf ihre Nationalität, die sie als die von Rechtswegen in Ostgali-
zien erstberufene ansehen. -- In der benachbarten Bukowina hat die zahl¬
reiche ruthenische Bevölkerung durchzusetzen gewußt, daß die Landtagsproto¬
kolle zugleich in russischer, rumänischer und deutscher Sprache geführt werden,
in den ruthenischen Comitaten Ungarns ist gleichfalls eine lebhafte Sprach¬
agitation in Wendung -- Grund genug für die galizischen Russen, welche
sich als Führer des gesammten kleinrussischen Stamms ansehen, ihren An¬
sprüchen nicht ein Haar breit zu vergeben.

Für die slavische Welt ist übrigens nicht sowohl der Zusammentritt des
galizischen Landtags, als die Feier des Hußjubiläums das große Ereigniß des
Monats gewesen. Von den auswärtigen Stämmen war der russische bei der


wieder in ihrer ganzen Schroffheit hervorgetreten und wird die Nothwendig¬
keit von Zugeständnissen, mindestens an die Czechen, bis in die höchsten
Regierungskreise hinaus anerkannt. Zu der Czechennoth droht eine Polen¬
noth zu kommen. Schon bei der Schlußabstimmung in den Delegationen
war man von der Rücksichtslosigkeit peinlich berührt worden, mit welcher
sich die galizischen Repräsentanten von den übrigen Cisleithaniern getrennt
hatten, um ihr Gewicht zu Gunsten der Magyaren in die Wagschaale zu
werfen. Gegenwärtig wird im Lemberger Landtagssaale bei offenen Thüren
darüber berathen, ob man sich der Beschickung des Reichstages nicht zunächst
vollständig enthalten und im Bunde mit den Czechen direct zur Opposition
übergehen soll, um auf diese Weise die gewünschte Autonomie und die
Adoption eines föderalistischen Systems zu ertrotzen. Wenn der galizische
Landtag vor diesem Wagniß zurückschreckt, so wird das nicht das Verdienst
der polnischen Demokratie und ihres Führers Smolt'a, sondern lediglich die
Folge von § 11 des im Jahre 1860 angenommenen Wahlgesetzes sein, das
der zur Regierung und zu Goluchowski haltenden Bureaukratie sehr viel
weiteren Spielraum sicherte, als man im Lager der kurzsichtigen und leicht¬
sinnigen polnischen Volksfreunde angenommen hatte. Mit einer Feindselig¬
keit, die ebenso gegen die östreichische Regierung wie gegen das herrschende
polnische Element gerichtet ist, sehen die Ruthenen Galiziens den Verhand¬
lungen der soeben zusammengetretenen Versammlung zu, denn zu den dieser
übergebenen Vorlagen gehört ein Antrag auf Abschaffung des für die Volks- und
Mittelschulen obligatorisch gewesenen russischen Sprachunterrichts (der „zweiten
Landessprache" wie es officiell heißt) dessen Erthe'lung künstig von dem Willen
der einzelnen Gemeinden abhängig sein soll. Von der Ablehnung oder Annahme
dieses Antrags wird abhängen, ob die Ruthenen sich vollständig und für immer
von Oestreich abwenden und nur noch den panslavistischen Einflüsterungen
des Slavo und der großrussischen Agitation Raum geben, denn in der Ab¬
schaffung des obligatorischen Unterrichts ihrer Sprache sehen sie zugleich ein
Attentat auf ihre Nationalität, die sie als die von Rechtswegen in Ostgali-
zien erstberufene ansehen. — In der benachbarten Bukowina hat die zahl¬
reiche ruthenische Bevölkerung durchzusetzen gewußt, daß die Landtagsproto¬
kolle zugleich in russischer, rumänischer und deutscher Sprache geführt werden,
in den ruthenischen Comitaten Ungarns ist gleichfalls eine lebhafte Sprach¬
agitation in Wendung — Grund genug für die galizischen Russen, welche
sich als Führer des gesammten kleinrussischen Stamms ansehen, ihren An¬
sprüchen nicht ein Haar breit zu vergeben.

Für die slavische Welt ist übrigens nicht sowohl der Zusammentritt des
galizischen Landtags, als die Feier des Hußjubiläums das große Ereigniß des
Monats gewesen. Von den auswärtigen Stämmen war der russische bei der


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[0518] wieder in ihrer ganzen Schroffheit hervorgetreten und wird die Nothwendig¬ keit von Zugeständnissen, mindestens an die Czechen, bis in die höchsten Regierungskreise hinaus anerkannt. Zu der Czechennoth droht eine Polen¬ noth zu kommen. Schon bei der Schlußabstimmung in den Delegationen war man von der Rücksichtslosigkeit peinlich berührt worden, mit welcher sich die galizischen Repräsentanten von den übrigen Cisleithaniern getrennt hatten, um ihr Gewicht zu Gunsten der Magyaren in die Wagschaale zu werfen. Gegenwärtig wird im Lemberger Landtagssaale bei offenen Thüren darüber berathen, ob man sich der Beschickung des Reichstages nicht zunächst vollständig enthalten und im Bunde mit den Czechen direct zur Opposition übergehen soll, um auf diese Weise die gewünschte Autonomie und die Adoption eines föderalistischen Systems zu ertrotzen. Wenn der galizische Landtag vor diesem Wagniß zurückschreckt, so wird das nicht das Verdienst der polnischen Demokratie und ihres Führers Smolt'a, sondern lediglich die Folge von § 11 des im Jahre 1860 angenommenen Wahlgesetzes sein, das der zur Regierung und zu Goluchowski haltenden Bureaukratie sehr viel weiteren Spielraum sicherte, als man im Lager der kurzsichtigen und leicht¬ sinnigen polnischen Volksfreunde angenommen hatte. Mit einer Feindselig¬ keit, die ebenso gegen die östreichische Regierung wie gegen das herrschende polnische Element gerichtet ist, sehen die Ruthenen Galiziens den Verhand¬ lungen der soeben zusammengetretenen Versammlung zu, denn zu den dieser übergebenen Vorlagen gehört ein Antrag auf Abschaffung des für die Volks- und Mittelschulen obligatorisch gewesenen russischen Sprachunterrichts (der „zweiten Landessprache" wie es officiell heißt) dessen Erthe'lung künstig von dem Willen der einzelnen Gemeinden abhängig sein soll. Von der Ablehnung oder Annahme dieses Antrags wird abhängen, ob die Ruthenen sich vollständig und für immer von Oestreich abwenden und nur noch den panslavistischen Einflüsterungen des Slavo und der großrussischen Agitation Raum geben, denn in der Ab¬ schaffung des obligatorischen Unterrichts ihrer Sprache sehen sie zugleich ein Attentat auf ihre Nationalität, die sie als die von Rechtswegen in Ostgali- zien erstberufene ansehen. — In der benachbarten Bukowina hat die zahl¬ reiche ruthenische Bevölkerung durchzusetzen gewußt, daß die Landtagsproto¬ kolle zugleich in russischer, rumänischer und deutscher Sprache geführt werden, in den ruthenischen Comitaten Ungarns ist gleichfalls eine lebhafte Sprach¬ agitation in Wendung — Grund genug für die galizischen Russen, welche sich als Führer des gesammten kleinrussischen Stamms ansehen, ihren An¬ sprüchen nicht ein Haar breit zu vergeben. Für die slavische Welt ist übrigens nicht sowohl der Zusammentritt des galizischen Landtags, als die Feier des Hußjubiläums das große Ereigniß des Monats gewesen. Von den auswärtigen Stämmen war der russische bei der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/518>, abgerufen am 23.07.2024.