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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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aus angesehen werden. Jeder Bojar ist geborener Diplomat, seine Eigen¬
schaft als Fürstenwähler und die Fähigkeit, selbst gewählt zu werden,
zudem das Gefühl, Landesherr zu sein, wie er es bis auf die neueste Zeit
-- im ganzen Sinne des Worts -- gewesen, alles das gibt ihm ein
stark ausgeprägtes Bewußtsein. Beständige auf den Sturz des jeweilig re¬
gierenden Fürsten gerichtete Intriguen, die dabei gemachte Erfahrung, daß
mit Geld nicht nur Staatsgeheimnisse fremder Höfe erkauft werden kön¬
nen, sondern überhaupt Alles und von allen auch auf noch so hohem
Piedestal stehenden Personen zu haben sei, lehrten sie den Werth der Menschen
und die von ihnen zur Schau getragenen Theorien gering achten, entwickelten
in ihnen Schlauheit, Verstandesfertigkeit und Menschenkenntniß. Sie lernten
mit Menschen wie mit Zahlen rechnen, sie eigneten sich den diplomatischen
Grundsatz: "keinen Grundsatz zusahen", an, und wie sich des Lebens innerer
Gehalt auf diese Art bei ihnen entwerthete, wurden sie auch gegen alles gleich-
giltig, was sonst unter Menschen für schätzenswerth gilt. Schon unter den
Fanariotenfürsten, welche über die Vorgänge an den benachbarten christlichen
Höfen in Bezug auf die Türkei, bei Todesstrafe nach Konstantinopel zu
berichten hatten, wurden die Bojaren vielfach als Kundschafter verwendet
und erlangten auf diese Art, wie der Consul Villecocq berichtet, die seltene
Gabe, schon aus Mienen und Geberden die Gedanken Anderer zu errathen.
Gewöhnt an einen solchen Maßstab, müssen sich ihnen nothwendig die rich¬
tigen Gesichtspunkte für Welt und Leben verrücken. Die Rumänen sind
fortwährend auf die Ausübung diplomatischer Künste angewiesen, weil
die fremden Mächte auf unnachweislichen Wegen beständig Intriguen in die¬
sen Ländern spinnen, sich gegenseitig conterminiren, Jeder beständig auf sei¬
ner Huth vor Freund und Feind sein muß und dabei genöthigt ist sich in
genauester Kenntniß der Dinge um ihn her, ja der Gedanken seiner Umgebung
selbst, zu erhalten. So lange die Intriguen fremder Mächte das Land
durchwehen, ist an eine Aenderung der hiesigen Zustände nicht zu denken.
In dieser Erkenntniß, und um dem Adel in dem Bauernstande ein Gegen¬
gewicht zu geben und ihn unschädlich zu machen, arbeitet die Patrioten¬
partei an der Hebung der Selbständigkeit des Landmanns, aber dieser ist'
aus seiner Versumpfung nicht so bald zu heben; mittlerweile ist alle In¬
telligenz und alles Geld und somit alle Macht in den Händen der Bojaren,
und die fremde Intrigue ist darum um so thätiger, die noch günstige Zeit
nach Möglichkeit auszunutzen.

Wie unter der Willkürherrschaft des Adels der Bauer .verthierte, so
konnte andererseits der Adel auch den Folgen der hundertjährigen Fanarioten-
despotie nicht entgehen. Diese fremden Fürsten mißhandelten die Landes¬
bojaren in wahrhaft asiatischer Weise. Selbst Bojaren ersten Ranges durften


aus angesehen werden. Jeder Bojar ist geborener Diplomat, seine Eigen¬
schaft als Fürstenwähler und die Fähigkeit, selbst gewählt zu werden,
zudem das Gefühl, Landesherr zu sein, wie er es bis auf die neueste Zeit
— im ganzen Sinne des Worts — gewesen, alles das gibt ihm ein
stark ausgeprägtes Bewußtsein. Beständige auf den Sturz des jeweilig re¬
gierenden Fürsten gerichtete Intriguen, die dabei gemachte Erfahrung, daß
mit Geld nicht nur Staatsgeheimnisse fremder Höfe erkauft werden kön¬
nen, sondern überhaupt Alles und von allen auch auf noch so hohem
Piedestal stehenden Personen zu haben sei, lehrten sie den Werth der Menschen
und die von ihnen zur Schau getragenen Theorien gering achten, entwickelten
in ihnen Schlauheit, Verstandesfertigkeit und Menschenkenntniß. Sie lernten
mit Menschen wie mit Zahlen rechnen, sie eigneten sich den diplomatischen
Grundsatz: „keinen Grundsatz zusahen", an, und wie sich des Lebens innerer
Gehalt auf diese Art bei ihnen entwerthete, wurden sie auch gegen alles gleich-
giltig, was sonst unter Menschen für schätzenswerth gilt. Schon unter den
Fanariotenfürsten, welche über die Vorgänge an den benachbarten christlichen
Höfen in Bezug auf die Türkei, bei Todesstrafe nach Konstantinopel zu
berichten hatten, wurden die Bojaren vielfach als Kundschafter verwendet
und erlangten auf diese Art, wie der Consul Villecocq berichtet, die seltene
Gabe, schon aus Mienen und Geberden die Gedanken Anderer zu errathen.
Gewöhnt an einen solchen Maßstab, müssen sich ihnen nothwendig die rich¬
tigen Gesichtspunkte für Welt und Leben verrücken. Die Rumänen sind
fortwährend auf die Ausübung diplomatischer Künste angewiesen, weil
die fremden Mächte auf unnachweislichen Wegen beständig Intriguen in die¬
sen Ländern spinnen, sich gegenseitig conterminiren, Jeder beständig auf sei¬
ner Huth vor Freund und Feind sein muß und dabei genöthigt ist sich in
genauester Kenntniß der Dinge um ihn her, ja der Gedanken seiner Umgebung
selbst, zu erhalten. So lange die Intriguen fremder Mächte das Land
durchwehen, ist an eine Aenderung der hiesigen Zustände nicht zu denken.
In dieser Erkenntniß, und um dem Adel in dem Bauernstande ein Gegen¬
gewicht zu geben und ihn unschädlich zu machen, arbeitet die Patrioten¬
partei an der Hebung der Selbständigkeit des Landmanns, aber dieser ist'
aus seiner Versumpfung nicht so bald zu heben; mittlerweile ist alle In¬
telligenz und alles Geld und somit alle Macht in den Händen der Bojaren,
und die fremde Intrigue ist darum um so thätiger, die noch günstige Zeit
nach Möglichkeit auszunutzen.

Wie unter der Willkürherrschaft des Adels der Bauer .verthierte, so
konnte andererseits der Adel auch den Folgen der hundertjährigen Fanarioten-
despotie nicht entgehen. Diese fremden Fürsten mißhandelten die Landes¬
bojaren in wahrhaft asiatischer Weise. Selbst Bojaren ersten Ranges durften


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/510>, abgerufen am 22.07.2024.