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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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bezahlte Unterhaltung ist als ein sabbathwidriger Verkehr untersagt. Um
diese Schwierigkeit zu umgehen, veranstaltete ein Kreis von Aufklärern, der
das Publicum an die Sünde gewöhnen will, auf eigene Kosten eine unent¬
geltliche Sonntagsmusik in Regents Park. Was war zu thun? Man mußte
dem Janhagel seine Lustbarkeit verleiden. Dus scharfe Auge der Liga ent¬
deckte bald, daß die Zuhörer gern während des Spieles auf gemietheten
Sesseln sich niederließen und daß außerdem Concertprogramme im Park ver¬
kauft wurden. Beides war in der That gesetzwidrig. Flugs wurde die Po¬
lizei angerufen und dem Unfug Einhalt gethan. Mögen die Schwelger ihre
Programme in der Woche kaufen, mögen sie zur Musik sich ihre eigenen
Sessel von Hause mitbringen. Zur Enthaltung vom Fahren am Sonntag
ist vor geraumer Zeit ein christlicher Droschkenkutscherverein gestiftet worden,
dessen Mitgliederzahl sich aber nicht zu mehren scheint. Gelänge es der Liga,
den ganzen Cnstallvallast, alle Droschken, Eisenbahnen und Pennyboote käuf¬
lich an sich zu bringen, so würden einige Millionen Briten ruhiger schlafen.

Um die englische Sabbathschwärmerei zu erklären, müßte man ein dickes
Buch schreiben. Genug, daß sür den gewöhnlichen Engländer die Religion
ganz und gar im Sonntag besteht, mit der Sonntagsruhe zahlt er dem Him¬
mel seine Schuldigkeit auf Einem Bret ab. Viele, die nicht grade zu den
Bibelreitern gehören, haben die dunkle Borstellung, daß eine weniger strenge
Sonntagsordnung den nationalen Charakter schwächen, daß der männliche
Ernst und Anstand, der die Engländer vor andern Völkern auszeichnet,
darunter leiden, ja daß der geborene Insulaner dann bald nicht mehr englisch
sondern wie ein torsigner aussehen würde. Die Prophetenausleger (stuävnts
ok xropiilze^) aber, deren es unter allen Ständen gibt, zittern für Thron
und Reich beim Gedanken, daß dem Sabbath ein Härchen gekrümmt werden
könnte. Sie wissen ziemlich genau, welche kleine und große Strafgerichte
der "nationalen Sünde", je nach ihrem Grade, auf der Ferse folgen. Auf
schwachen Kirchenbesuch am Sonntag steht die Cholera, im Wiederholungs¬
fall eine Viehseuche. Wie nun, wenn -- was freilich undenkbar ist -- welches
Ministerium wird die Verantwortlichkeit auf sich laden es zu erlauben? --
aber sprechen wir das Aecgste aus -- wenn das Publicum an einem Sonn¬
tag Abend in die Oper ginge! Würde der Golfstrom nicht seinen Lauf än¬
dern? Würde der Canal nicht über Nacht austrocknen, daß am nächsten
Mittag schon eine französische Jnvasionsarmee im Sturmschritt herüberkäme?
Wer weiß, ob die Ausfuhr nicht im Nu um S0°/<> fiele? Und wer sagt, die
Welt habe zu viel Wissen und zu wenig Glauben? Nein, auch eine Ver¬
fassung vom höchsten Alter schützt vor Thorheit nicht und selbst die Magna
Charta, ein so schätzbares Kleinod sie ist, verwandelt nicht alle Philister in
Philosophen.


bezahlte Unterhaltung ist als ein sabbathwidriger Verkehr untersagt. Um
diese Schwierigkeit zu umgehen, veranstaltete ein Kreis von Aufklärern, der
das Publicum an die Sünde gewöhnen will, auf eigene Kosten eine unent¬
geltliche Sonntagsmusik in Regents Park. Was war zu thun? Man mußte
dem Janhagel seine Lustbarkeit verleiden. Dus scharfe Auge der Liga ent¬
deckte bald, daß die Zuhörer gern während des Spieles auf gemietheten
Sesseln sich niederließen und daß außerdem Concertprogramme im Park ver¬
kauft wurden. Beides war in der That gesetzwidrig. Flugs wurde die Po¬
lizei angerufen und dem Unfug Einhalt gethan. Mögen die Schwelger ihre
Programme in der Woche kaufen, mögen sie zur Musik sich ihre eigenen
Sessel von Hause mitbringen. Zur Enthaltung vom Fahren am Sonntag
ist vor geraumer Zeit ein christlicher Droschkenkutscherverein gestiftet worden,
dessen Mitgliederzahl sich aber nicht zu mehren scheint. Gelänge es der Liga,
den ganzen Cnstallvallast, alle Droschken, Eisenbahnen und Pennyboote käuf¬
lich an sich zu bringen, so würden einige Millionen Briten ruhiger schlafen.

Um die englische Sabbathschwärmerei zu erklären, müßte man ein dickes
Buch schreiben. Genug, daß sür den gewöhnlichen Engländer die Religion
ganz und gar im Sonntag besteht, mit der Sonntagsruhe zahlt er dem Him¬
mel seine Schuldigkeit auf Einem Bret ab. Viele, die nicht grade zu den
Bibelreitern gehören, haben die dunkle Borstellung, daß eine weniger strenge
Sonntagsordnung den nationalen Charakter schwächen, daß der männliche
Ernst und Anstand, der die Engländer vor andern Völkern auszeichnet,
darunter leiden, ja daß der geborene Insulaner dann bald nicht mehr englisch
sondern wie ein torsigner aussehen würde. Die Prophetenausleger (stuävnts
ok xropiilze^) aber, deren es unter allen Ständen gibt, zittern für Thron
und Reich beim Gedanken, daß dem Sabbath ein Härchen gekrümmt werden
könnte. Sie wissen ziemlich genau, welche kleine und große Strafgerichte
der „nationalen Sünde", je nach ihrem Grade, auf der Ferse folgen. Auf
schwachen Kirchenbesuch am Sonntag steht die Cholera, im Wiederholungs¬
fall eine Viehseuche. Wie nun, wenn — was freilich undenkbar ist — welches
Ministerium wird die Verantwortlichkeit auf sich laden es zu erlauben? —
aber sprechen wir das Aecgste aus — wenn das Publicum an einem Sonn¬
tag Abend in die Oper ginge! Würde der Golfstrom nicht seinen Lauf än¬
dern? Würde der Canal nicht über Nacht austrocknen, daß am nächsten
Mittag schon eine französische Jnvasionsarmee im Sturmschritt herüberkäme?
Wer weiß, ob die Ausfuhr nicht im Nu um S0°/<> fiele? Und wer sagt, die
Welt habe zu viel Wissen und zu wenig Glauben? Nein, auch eine Ver¬
fassung vom höchsten Alter schützt vor Thorheit nicht und selbst die Magna
Charta, ein so schätzbares Kleinod sie ist, verwandelt nicht alle Philister in
Philosophen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/486>, abgerufen am 01.07.2024.