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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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drein einen so handgreiflichen Vortheil politischer Effectivitcit, daß die ganze
Gleichgültigkeit einer des Erfolgs entwöhnten Mißvergnügtheits-Politik gegen
praktische Berechnungen dazu gehört, um dies -- nicht in Mainz, sondern --
in Berlin zu übersehen. Der Volkswirtschaftliche Congreß ist aber keines¬
wegs verdammt, den Prediger in der Wüste zu spielen. Grade der Credit,
welchen er sich allmählich selbst bei den Regierungen und gesetzgebenden Ge¬
walten erworben hat, verpflichtet ihn zur politischen Berechnung seines Thuns
und Lassens. Diese wird allerdings nicht immer zusammenfallen mit der Be¬
rechnung von oder in Versammlungen, welche unmittelbar an der Legislation
oder Gesetzgebung des Staats betheiligt sind. Er steht den praktischen Dingen
fern; er ist ein Verein von Volkswirth en, hat also ein volkswirthschaft-
liches Augenmerk. Aber er wird von seiner wirthschaftlichen Weisheit doch
allemal einen Gebrauch zu machen suchen, der sie den unmittelbar handelnden
Körperschaften empfiehlt, sowohl durch die Auswahl der behandelten Fragen,
als durch eine Behandlung, welche Wirkung verspricht. Von einer abstracten
Verurtheilung der Prämienanleihen hätte man schwerlich einen praktischen Ein¬
druck erwarten können. Der nachdrückliche Hinweis dagegen, daß hier Mi-
nisterialwillkür der Gesetzgebung, Privilegien der Gleichberechtigung noch
breit im Wege stehen, kann unmöglich verfehlen sich fühlbar machen.

Daß der Congreß in der That auf seine Art der Gesetzgebung vorzu¬
arbeiten hat, zeigte sich handgreiflich bei der Frage des letzten Tages, der
Haftbarkeit für Körperbeschädigungen beim Gewerbebetriebe. Diese schwierige
und weitschichtige Frage behandelte zumal der Berichterstatter auf der einen
Seite so rein und streng volkswirthschaftlich, auf der andern so gesetzgeberisch
präcis, daß wohl auch der Berliner "Volksfreund", der Braun's Präsidium
eine gewisse mysteriöse Kraft, die Versammlung irrezuleiten, zutraut, es kaum
besser zu machen wissen würde. Der Congreß hat eben zwei Aufgaben, --
oder vielmehr, die verschiedene Lage verschiedener Verhandlungsgegenstände
nöthigt ihn, bald dies bald jenes Verfahren anzuwenden, bald ein nicht hin¬
länglich gewürdigtes großes Princip in seiner vollen Hoheit und Reinheit
auf den Schild zu erheben, bald sich dem Bedürfniß der Gesetzgeber oder
des öffentlichen Verwalters anschmiegend concretere Vorschläge für die Praxis
zu machen.




Die Organisation der liberalen Nationalpartei.

Die stürmische und erfolgreiche Initiative des Grafen Bismarck im Jahre
1866 hat die liberale Nationalpartei nicht blos von der Spitze der Be¬
wegung verdrängt, sondern in zunächst unabwendbarer Folge auch ihre agi-


drein einen so handgreiflichen Vortheil politischer Effectivitcit, daß die ganze
Gleichgültigkeit einer des Erfolgs entwöhnten Mißvergnügtheits-Politik gegen
praktische Berechnungen dazu gehört, um dies — nicht in Mainz, sondern —
in Berlin zu übersehen. Der Volkswirtschaftliche Congreß ist aber keines¬
wegs verdammt, den Prediger in der Wüste zu spielen. Grade der Credit,
welchen er sich allmählich selbst bei den Regierungen und gesetzgebenden Ge¬
walten erworben hat, verpflichtet ihn zur politischen Berechnung seines Thuns
und Lassens. Diese wird allerdings nicht immer zusammenfallen mit der Be¬
rechnung von oder in Versammlungen, welche unmittelbar an der Legislation
oder Gesetzgebung des Staats betheiligt sind. Er steht den praktischen Dingen
fern; er ist ein Verein von Volkswirth en, hat also ein volkswirthschaft-
liches Augenmerk. Aber er wird von seiner wirthschaftlichen Weisheit doch
allemal einen Gebrauch zu machen suchen, der sie den unmittelbar handelnden
Körperschaften empfiehlt, sowohl durch die Auswahl der behandelten Fragen,
als durch eine Behandlung, welche Wirkung verspricht. Von einer abstracten
Verurtheilung der Prämienanleihen hätte man schwerlich einen praktischen Ein¬
druck erwarten können. Der nachdrückliche Hinweis dagegen, daß hier Mi-
nisterialwillkür der Gesetzgebung, Privilegien der Gleichberechtigung noch
breit im Wege stehen, kann unmöglich verfehlen sich fühlbar machen.

Daß der Congreß in der That auf seine Art der Gesetzgebung vorzu¬
arbeiten hat, zeigte sich handgreiflich bei der Frage des letzten Tages, der
Haftbarkeit für Körperbeschädigungen beim Gewerbebetriebe. Diese schwierige
und weitschichtige Frage behandelte zumal der Berichterstatter auf der einen
Seite so rein und streng volkswirthschaftlich, auf der andern so gesetzgeberisch
präcis, daß wohl auch der Berliner „Volksfreund", der Braun's Präsidium
eine gewisse mysteriöse Kraft, die Versammlung irrezuleiten, zutraut, es kaum
besser zu machen wissen würde. Der Congreß hat eben zwei Aufgaben, —
oder vielmehr, die verschiedene Lage verschiedener Verhandlungsgegenstände
nöthigt ihn, bald dies bald jenes Verfahren anzuwenden, bald ein nicht hin¬
länglich gewürdigtes großes Princip in seiner vollen Hoheit und Reinheit
auf den Schild zu erheben, bald sich dem Bedürfniß der Gesetzgeber oder
des öffentlichen Verwalters anschmiegend concretere Vorschläge für die Praxis
zu machen.




Die Organisation der liberalen Nationalpartei.

Die stürmische und erfolgreiche Initiative des Grafen Bismarck im Jahre
1866 hat die liberale Nationalpartei nicht blos von der Spitze der Be¬
wegung verdrängt, sondern in zunächst unabwendbarer Folge auch ihre agi-


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[0476] drein einen so handgreiflichen Vortheil politischer Effectivitcit, daß die ganze Gleichgültigkeit einer des Erfolgs entwöhnten Mißvergnügtheits-Politik gegen praktische Berechnungen dazu gehört, um dies — nicht in Mainz, sondern — in Berlin zu übersehen. Der Volkswirtschaftliche Congreß ist aber keines¬ wegs verdammt, den Prediger in der Wüste zu spielen. Grade der Credit, welchen er sich allmählich selbst bei den Regierungen und gesetzgebenden Ge¬ walten erworben hat, verpflichtet ihn zur politischen Berechnung seines Thuns und Lassens. Diese wird allerdings nicht immer zusammenfallen mit der Be¬ rechnung von oder in Versammlungen, welche unmittelbar an der Legislation oder Gesetzgebung des Staats betheiligt sind. Er steht den praktischen Dingen fern; er ist ein Verein von Volkswirth en, hat also ein volkswirthschaft- liches Augenmerk. Aber er wird von seiner wirthschaftlichen Weisheit doch allemal einen Gebrauch zu machen suchen, der sie den unmittelbar handelnden Körperschaften empfiehlt, sowohl durch die Auswahl der behandelten Fragen, als durch eine Behandlung, welche Wirkung verspricht. Von einer abstracten Verurtheilung der Prämienanleihen hätte man schwerlich einen praktischen Ein¬ druck erwarten können. Der nachdrückliche Hinweis dagegen, daß hier Mi- nisterialwillkür der Gesetzgebung, Privilegien der Gleichberechtigung noch breit im Wege stehen, kann unmöglich verfehlen sich fühlbar machen. Daß der Congreß in der That auf seine Art der Gesetzgebung vorzu¬ arbeiten hat, zeigte sich handgreiflich bei der Frage des letzten Tages, der Haftbarkeit für Körperbeschädigungen beim Gewerbebetriebe. Diese schwierige und weitschichtige Frage behandelte zumal der Berichterstatter auf der einen Seite so rein und streng volkswirthschaftlich, auf der andern so gesetzgeberisch präcis, daß wohl auch der Berliner „Volksfreund", der Braun's Präsidium eine gewisse mysteriöse Kraft, die Versammlung irrezuleiten, zutraut, es kaum besser zu machen wissen würde. Der Congreß hat eben zwei Aufgaben, — oder vielmehr, die verschiedene Lage verschiedener Verhandlungsgegenstände nöthigt ihn, bald dies bald jenes Verfahren anzuwenden, bald ein nicht hin¬ länglich gewürdigtes großes Princip in seiner vollen Hoheit und Reinheit auf den Schild zu erheben, bald sich dem Bedürfniß der Gesetzgeber oder des öffentlichen Verwalters anschmiegend concretere Vorschläge für die Praxis zu machen. Die Organisation der liberalen Nationalpartei. Die stürmische und erfolgreiche Initiative des Grafen Bismarck im Jahre 1866 hat die liberale Nationalpartei nicht blos von der Spitze der Be¬ wegung verdrängt, sondern in zunächst unabwendbarer Folge auch ihre agi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/476>, abgerufen am 25.08.2024.