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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Ersteren hingegen in der Verleitung Dritter zu schlechtfundirtcn Darlehen an
Actiengesellschaften. Der Berichterstatter, Alexander Meyer, bewährte seinen
Scharfsinn und Ideen-Reichthum in der Darbietung einer förmlichen Lehre
über die Grenzen der Anwendung von Actiengesellschaften. Zum Abschluß
gelangte auch diese Verhandlung nicht.

Ein gleiches, aber negatives, definitiv beseitigendes Resultat hatte die
Erörterung zwischen den Professoren Emminghaus und Dietzel über die legitime
Benutzung des Staatscredits. Prof. Dietzel hatte sich früher einmal mit einer
Art neuer Theorie über das Staatsschuldenwesen einen gewissen Namen
gemacht. Er ist aber, wie Emminghaus annimmt, wesentlich doch ganz in
dem Gleise der alten Schule geblieben, die sich weniger um die Berechtigung
des Staats zum Anleihen als um die beste Art und Form ihrer Aufnahme
kümmerte. Emminghaus hingegen stellte sich auf den neuen Boden, welchen
namentlich Soetbeer's und Gildenmeister's Untersuchungen der Wissenschaft er¬
obert haben, und wonach Anleihen machen keineswegs blos der Zukunft die
Last oder einen Theil der Last zuwälzen heißt und Steuern erheben unter jedem
Gesichtspunkte selbst in Kriegsfällen vortheilhafter ist. Er ging in dieser
Richtung soweit, die Anleihen für eigentliche Staatszwecke (also nicht z. B.
für Staats-Eisenbahnen, Staats- und Bergwerke u. s. f.) ganz zu perhores-
ciren. Doch stimmte nur eine Minderheit mit ihm. Mit Prof. Dietzel
freilich, der das Princip der alten Schule formulirte, stimmte Niemand als
er selbst.

Gleichfalls in der Minderheit blieb Emminghaus mit einem von ihm vor¬
geschlagenen Protest gegen die Prämienanleihe der vier großen preußischen Eisen¬
bahnen, in welchem er solche Anleihen überhaupt verwarf. Sein Gegner Dr.
Wolfs, und mit ihm die Mehrheit fand es theils theoretisch richtiger, theils politisch
wirksamer, sich nur gegen die privilegienmäßige Ermächtigung einzelner Unter-
nehmungen (oder Staaten im Norddeutschen Bunde wie z. B. Braunschweig)
zu solchen Anleihen auszusprechen. Ein bekanntes Organ der Fortschritts¬
partei in Berlin, der "Volksfreund" von L. Parisius. hat hieran eine starke
Verurtheilung der im Congreß obenaufgekommenen transigirenden Richtung
geknüpft. Aber in dem fraglichen Falle ließ sich der principielle Stand¬
punkt schwerlich für die unterlegene Meinung allein vindiciren. Die
siegreiche Ansicht hatte in dieser Beziehung für sich, selbst dem Spiel
(d. h. dem Spiel mit ersparten Zinsen, wie Faucher es zum Unterschied
vom Lotteriespiel nannte) seine Freiheit sichern zu wollen. Der grundsätzliche
Boden, auf welchem Emminghaus, Böhnert und Löwe standen, war weniger
ein volkswirthschaftlicher als ein rechtlich-moralischer. Wirthschaftlich war
Wolff, der Gegner des früher von ihm selbst gehegten wirthschaftlichen
Radicalismus, diesmal radicaler als sie, und hatte für seinen Antrag oben-


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Ersteren hingegen in der Verleitung Dritter zu schlechtfundirtcn Darlehen an
Actiengesellschaften. Der Berichterstatter, Alexander Meyer, bewährte seinen
Scharfsinn und Ideen-Reichthum in der Darbietung einer förmlichen Lehre
über die Grenzen der Anwendung von Actiengesellschaften. Zum Abschluß
gelangte auch diese Verhandlung nicht.

Ein gleiches, aber negatives, definitiv beseitigendes Resultat hatte die
Erörterung zwischen den Professoren Emminghaus und Dietzel über die legitime
Benutzung des Staatscredits. Prof. Dietzel hatte sich früher einmal mit einer
Art neuer Theorie über das Staatsschuldenwesen einen gewissen Namen
gemacht. Er ist aber, wie Emminghaus annimmt, wesentlich doch ganz in
dem Gleise der alten Schule geblieben, die sich weniger um die Berechtigung
des Staats zum Anleihen als um die beste Art und Form ihrer Aufnahme
kümmerte. Emminghaus hingegen stellte sich auf den neuen Boden, welchen
namentlich Soetbeer's und Gildenmeister's Untersuchungen der Wissenschaft er¬
obert haben, und wonach Anleihen machen keineswegs blos der Zukunft die
Last oder einen Theil der Last zuwälzen heißt und Steuern erheben unter jedem
Gesichtspunkte selbst in Kriegsfällen vortheilhafter ist. Er ging in dieser
Richtung soweit, die Anleihen für eigentliche Staatszwecke (also nicht z. B.
für Staats-Eisenbahnen, Staats- und Bergwerke u. s. f.) ganz zu perhores-
ciren. Doch stimmte nur eine Minderheit mit ihm. Mit Prof. Dietzel
freilich, der das Princip der alten Schule formulirte, stimmte Niemand als
er selbst.

Gleichfalls in der Minderheit blieb Emminghaus mit einem von ihm vor¬
geschlagenen Protest gegen die Prämienanleihe der vier großen preußischen Eisen¬
bahnen, in welchem er solche Anleihen überhaupt verwarf. Sein Gegner Dr.
Wolfs, und mit ihm die Mehrheit fand es theils theoretisch richtiger, theils politisch
wirksamer, sich nur gegen die privilegienmäßige Ermächtigung einzelner Unter-
nehmungen (oder Staaten im Norddeutschen Bunde wie z. B. Braunschweig)
zu solchen Anleihen auszusprechen. Ein bekanntes Organ der Fortschritts¬
partei in Berlin, der „Volksfreund" von L. Parisius. hat hieran eine starke
Verurtheilung der im Congreß obenaufgekommenen transigirenden Richtung
geknüpft. Aber in dem fraglichen Falle ließ sich der principielle Stand¬
punkt schwerlich für die unterlegene Meinung allein vindiciren. Die
siegreiche Ansicht hatte in dieser Beziehung für sich, selbst dem Spiel
(d. h. dem Spiel mit ersparten Zinsen, wie Faucher es zum Unterschied
vom Lotteriespiel nannte) seine Freiheit sichern zu wollen. Der grundsätzliche
Boden, auf welchem Emminghaus, Böhnert und Löwe standen, war weniger
ein volkswirthschaftlicher als ein rechtlich-moralischer. Wirthschaftlich war
Wolff, der Gegner des früher von ihm selbst gehegten wirthschaftlichen
Radicalismus, diesmal radicaler als sie, und hatte für seinen Antrag oben-


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[0475] Ersteren hingegen in der Verleitung Dritter zu schlechtfundirtcn Darlehen an Actiengesellschaften. Der Berichterstatter, Alexander Meyer, bewährte seinen Scharfsinn und Ideen-Reichthum in der Darbietung einer förmlichen Lehre über die Grenzen der Anwendung von Actiengesellschaften. Zum Abschluß gelangte auch diese Verhandlung nicht. Ein gleiches, aber negatives, definitiv beseitigendes Resultat hatte die Erörterung zwischen den Professoren Emminghaus und Dietzel über die legitime Benutzung des Staatscredits. Prof. Dietzel hatte sich früher einmal mit einer Art neuer Theorie über das Staatsschuldenwesen einen gewissen Namen gemacht. Er ist aber, wie Emminghaus annimmt, wesentlich doch ganz in dem Gleise der alten Schule geblieben, die sich weniger um die Berechtigung des Staats zum Anleihen als um die beste Art und Form ihrer Aufnahme kümmerte. Emminghaus hingegen stellte sich auf den neuen Boden, welchen namentlich Soetbeer's und Gildenmeister's Untersuchungen der Wissenschaft er¬ obert haben, und wonach Anleihen machen keineswegs blos der Zukunft die Last oder einen Theil der Last zuwälzen heißt und Steuern erheben unter jedem Gesichtspunkte selbst in Kriegsfällen vortheilhafter ist. Er ging in dieser Richtung soweit, die Anleihen für eigentliche Staatszwecke (also nicht z. B. für Staats-Eisenbahnen, Staats- und Bergwerke u. s. f.) ganz zu perhores- ciren. Doch stimmte nur eine Minderheit mit ihm. Mit Prof. Dietzel freilich, der das Princip der alten Schule formulirte, stimmte Niemand als er selbst. Gleichfalls in der Minderheit blieb Emminghaus mit einem von ihm vor¬ geschlagenen Protest gegen die Prämienanleihe der vier großen preußischen Eisen¬ bahnen, in welchem er solche Anleihen überhaupt verwarf. Sein Gegner Dr. Wolfs, und mit ihm die Mehrheit fand es theils theoretisch richtiger, theils politisch wirksamer, sich nur gegen die privilegienmäßige Ermächtigung einzelner Unter- nehmungen (oder Staaten im Norddeutschen Bunde wie z. B. Braunschweig) zu solchen Anleihen auszusprechen. Ein bekanntes Organ der Fortschritts¬ partei in Berlin, der „Volksfreund" von L. Parisius. hat hieran eine starke Verurtheilung der im Congreß obenaufgekommenen transigirenden Richtung geknüpft. Aber in dem fraglichen Falle ließ sich der principielle Stand¬ punkt schwerlich für die unterlegene Meinung allein vindiciren. Die siegreiche Ansicht hatte in dieser Beziehung für sich, selbst dem Spiel (d. h. dem Spiel mit ersparten Zinsen, wie Faucher es zum Unterschied vom Lotteriespiel nannte) seine Freiheit sichern zu wollen. Der grundsätzliche Boden, auf welchem Emminghaus, Böhnert und Löwe standen, war weniger ein volkswirthschaftlicher als ein rechtlich-moralischer. Wirthschaftlich war Wolff, der Gegner des früher von ihm selbst gehegten wirthschaftlichen Radicalismus, diesmal radicaler als sie, und hatte für seinen Antrag oben- 59*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/475>, abgerufen am 25.08.2024.