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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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sind wir durch eine von Lenormant auf der Akropolis gefundene Statuette
im Stande, uns von der Haltung der Göttin, der Vertheilung der Attribute
eine klare Vorstellung zu machen; namentlich die Stellung der Schlange
hatte immer Schwierigkeiten gemacht; bei der Statue Simart's nimmt sie
einen viel zu großen Raum ein, und dadurch, so wie durch das ver¬
schiedene Material, sticht sie zu sehr in die Augen; dies schwierige Problem
der Composition hatte Phidias gelöst, indem er das mächtige Thier zwischen
der Göttin und dem Schilde ruhen ließ. Der französische Künstler hat auch
den Schild der Athene nicht richtig getroffen, indem er ihn mit concentri-
schen Bilderkreisen schmückte; die attische Statuette und andere Fragmente
zeigen, daß eine einzige Darstellung die ganze Außenfläche einnahm. In
allen diesen Fällen also war Simart unschuldig, wenn er fehl ging; ernster
sind die Einwendungen, die man gegen den Kopf der Göttin erheben kann.
Der Ausdruck ist mehr melancholisch und traurig als ernst und großartig
und allerdings weit entfernt von jener Phidias'schen Hoheit, die wir aus
den Köpfen des Parthenon mehr ahnen als deutlich erkennen. Der griechi¬
sche Typus, den der moderne Bildhauer sich zum Muster nahm, ist aus ver¬
hältnißmäßig später Zeit; demselben übel gewählten Vorbilde fällt auch der
Helm zur Last, dessen überladene Pracht mit der attischen Einfachheit des
übrigen Kostüms in ungünstigem Gegensatze steht. Endlich ist auch die Art
der Anwendung der Farbe nicht tadelfrei: die Farbe war nicht nur berech¬
tigt, sondern nothwendig gefordert, aber einmal angenommen mußte sie weiter
durchgeführt werden; dadurch, daß nur Mund und Augen farbig sind, erhält
das Elfenbein der anderen Gesichtstheile eine todtenähnliche Blässe.

Trotz dieser nicht zu leugnendem Mängel ist das Werk des Duc de
Luynes und Simart's ein äußerst verdienstliches und interessantes. Wenn¬
gleich noch manches in der Technik unklar geblieben, so können wir uns
wenigstens annähernd von der chryselephantinen Sculptur einen Begriff
machen: ungemein großartig, ernst, fast herbe ist die Verbindung der beiden
Farben, des leuchtenden, in verschiedene Nuancen schimmernden Goldes, und
des matter glänzenden, sanfteren Elfenbeins.

Das Piedestal der Statue ist von weißem Marmor; hier folgte Simart
nur seiner Eingebung und schuf ein zwar modernes, aber allerliebstes Relief.
Das Ganze ruht auf einer gleichfalls weißmarmornen Basis, die, mit bunten
Palmetten enkaustisch bemalt, den überaus ernsten Eindruck der Statue er¬
heiternd mildert und belebt. --

Das Privatleben des Herzogs war reich an schweren Prüfungen, an
harten Schlägen des Schicksals. Seine erste Gemahlin war, wie wir ge¬
sehen, schon 1824 gestorben; die Vicomtesse de Contades, mit welcher er sich
1846 vermählte, wurde ihm 186l entrissen; sie war ihm gie'abgeartet an


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sind wir durch eine von Lenormant auf der Akropolis gefundene Statuette
im Stande, uns von der Haltung der Göttin, der Vertheilung der Attribute
eine klare Vorstellung zu machen; namentlich die Stellung der Schlange
hatte immer Schwierigkeiten gemacht; bei der Statue Simart's nimmt sie
einen viel zu großen Raum ein, und dadurch, so wie durch das ver¬
schiedene Material, sticht sie zu sehr in die Augen; dies schwierige Problem
der Composition hatte Phidias gelöst, indem er das mächtige Thier zwischen
der Göttin und dem Schilde ruhen ließ. Der französische Künstler hat auch
den Schild der Athene nicht richtig getroffen, indem er ihn mit concentri-
schen Bilderkreisen schmückte; die attische Statuette und andere Fragmente
zeigen, daß eine einzige Darstellung die ganze Außenfläche einnahm. In
allen diesen Fällen also war Simart unschuldig, wenn er fehl ging; ernster
sind die Einwendungen, die man gegen den Kopf der Göttin erheben kann.
Der Ausdruck ist mehr melancholisch und traurig als ernst und großartig
und allerdings weit entfernt von jener Phidias'schen Hoheit, die wir aus
den Köpfen des Parthenon mehr ahnen als deutlich erkennen. Der griechi¬
sche Typus, den der moderne Bildhauer sich zum Muster nahm, ist aus ver¬
hältnißmäßig später Zeit; demselben übel gewählten Vorbilde fällt auch der
Helm zur Last, dessen überladene Pracht mit der attischen Einfachheit des
übrigen Kostüms in ungünstigem Gegensatze steht. Endlich ist auch die Art
der Anwendung der Farbe nicht tadelfrei: die Farbe war nicht nur berech¬
tigt, sondern nothwendig gefordert, aber einmal angenommen mußte sie weiter
durchgeführt werden; dadurch, daß nur Mund und Augen farbig sind, erhält
das Elfenbein der anderen Gesichtstheile eine todtenähnliche Blässe.

Trotz dieser nicht zu leugnendem Mängel ist das Werk des Duc de
Luynes und Simart's ein äußerst verdienstliches und interessantes. Wenn¬
gleich noch manches in der Technik unklar geblieben, so können wir uns
wenigstens annähernd von der chryselephantinen Sculptur einen Begriff
machen: ungemein großartig, ernst, fast herbe ist die Verbindung der beiden
Farben, des leuchtenden, in verschiedene Nuancen schimmernden Goldes, und
des matter glänzenden, sanfteren Elfenbeins.

Das Piedestal der Statue ist von weißem Marmor; hier folgte Simart
nur seiner Eingebung und schuf ein zwar modernes, aber allerliebstes Relief.
Das Ganze ruht auf einer gleichfalls weißmarmornen Basis, die, mit bunten
Palmetten enkaustisch bemalt, den überaus ernsten Eindruck der Statue er¬
heiternd mildert und belebt. —

Das Privatleben des Herzogs war reich an schweren Prüfungen, an
harten Schlägen des Schicksals. Seine erste Gemahlin war, wie wir ge¬
sehen, schon 1824 gestorben; die Vicomtesse de Contades, mit welcher er sich
1846 vermählte, wurde ihm 186l entrissen; sie war ihm gie'abgeartet an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/467>, abgerufen am 05.02.2025.