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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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leistet als auf großen Flächen, gebührt den beiden Bildchen von Sturm in
Baden (Brigg an der norwegischen Küste und Schaluppe vorm Winde
segelnd) besondere Auszeichnung. Hier erhebt Bescheidung und Liebe des
Künstlers eine anspruchslose Specialität zur reinsten ästhetischen Wirkung. --

Auf dem Meere, dem Raum der Hoffnung, verlassen wir die bunte Ma¬
lergesellschaft, die jetzt in München wettstreitet. Es wäre unrecht vom Laien,
ohne Dank zu scheiden, und gefährlich für den Künstler, nach irgend einer
Richtung mit Steinen zu werfen; nicht blos weil man sich wirklich im Glas¬
hause befindet, sondern weil Keiner ist, der nicht von einem Andern lernen
könnte. Das einzige Gemeinsame, das wir wahrnehmen, ist die unter den
Künstlern immer fester werdende Ueberzeugung, daß die Farbe wieder
zu einem wesentlichen Element erhoben werden müsse, -- eine Einsicht,
die uns Deutschen lange gefehlt hat. Noch heute thun es uns Franzosen
und Belgier darin zuvor. Wie ihre Sprache sich formelhafter entwickelt hat
als die unsrige, haben sie auch einen deutlicheren Instinkt für die koloristische
Benennung ihrer Kunsterzeugnisse. Und das ist mit Nichten ein müheloser
Besitz. Es kann nicht geleugnet werden, daß sie fleißiger und ausdauernder
studiren, denn wenn wir die gegenseitigen Kunstleistungen der Vergangenheit
vergleichen, erkennen wir es als eine Selbsttäuschung, daß die Fähigkeit, die
Dinge farbig zu sehn, Naturvorzug ihrer Race sei. Die Wahrheit ist: das Stu¬
dium des Künstlers diesseits des Rheins wird viel zu sehr in Zeichnung und
Malerei getrennt, sodaß sich das Verständniß des Formenwesens und des
Lichtscheines der Dinge nur in seltenen Fällen schon im Auge der Lernenden
zu der Einheit verbindet, die das malerische Kunstwerk bedingt. Auch her¬
vorragenden Gemälden aus deutschen Schulen merkt man ab, daß sie gefärbt,
nicht in Farbe erfunden sind. Franzosen und Niederländer haben in ihrer
Ausbildung auch dem Umstände viel zu danken, daß sich das bei uns verzettelte
und verachtete Erbe des 18. Jahrhunderts unter ihnen in lebendigerer Ueber¬
lieferung erhielt und sie die Technik der Malerei nicht erst so gut wie neu
erfinden mußten. Und auch die Zucht war bereits in der vorigen Genera¬
tion weit strenger. Man lasse sich nur erzählen, mit welcher Feldwebel¬
energie z. B. der alte Van Brie in Antwerpen seine Schüler vor früh¬
reifem Meisterspielen bewahrte.

Am saftigsten ringen ohne Frage die Münchener, aus diesem Bann
herauszukommen, in den uns eine zu weiche Erziehung gebracht, und wir
haben manches sehr achtbare Resultat zu verzeichnen gehabt. Aber uns
Deutschen liegt die Gefahr, in Extreme zu gerathen, nicht ferner, sondern
näher als Anderen, weil wir zu leicht geneigt sind, aus einer neuen Wahrheit
einseitig Princip zu machen. So wird heute in demselben München, in
welchem vor 40 Jahren die deutsche Monumentalmalerei ihre Triumphe


leistet als auf großen Flächen, gebührt den beiden Bildchen von Sturm in
Baden (Brigg an der norwegischen Küste und Schaluppe vorm Winde
segelnd) besondere Auszeichnung. Hier erhebt Bescheidung und Liebe des
Künstlers eine anspruchslose Specialität zur reinsten ästhetischen Wirkung. —

Auf dem Meere, dem Raum der Hoffnung, verlassen wir die bunte Ma¬
lergesellschaft, die jetzt in München wettstreitet. Es wäre unrecht vom Laien,
ohne Dank zu scheiden, und gefährlich für den Künstler, nach irgend einer
Richtung mit Steinen zu werfen; nicht blos weil man sich wirklich im Glas¬
hause befindet, sondern weil Keiner ist, der nicht von einem Andern lernen
könnte. Das einzige Gemeinsame, das wir wahrnehmen, ist die unter den
Künstlern immer fester werdende Ueberzeugung, daß die Farbe wieder
zu einem wesentlichen Element erhoben werden müsse, — eine Einsicht,
die uns Deutschen lange gefehlt hat. Noch heute thun es uns Franzosen
und Belgier darin zuvor. Wie ihre Sprache sich formelhafter entwickelt hat
als die unsrige, haben sie auch einen deutlicheren Instinkt für die koloristische
Benennung ihrer Kunsterzeugnisse. Und das ist mit Nichten ein müheloser
Besitz. Es kann nicht geleugnet werden, daß sie fleißiger und ausdauernder
studiren, denn wenn wir die gegenseitigen Kunstleistungen der Vergangenheit
vergleichen, erkennen wir es als eine Selbsttäuschung, daß die Fähigkeit, die
Dinge farbig zu sehn, Naturvorzug ihrer Race sei. Die Wahrheit ist: das Stu¬
dium des Künstlers diesseits des Rheins wird viel zu sehr in Zeichnung und
Malerei getrennt, sodaß sich das Verständniß des Formenwesens und des
Lichtscheines der Dinge nur in seltenen Fällen schon im Auge der Lernenden
zu der Einheit verbindet, die das malerische Kunstwerk bedingt. Auch her¬
vorragenden Gemälden aus deutschen Schulen merkt man ab, daß sie gefärbt,
nicht in Farbe erfunden sind. Franzosen und Niederländer haben in ihrer
Ausbildung auch dem Umstände viel zu danken, daß sich das bei uns verzettelte
und verachtete Erbe des 18. Jahrhunderts unter ihnen in lebendigerer Ueber¬
lieferung erhielt und sie die Technik der Malerei nicht erst so gut wie neu
erfinden mußten. Und auch die Zucht war bereits in der vorigen Genera¬
tion weit strenger. Man lasse sich nur erzählen, mit welcher Feldwebel¬
energie z. B. der alte Van Brie in Antwerpen seine Schüler vor früh¬
reifem Meisterspielen bewahrte.

Am saftigsten ringen ohne Frage die Münchener, aus diesem Bann
herauszukommen, in den uns eine zu weiche Erziehung gebracht, und wir
haben manches sehr achtbare Resultat zu verzeichnen gehabt. Aber uns
Deutschen liegt die Gefahr, in Extreme zu gerathen, nicht ferner, sondern
näher als Anderen, weil wir zu leicht geneigt sind, aus einer neuen Wahrheit
einseitig Princip zu machen. So wird heute in demselben München, in
welchem vor 40 Jahren die deutsche Monumentalmalerei ihre Triumphe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/444>, abgerufen am 24.08.2024.