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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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mit der ganzen anziehenden Melancholie des menschenleeren Landes, das auch
beim hellsten Mittagssonnenschein wie verzaubert aussieht, aufs wirkungs¬
vollste und doch einfachste zu schildern. Schleich, der mit vorwiegender
Betonung des atmosphärischen Lebens und naturalistischerem Sinn besonders
gern die Poesie der süddeutschen Ebene zeigt, hat in Lier einen würdigen
Genossen; Chr. Morgenstern jedoch, der jüngst verstorbene Meister des Luft¬
lebens, ist nicht in seinen, vorzüglichen skizzenhaften Cabinetbildchen, sondern
durch größere ausgeführte Bilder vertreten, die wesentlich hinter diesen zu¬
rückbleiben. -- Zwei geistreiche Maler des Wetters und der Jahreszeit lernen
wir in Scherres und Seidels kennen: jener bringt eine Landstraße, die
sich grad vor uns ganz eben in die Ferne verliert; ein paar Figürchen quälen
sich, diese schlechte Unendlichkeit im vollen Landregen abzumessen, ein Bild,
das mit größter Fertigkeit gemalt einen höchst humoristischen Eindruck macht.
Seidels malt ein Stück Dorfgegend in dem Schimmer des Frühlings, alle
Dinge durch die klar gewordene Lust angefrischt, alles Leben neu aufathmend,
eine Schaafheerde vorn, die sich den triefenden Weg in ganzer Breite daher
drängt. Daneben erscheinen Decamps mit den leimig zähen Tönen seiner
überkräftigen Localskizzen, Harpignies mit den fleckigen, vor lauter Sub¬
stanz nicht zur Plastik gelangenden Studien, Camille Bernier mit seinem
frappanten Waldporträt, zu welchem L am oriniöre in Brüssel das geschmack¬
vollere Gegenbild gibt, ziemlich roh. B a üble und Appian, ebenfalls aus¬
schließlich mit Farbe modellirend, beschränken sich in den hier vorliegenden Proben
zu sehr auf die bizarren Phänomene des Sumpflandes. Sie sämmtlich, ebenso
wie Corot, der in ähnlicher Intention einen "Windstoß" gemalt hat,
zwingen uns nicht zu der Ueberzeugung, daß das, was sie geben, gerade in
Oel gemalt werden mußte, wie man denn überhaupt bei den Naturalisten
eine große Unsicherheit im Instinkt für die Darstellungsmittel wahrnimmt.
Nicht blos in diesem Sinne heimathlos sind nun auch die Bilder Hilde¬
brandt's, den übereifrige Bewunderung kürzlich mit dem Titel "Maler
deS Kosmos" gekränkt hat. Die Kunst wird nicht wie manche Weine
besser, wenn sie die Linie passirt; im Gegentheil, mit der wachsenden Kenntniß
des Tropen-Kostüms der Natur, des Fremdartigen und seltenen wird der
Sinn für die immer einfache künstlerische Wirkung getrübt. So ist es Hilde-
brandt gegangen und infolge dessen eine ursprünglich vielleicht recht tüchtige
Kraft ins Absurde geführt worden. Sein ausgestelltes Bild aus der
Tropenwelt erhebt sich nicht über die handfesten Dekorationsstücke, wie man
sie in Dioramen aus dem Jahrmarkt bewundern kann. Nur in ganz wenig
Proben ist die Marine vertreten, doch sind sie dafür von ausgezeichneter Art.
Neben einem überaus subtil und schön gestimmten Strand im vollen Sonnen¬
glanze von Gudin, der in dieser räumlichen Einschränkung noch Besseres


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mit der ganzen anziehenden Melancholie des menschenleeren Landes, das auch
beim hellsten Mittagssonnenschein wie verzaubert aussieht, aufs wirkungs¬
vollste und doch einfachste zu schildern. Schleich, der mit vorwiegender
Betonung des atmosphärischen Lebens und naturalistischerem Sinn besonders
gern die Poesie der süddeutschen Ebene zeigt, hat in Lier einen würdigen
Genossen; Chr. Morgenstern jedoch, der jüngst verstorbene Meister des Luft¬
lebens, ist nicht in seinen, vorzüglichen skizzenhaften Cabinetbildchen, sondern
durch größere ausgeführte Bilder vertreten, die wesentlich hinter diesen zu¬
rückbleiben. — Zwei geistreiche Maler des Wetters und der Jahreszeit lernen
wir in Scherres und Seidels kennen: jener bringt eine Landstraße, die
sich grad vor uns ganz eben in die Ferne verliert; ein paar Figürchen quälen
sich, diese schlechte Unendlichkeit im vollen Landregen abzumessen, ein Bild,
das mit größter Fertigkeit gemalt einen höchst humoristischen Eindruck macht.
Seidels malt ein Stück Dorfgegend in dem Schimmer des Frühlings, alle
Dinge durch die klar gewordene Lust angefrischt, alles Leben neu aufathmend,
eine Schaafheerde vorn, die sich den triefenden Weg in ganzer Breite daher
drängt. Daneben erscheinen Decamps mit den leimig zähen Tönen seiner
überkräftigen Localskizzen, Harpignies mit den fleckigen, vor lauter Sub¬
stanz nicht zur Plastik gelangenden Studien, Camille Bernier mit seinem
frappanten Waldporträt, zu welchem L am oriniöre in Brüssel das geschmack¬
vollere Gegenbild gibt, ziemlich roh. B a üble und Appian, ebenfalls aus¬
schließlich mit Farbe modellirend, beschränken sich in den hier vorliegenden Proben
zu sehr auf die bizarren Phänomene des Sumpflandes. Sie sämmtlich, ebenso
wie Corot, der in ähnlicher Intention einen „Windstoß" gemalt hat,
zwingen uns nicht zu der Ueberzeugung, daß das, was sie geben, gerade in
Oel gemalt werden mußte, wie man denn überhaupt bei den Naturalisten
eine große Unsicherheit im Instinkt für die Darstellungsmittel wahrnimmt.
Nicht blos in diesem Sinne heimathlos sind nun auch die Bilder Hilde¬
brandt's, den übereifrige Bewunderung kürzlich mit dem Titel „Maler
deS Kosmos" gekränkt hat. Die Kunst wird nicht wie manche Weine
besser, wenn sie die Linie passirt; im Gegentheil, mit der wachsenden Kenntniß
des Tropen-Kostüms der Natur, des Fremdartigen und seltenen wird der
Sinn für die immer einfache künstlerische Wirkung getrübt. So ist es Hilde-
brandt gegangen und infolge dessen eine ursprünglich vielleicht recht tüchtige
Kraft ins Absurde geführt worden. Sein ausgestelltes Bild aus der
Tropenwelt erhebt sich nicht über die handfesten Dekorationsstücke, wie man
sie in Dioramen aus dem Jahrmarkt bewundern kann. Nur in ganz wenig
Proben ist die Marine vertreten, doch sind sie dafür von ausgezeichneter Art.
Neben einem überaus subtil und schön gestimmten Strand im vollen Sonnen¬
glanze von Gudin, der in dieser räumlichen Einschränkung noch Besseres


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/443>, abgerufen am 25.08.2024.