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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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schichtsbilder aus der neuen Münchener Schule die Befürchtung schöpft als
stünden diese Gegenstände und diese Technik in einem inneren Zusammen¬
hang. Denn auch Piloty malt mit Vorliebe Ereignisse, denen gegenüber
das Gemüth des Beschauers befangen bleibt. Diesmal sehen wir zwar weder
den Mordbrenner Nero, noch den todten Wallenstein oder die letzten Augen¬
blicke Cäsars, aber ein Todesurtheil muß es wenigstens sein. Diese Maria
Stuart mit Hanna und den Großwürdenträgern ist ein einfach comvonirtes
und nicht empfindungsloses Bild; die Mischung von Stolz, Groll und Ent¬
setzen in den gezwungen impassibeln Zügen der schönen Königin sehr ergrei¬
fend, wie ja der ganze Vorwurf in seiner leidenschaftlichen Macht und
Prägnanz dem Künstler Gelegenheit zu außerordentlicher Leistung bietet.
Aber auch höchste Darstellungskraft überwindet die Ungunst nicht, die darin
liegt, daß das Publicum mit Voreingenommenheit an das Bild tritt, und
das ist immer da der Fall, wo der Maler sein Sujet der dramatischen Kunst
direct entlehnt. Er hat alsdann mit den mannigfaltigsten stillen Einwendun¬
gen zu kämpfen, die nicht immer berechtigt, aber.nichtsdestoweniger vorhanden
und um so hartnäckiger sind. Und Piloty bringt sie nicht zum Schweigen.
Die Männergruppe entbehrt des Grades von Individualisirung, den jeder
Leser Schillers verlangt und die äußerst wirksame und meisterhafte Behand¬
lung des Kostüms ersetzt den Mangel nicht, sondern macht ihn nur noch
fühlbarer. Mit Genugthuung nehmen wir wahr, daß der Kürsner neuer¬
dings seine Figuren in kleinerem Maßstabe zeichnet, nur müßte dann auch
der gar zu pastose Farbenauftrag, der auf Fernwirkung berechnet 'ist, mode-
rirt werden. Colossalgestalten zu erfinden, ist ihm nicht gegeben, wie er auch
trotz seines Antheils an den Wandbildern im Nationalmuseum der histori¬
schen Kunst im strengen Sinne ganz fern steht, schon weil sure Erfindungs¬
kraft nicht groß und nicht selbständig ist und die ganze Auffassung der
menschlichen Figur vom Wirbel bis zur Zehe modern und die Färbung
genrehaft bleibt, da es ihr stets vorwiegend auf die Stoffmalerei ankommt.
In beiden Beziehungen hat man in Seelilie wol das entschiedenste
Gegenbild. Leidet sein kleiner Cyclus zu dem Märchen "Schneewittchen
und Rosenroth" , ein ziemlich mißlungener Versuch auf Schwind's Do¬
mains, an gesuchter Stilisirung. die ans Unbeholfene streift, so ist dagegen
die Illustration zu Shakespeare's "Kaufmann von Venedig" (Porzia mit
den Kästchen) eine höchst anmuthige Composition voll guter Laune in Er¬
findung und Vortrag; auch das leichte Colorit des Cartons hat etwas sehr
Ansprechendes und läßt uns den oft zum Bizarren neigenden Meister wieder
einmal in seiner ganzen Liebenswürdigkeit schätzen.

Das beliebte, jetzt schon ins zweiten Stadium modischen Interesses ein¬
getretene Gebiet der Kostümmalerei, die Schilderung des Orients, ist reich


schichtsbilder aus der neuen Münchener Schule die Befürchtung schöpft als
stünden diese Gegenstände und diese Technik in einem inneren Zusammen¬
hang. Denn auch Piloty malt mit Vorliebe Ereignisse, denen gegenüber
das Gemüth des Beschauers befangen bleibt. Diesmal sehen wir zwar weder
den Mordbrenner Nero, noch den todten Wallenstein oder die letzten Augen¬
blicke Cäsars, aber ein Todesurtheil muß es wenigstens sein. Diese Maria
Stuart mit Hanna und den Großwürdenträgern ist ein einfach comvonirtes
und nicht empfindungsloses Bild; die Mischung von Stolz, Groll und Ent¬
setzen in den gezwungen impassibeln Zügen der schönen Königin sehr ergrei¬
fend, wie ja der ganze Vorwurf in seiner leidenschaftlichen Macht und
Prägnanz dem Künstler Gelegenheit zu außerordentlicher Leistung bietet.
Aber auch höchste Darstellungskraft überwindet die Ungunst nicht, die darin
liegt, daß das Publicum mit Voreingenommenheit an das Bild tritt, und
das ist immer da der Fall, wo der Maler sein Sujet der dramatischen Kunst
direct entlehnt. Er hat alsdann mit den mannigfaltigsten stillen Einwendun¬
gen zu kämpfen, die nicht immer berechtigt, aber.nichtsdestoweniger vorhanden
und um so hartnäckiger sind. Und Piloty bringt sie nicht zum Schweigen.
Die Männergruppe entbehrt des Grades von Individualisirung, den jeder
Leser Schillers verlangt und die äußerst wirksame und meisterhafte Behand¬
lung des Kostüms ersetzt den Mangel nicht, sondern macht ihn nur noch
fühlbarer. Mit Genugthuung nehmen wir wahr, daß der Kürsner neuer¬
dings seine Figuren in kleinerem Maßstabe zeichnet, nur müßte dann auch
der gar zu pastose Farbenauftrag, der auf Fernwirkung berechnet 'ist, mode-
rirt werden. Colossalgestalten zu erfinden, ist ihm nicht gegeben, wie er auch
trotz seines Antheils an den Wandbildern im Nationalmuseum der histori¬
schen Kunst im strengen Sinne ganz fern steht, schon weil sure Erfindungs¬
kraft nicht groß und nicht selbständig ist und die ganze Auffassung der
menschlichen Figur vom Wirbel bis zur Zehe modern und die Färbung
genrehaft bleibt, da es ihr stets vorwiegend auf die Stoffmalerei ankommt.
In beiden Beziehungen hat man in Seelilie wol das entschiedenste
Gegenbild. Leidet sein kleiner Cyclus zu dem Märchen „Schneewittchen
und Rosenroth" , ein ziemlich mißlungener Versuch auf Schwind's Do¬
mains, an gesuchter Stilisirung. die ans Unbeholfene streift, so ist dagegen
die Illustration zu Shakespeare's „Kaufmann von Venedig" (Porzia mit
den Kästchen) eine höchst anmuthige Composition voll guter Laune in Er¬
findung und Vortrag; auch das leichte Colorit des Cartons hat etwas sehr
Ansprechendes und läßt uns den oft zum Bizarren neigenden Meister wieder
einmal in seiner ganzen Liebenswürdigkeit schätzen.

Das beliebte, jetzt schon ins zweiten Stadium modischen Interesses ein¬
getretene Gebiet der Kostümmalerei, die Schilderung des Orients, ist reich


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[0437] schichtsbilder aus der neuen Münchener Schule die Befürchtung schöpft als stünden diese Gegenstände und diese Technik in einem inneren Zusammen¬ hang. Denn auch Piloty malt mit Vorliebe Ereignisse, denen gegenüber das Gemüth des Beschauers befangen bleibt. Diesmal sehen wir zwar weder den Mordbrenner Nero, noch den todten Wallenstein oder die letzten Augen¬ blicke Cäsars, aber ein Todesurtheil muß es wenigstens sein. Diese Maria Stuart mit Hanna und den Großwürdenträgern ist ein einfach comvonirtes und nicht empfindungsloses Bild; die Mischung von Stolz, Groll und Ent¬ setzen in den gezwungen impassibeln Zügen der schönen Königin sehr ergrei¬ fend, wie ja der ganze Vorwurf in seiner leidenschaftlichen Macht und Prägnanz dem Künstler Gelegenheit zu außerordentlicher Leistung bietet. Aber auch höchste Darstellungskraft überwindet die Ungunst nicht, die darin liegt, daß das Publicum mit Voreingenommenheit an das Bild tritt, und das ist immer da der Fall, wo der Maler sein Sujet der dramatischen Kunst direct entlehnt. Er hat alsdann mit den mannigfaltigsten stillen Einwendun¬ gen zu kämpfen, die nicht immer berechtigt, aber.nichtsdestoweniger vorhanden und um so hartnäckiger sind. Und Piloty bringt sie nicht zum Schweigen. Die Männergruppe entbehrt des Grades von Individualisirung, den jeder Leser Schillers verlangt und die äußerst wirksame und meisterhafte Behand¬ lung des Kostüms ersetzt den Mangel nicht, sondern macht ihn nur noch fühlbarer. Mit Genugthuung nehmen wir wahr, daß der Kürsner neuer¬ dings seine Figuren in kleinerem Maßstabe zeichnet, nur müßte dann auch der gar zu pastose Farbenauftrag, der auf Fernwirkung berechnet 'ist, mode- rirt werden. Colossalgestalten zu erfinden, ist ihm nicht gegeben, wie er auch trotz seines Antheils an den Wandbildern im Nationalmuseum der histori¬ schen Kunst im strengen Sinne ganz fern steht, schon weil sure Erfindungs¬ kraft nicht groß und nicht selbständig ist und die ganze Auffassung der menschlichen Figur vom Wirbel bis zur Zehe modern und die Färbung genrehaft bleibt, da es ihr stets vorwiegend auf die Stoffmalerei ankommt. In beiden Beziehungen hat man in Seelilie wol das entschiedenste Gegenbild. Leidet sein kleiner Cyclus zu dem Märchen „Schneewittchen und Rosenroth" , ein ziemlich mißlungener Versuch auf Schwind's Do¬ mains, an gesuchter Stilisirung. die ans Unbeholfene streift, so ist dagegen die Illustration zu Shakespeare's „Kaufmann von Venedig" (Porzia mit den Kästchen) eine höchst anmuthige Composition voll guter Laune in Er¬ findung und Vortrag; auch das leichte Colorit des Cartons hat etwas sehr Ansprechendes und läßt uns den oft zum Bizarren neigenden Meister wieder einmal in seiner ganzen Liebenswürdigkeit schätzen. Das beliebte, jetzt schon ins zweiten Stadium modischen Interesses ein¬ getretene Gebiet der Kostümmalerei, die Schilderung des Orients, ist reich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/437>, abgerufen am 22.07.2024.