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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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licherweise sind es Vater und Bruder der Grisette oben, denn sie sind ganz
Fadenscheinigkeit wie alle gemalte Moral, vielleicht haben sie auch weiter
keinen Zweck, als da zu sein und den Beschauer mit der Frage nach dem
Warum? zu veriren.-- Eine andere Species vertritt Millet. A la Rem-
brand -- d. h. wenn man einen Rembrand nach Art des seligen Andrea del
Sarto in Berlin wüsche -- stellt er einen alten häßlichen Holzträger vor,
der seine Bürde eben abgesetzt hat und nur dadurch erträglicher gemacht wird,
daß noch ein Häßlicherer, nämlich Freund Hein erscheint, um ihn abzuholen;
-- wir hätten nichts dagegen, wenn dieses Geschäft mit Gegenseitigkeit be¬
trieben würde. Obgleich blos in Halblicht und Halbschatten gemalt, ohne
jede Spur von gezeichneter Form, breit und salopp vorgetragen, hat das
Bild etwas Originelles, ja Fascinirendes. Aber die Farbe ist doch nicht
dazu da, um blos als Geräusch zu wirken? Das Concert muß eine Tonart
haben; warum sonst überhaupt Farbe? Will man die gemeinste Elendigkeit
nicht lieber aus sich beruhen lassen, statt sie darzustellen, dann sollte man ihr
wenigstens einen Schein von Idealität geben, indem man sie etwa mit der
Radirnadel behandelt, die solcher Wirkung völlig gewachsen ist, ja die ihr
noch weit adäquater wäre, wie uns denn, offen gestanden, das ganze Bild
auch vermöge seiner stofflichen Verwandtschaft mit den Todtentänzen darnach
aussieht, als hätte sich der Maler im Mittel vergriffen. Pafsirt dies dem
Arzt, dann kann der Patient sterben; aber auch beim Künstler ist das Spiel
nicht ungefährlich. Immerhin glauben wir Herrn Millet noch eher als
Courbet; jener ist zwar eine wunderliche Natur und bringt es trotz seiner Liebe
zur Häßlichkeit selten bis zum bes-u an IM, aber es ist doch Auffassung,
wenn auch die eines einsiedelnden Autodidakten in dem, was er macht.
Courbet dagegen vertritt in solchen Bildern eine gemachte Naivetät, die des¬
halb so unangenehm wirkt, weil sie sich wie absichtliche Täuschung des Publi-
cums ausnimmt, wenn sie es nicht wirklich ist.

Eine dritte Nuance bietet Gustav Dore'. Er hat sich mit einem halben
Dutzend Oelgemälden über den Rhein gewagt, da seine Bilderbibel ihm so
erfolgreich den Boden bereitet hatte. Nicht das Gemeine, sondern über¬
haupt gemein darzustellen, ist sein Geheimniß. Auf einen Augenblick frap-
piren vielleicht diese in Oel gesetzten Carikaturen; es gibt eine Frechheit, die
beinahe wie Heroismus aussieht; einmal erkannt aber werden seine Gemachte
bis zum Unerträglichen ekelhaft. Sein "Neophyt" zeigt uns einen jungen
Geistlichen, der verdutzt und erschrocken in einer Reihe älterer Genossen sitzt;
sie sind vollendet geschmacklos, wie Messer und Gabeln in einem Etui Einer
neben den Andern postirt und repräsentiren die unterste Classe von Stumpf¬
sinn und Erbärmlichkeit. Ferner eine Gruppe Gaukler, Auswurf von Men¬
schengesichtern, wahrhaft obscön häßlich; dazu ein Paar Bettelkinder aus


licherweise sind es Vater und Bruder der Grisette oben, denn sie sind ganz
Fadenscheinigkeit wie alle gemalte Moral, vielleicht haben sie auch weiter
keinen Zweck, als da zu sein und den Beschauer mit der Frage nach dem
Warum? zu veriren.— Eine andere Species vertritt Millet. A la Rem-
brand — d. h. wenn man einen Rembrand nach Art des seligen Andrea del
Sarto in Berlin wüsche — stellt er einen alten häßlichen Holzträger vor,
der seine Bürde eben abgesetzt hat und nur dadurch erträglicher gemacht wird,
daß noch ein Häßlicherer, nämlich Freund Hein erscheint, um ihn abzuholen;
— wir hätten nichts dagegen, wenn dieses Geschäft mit Gegenseitigkeit be¬
trieben würde. Obgleich blos in Halblicht und Halbschatten gemalt, ohne
jede Spur von gezeichneter Form, breit und salopp vorgetragen, hat das
Bild etwas Originelles, ja Fascinirendes. Aber die Farbe ist doch nicht
dazu da, um blos als Geräusch zu wirken? Das Concert muß eine Tonart
haben; warum sonst überhaupt Farbe? Will man die gemeinste Elendigkeit
nicht lieber aus sich beruhen lassen, statt sie darzustellen, dann sollte man ihr
wenigstens einen Schein von Idealität geben, indem man sie etwa mit der
Radirnadel behandelt, die solcher Wirkung völlig gewachsen ist, ja die ihr
noch weit adäquater wäre, wie uns denn, offen gestanden, das ganze Bild
auch vermöge seiner stofflichen Verwandtschaft mit den Todtentänzen darnach
aussieht, als hätte sich der Maler im Mittel vergriffen. Pafsirt dies dem
Arzt, dann kann der Patient sterben; aber auch beim Künstler ist das Spiel
nicht ungefährlich. Immerhin glauben wir Herrn Millet noch eher als
Courbet; jener ist zwar eine wunderliche Natur und bringt es trotz seiner Liebe
zur Häßlichkeit selten bis zum bes-u an IM, aber es ist doch Auffassung,
wenn auch die eines einsiedelnden Autodidakten in dem, was er macht.
Courbet dagegen vertritt in solchen Bildern eine gemachte Naivetät, die des¬
halb so unangenehm wirkt, weil sie sich wie absichtliche Täuschung des Publi-
cums ausnimmt, wenn sie es nicht wirklich ist.

Eine dritte Nuance bietet Gustav Dore'. Er hat sich mit einem halben
Dutzend Oelgemälden über den Rhein gewagt, da seine Bilderbibel ihm so
erfolgreich den Boden bereitet hatte. Nicht das Gemeine, sondern über¬
haupt gemein darzustellen, ist sein Geheimniß. Auf einen Augenblick frap-
piren vielleicht diese in Oel gesetzten Carikaturen; es gibt eine Frechheit, die
beinahe wie Heroismus aussieht; einmal erkannt aber werden seine Gemachte
bis zum Unerträglichen ekelhaft. Sein „Neophyt" zeigt uns einen jungen
Geistlichen, der verdutzt und erschrocken in einer Reihe älterer Genossen sitzt;
sie sind vollendet geschmacklos, wie Messer und Gabeln in einem Etui Einer
neben den Andern postirt und repräsentiren die unterste Classe von Stumpf¬
sinn und Erbärmlichkeit. Ferner eine Gruppe Gaukler, Auswurf von Men¬
schengesichtern, wahrhaft obscön häßlich; dazu ein Paar Bettelkinder aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/434>, abgerufen am 22.07.2024.