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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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großen Figuren schildert der Künstler den Moment, wie der weinselige
Alkibiades auf zwei Hetären gestützt und von Sclavenknaben geleitet in das
Gemach des Agathon hereinstürzt und den Wirth beglückwünscht, dessen wür¬
dige Gäste mit der Tiefe- des Polaks auch die Tiefe ihrer Gedanken messen.
Der Gegensatz des wilden Schwarmes der Ungebetenen und der ernsten Ge¬
sellschaft am Tische, deren Mittelpunkt Sokrates bildet, ist gut gedacht und
von den Figuren sind etliche trefflich erfunden, aber das Ganze leidet an
einer Unsicherheit des Vortrags und an einer -- sollen wir sagen Beschränkung
oder Unfähigkeit der Durchführung, die es zu keinem reinen Eindrucke kom¬
men lassen. Feuerbach ist ein Sonderling; Stoiker und Epikuräer zugleich
schwankt er zwischen Strenge und Ueppigkeit seltsam hin und her, bald die
volle Farbenskala der Venezianer, bald die Herbigkeit mancher Florentiner
nachahmend bringt er es bei aller Begabung zu keinem individuellen Stil.
Das vorliegende Bild ist zwar insofern in sich harmonisch, als die ganz relief-
arlige Composition auch fast nur grau in grau wie ein leicht getuschter
Karton, nicht wie Oelgemälde erscheint, eine Abschwächung. welche durch die
Nachtdämmerung der Scene doch nicht hinreichend motivirt erscheint, aber dabei
ist wieder der Grad der Körperlichkeit bei den einzelnen Figuren nicht übe"
einstimmend und hier und da ist auf die Stoffe zu viel Aufmerksamkeit ge¬
wandt. Das ist eben das Heikele bei solennen sujets aus der Antike,
daß sie eine abgeklärte Phantasie und einen ganz deutlichen Willen beim
Darsteller verlangen; er kann fehlgreifen und es entsteht dann ein ungenügend
des Bild, aber er muß vor allem das Hybride, schielende der Auffassung
vermeiden.

Zurückführen läßt sich diese Vortragsweise, die in jenem Falle ein Mis-
lingen des Eklektikers ist, auf ein ganz^ bewußtes Verfahren neuerer Fran¬
zosen. Wie die Uebersättigung und Ueberreizung schließlich ins Elementar-
Natürliche flüchtet, so üben sie sich und ihr Publicum zuweilen geradezu in
Hungercur auf malerischem Gebiet. Es ist, als bekäme man statt erwarteten
Weines warmes Wasser vorgesetzt, wenn man eine gewisse Sorte ihrer soge¬
nannten Sittenbilder betrachtet, die man ästhetisch auch Unsittenbilder nennen
könnte. Wir nehmen die Extreme voraus. Dicht unter dem in Ermange¬
lung besseren Spielzeugs mit einem Papagei tändelnden eigenthümlich bleich
gefärbten nackten Mädchen von Courbet hängt das Bild desselben Malers,
welches zwei Steinklopfer darstellt. Ein Alter und ein Junger, beide in der
halbhockenden Stellung, wie es ihr armes Geschäft mit sich bringt, beide
schräg gestellt, sodaß man nicht in den Gesichtern lesen kann, all in ihrer
Dürftigkeit, mit den Lumpen, die sich kaum vom Staube unterscheiden, in
welchem sie Hantiren, mit der ganzen Lahmheit und Formlosigkeit niedrigsten
banausischen Elends. -- Lrüvs, vovig, wie lebensgroß in Koth modellirt. Mög-


Grenzboten III. 18S9. S4

großen Figuren schildert der Künstler den Moment, wie der weinselige
Alkibiades auf zwei Hetären gestützt und von Sclavenknaben geleitet in das
Gemach des Agathon hereinstürzt und den Wirth beglückwünscht, dessen wür¬
dige Gäste mit der Tiefe- des Polaks auch die Tiefe ihrer Gedanken messen.
Der Gegensatz des wilden Schwarmes der Ungebetenen und der ernsten Ge¬
sellschaft am Tische, deren Mittelpunkt Sokrates bildet, ist gut gedacht und
von den Figuren sind etliche trefflich erfunden, aber das Ganze leidet an
einer Unsicherheit des Vortrags und an einer — sollen wir sagen Beschränkung
oder Unfähigkeit der Durchführung, die es zu keinem reinen Eindrucke kom¬
men lassen. Feuerbach ist ein Sonderling; Stoiker und Epikuräer zugleich
schwankt er zwischen Strenge und Ueppigkeit seltsam hin und her, bald die
volle Farbenskala der Venezianer, bald die Herbigkeit mancher Florentiner
nachahmend bringt er es bei aller Begabung zu keinem individuellen Stil.
Das vorliegende Bild ist zwar insofern in sich harmonisch, als die ganz relief-
arlige Composition auch fast nur grau in grau wie ein leicht getuschter
Karton, nicht wie Oelgemälde erscheint, eine Abschwächung. welche durch die
Nachtdämmerung der Scene doch nicht hinreichend motivirt erscheint, aber dabei
ist wieder der Grad der Körperlichkeit bei den einzelnen Figuren nicht übe»
einstimmend und hier und da ist auf die Stoffe zu viel Aufmerksamkeit ge¬
wandt. Das ist eben das Heikele bei solennen sujets aus der Antike,
daß sie eine abgeklärte Phantasie und einen ganz deutlichen Willen beim
Darsteller verlangen; er kann fehlgreifen und es entsteht dann ein ungenügend
des Bild, aber er muß vor allem das Hybride, schielende der Auffassung
vermeiden.

Zurückführen läßt sich diese Vortragsweise, die in jenem Falle ein Mis-
lingen des Eklektikers ist, auf ein ganz^ bewußtes Verfahren neuerer Fran¬
zosen. Wie die Uebersättigung und Ueberreizung schließlich ins Elementar-
Natürliche flüchtet, so üben sie sich und ihr Publicum zuweilen geradezu in
Hungercur auf malerischem Gebiet. Es ist, als bekäme man statt erwarteten
Weines warmes Wasser vorgesetzt, wenn man eine gewisse Sorte ihrer soge¬
nannten Sittenbilder betrachtet, die man ästhetisch auch Unsittenbilder nennen
könnte. Wir nehmen die Extreme voraus. Dicht unter dem in Ermange¬
lung besseren Spielzeugs mit einem Papagei tändelnden eigenthümlich bleich
gefärbten nackten Mädchen von Courbet hängt das Bild desselben Malers,
welches zwei Steinklopfer darstellt. Ein Alter und ein Junger, beide in der
halbhockenden Stellung, wie es ihr armes Geschäft mit sich bringt, beide
schräg gestellt, sodaß man nicht in den Gesichtern lesen kann, all in ihrer
Dürftigkeit, mit den Lumpen, die sich kaum vom Staube unterscheiden, in
welchem sie Hantiren, mit der ganzen Lahmheit und Formlosigkeit niedrigsten
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[0433] großen Figuren schildert der Künstler den Moment, wie der weinselige Alkibiades auf zwei Hetären gestützt und von Sclavenknaben geleitet in das Gemach des Agathon hereinstürzt und den Wirth beglückwünscht, dessen wür¬ dige Gäste mit der Tiefe- des Polaks auch die Tiefe ihrer Gedanken messen. Der Gegensatz des wilden Schwarmes der Ungebetenen und der ernsten Ge¬ sellschaft am Tische, deren Mittelpunkt Sokrates bildet, ist gut gedacht und von den Figuren sind etliche trefflich erfunden, aber das Ganze leidet an einer Unsicherheit des Vortrags und an einer — sollen wir sagen Beschränkung oder Unfähigkeit der Durchführung, die es zu keinem reinen Eindrucke kom¬ men lassen. Feuerbach ist ein Sonderling; Stoiker und Epikuräer zugleich schwankt er zwischen Strenge und Ueppigkeit seltsam hin und her, bald die volle Farbenskala der Venezianer, bald die Herbigkeit mancher Florentiner nachahmend bringt er es bei aller Begabung zu keinem individuellen Stil. Das vorliegende Bild ist zwar insofern in sich harmonisch, als die ganz relief- arlige Composition auch fast nur grau in grau wie ein leicht getuschter Karton, nicht wie Oelgemälde erscheint, eine Abschwächung. welche durch die Nachtdämmerung der Scene doch nicht hinreichend motivirt erscheint, aber dabei ist wieder der Grad der Körperlichkeit bei den einzelnen Figuren nicht übe» einstimmend und hier und da ist auf die Stoffe zu viel Aufmerksamkeit ge¬ wandt. Das ist eben das Heikele bei solennen sujets aus der Antike, daß sie eine abgeklärte Phantasie und einen ganz deutlichen Willen beim Darsteller verlangen; er kann fehlgreifen und es entsteht dann ein ungenügend des Bild, aber er muß vor allem das Hybride, schielende der Auffassung vermeiden. Zurückführen läßt sich diese Vortragsweise, die in jenem Falle ein Mis- lingen des Eklektikers ist, auf ein ganz^ bewußtes Verfahren neuerer Fran¬ zosen. Wie die Uebersättigung und Ueberreizung schließlich ins Elementar- Natürliche flüchtet, so üben sie sich und ihr Publicum zuweilen geradezu in Hungercur auf malerischem Gebiet. Es ist, als bekäme man statt erwarteten Weines warmes Wasser vorgesetzt, wenn man eine gewisse Sorte ihrer soge¬ nannten Sittenbilder betrachtet, die man ästhetisch auch Unsittenbilder nennen könnte. Wir nehmen die Extreme voraus. Dicht unter dem in Ermange¬ lung besseren Spielzeugs mit einem Papagei tändelnden eigenthümlich bleich gefärbten nackten Mädchen von Courbet hängt das Bild desselben Malers, welches zwei Steinklopfer darstellt. Ein Alter und ein Junger, beide in der halbhockenden Stellung, wie es ihr armes Geschäft mit sich bringt, beide schräg gestellt, sodaß man nicht in den Gesichtern lesen kann, all in ihrer Dürftigkeit, mit den Lumpen, die sich kaum vom Staube unterscheiden, in welchem sie Hantiren, mit der ganzen Lahmheit und Formlosigkeit niedrigsten banausischen Elends. — Lrüvs, vovig, wie lebensgroß in Koth modellirt. Mög- Grenzboten III. 18S9. S4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/433>, abgerufen am 22.07.2024.