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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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zu verstärken. Eine imposante Jnstrumentalmasse (man spricht von 120 Mann)
war in dem zu diesem Zweck umgebauten und tiefer gelegten Orchesterraum
zusammengebracht worden. Nur die Harfen, deren der Componist zehn be¬
ansprucht hatte, waren blos vierfach besetzt; man hätte aber in dem Orchester¬
trubel nichts von ihnen gehört, auch wenn sie SOfach vertreten gewesen
wären. -- Die neue Oper hat alle Mängel der früheren Werke Wagners. Es
ist viel Lärmen um Nichts. Jede Person im Stücke tritt mit einem be¬
sonderen Orchestermotiv auf; diese und zahllose andere Motive drängen
unablässig über einander hin. Es kommt nie zu einer Entwickelung, zu einem
freien Zug, Alles zerbröckelt in kleine Theile, ohne innern Zusammen¬
hang, ohne Wirkungsfähigkeit. Die Oper ist nicht völlig melodielos, aber
überall finden sich nur Ansätze, die sich sofort wieder verlieren und nie eine
naturgemäße Entwickelung gewinnen. Deshalb ist auch keine Steige¬
rung möglich, denn nicht durch kunstvolle thematische Verschlingungen,
nicht durch überraschende Orchestereffecte, nicht durch fremdartige Wendungen,
an denen allen es dem Werke nicht fehlt, sondern nur durch eine freie, natür¬
liche Gestaltung der Melodie, durch eine regelrechte Gliederung der Sätze,
durch eine künstlerische, schön gestaltete und harmonisch abgerundete Form ist
eine Steigerung möglich, Wie kein Mensch über die Gesetze der Sitte, über
die Verpflichtungen der Dankbarkeit und Freundschaft sich ungestraft hinweg¬
setzen darf, so auch kein Componist über die ewigen Regeln und Gesetze der
Kunst. Was besonders im "Rheingold", das ohne alle Chorgesänge ist, un¬
endlich ermüdend wirkt, ist der Mangel fast aller Ensemblesätze. Eine
Stimme singt nach der andern in monotonster Weise ihr Pensum ab. Das
Ohr dürstet nach einer T"z oder Text in den Singstimmen. Da ist denn
das seltene Zusammensingen der drei Nheinnixen ein wirkliches Labsal. Würde
der Text des Rheingoldes ohne Musikbegleitung einfach gesprochen, erwürbe,
rasch dahin gleitend, trotz seiner Härten und Sonderbarkeiten zu wirken ver¬
mögen, aber gesungen erzeugt er die tödtlichste Langeweile; was ihm an
Größe, Witz und dramatischer Combination innewohnt, geht bei solchem
Vortrag spurlos verloren.

Man sagt, die Verehrer Wagners hätten diesem gerathen, Rheingold
gleichzeitig mit der Walküre geben zu lassen. Glauben Sie, daß eine Vor¬
stellung, die mindestens sechs Stunden dauern würde, das Publicum fesseln
könnte? Der Rheingold spielt mindestens 2Vz Stunden ununterbrochen. Die
Walküre hat 3 Akte und gewiß eine Länge von 3--4 Stunden. Wer aber
wäre im Stande, nach dem ermüdenden Vorspiele auch noch das Hauptwerk
zu hören? Die zahlreiche Versammlung hat in der Probe kein Zeichen von
Beifall gegeben. Freunde wie Gegner des Tonsetzers schüttelten bedenklich
die Köpfe. Den ersteren mochte sich der Gedanke aufdrängen, daß die


zu verstärken. Eine imposante Jnstrumentalmasse (man spricht von 120 Mann)
war in dem zu diesem Zweck umgebauten und tiefer gelegten Orchesterraum
zusammengebracht worden. Nur die Harfen, deren der Componist zehn be¬
ansprucht hatte, waren blos vierfach besetzt; man hätte aber in dem Orchester¬
trubel nichts von ihnen gehört, auch wenn sie SOfach vertreten gewesen
wären. — Die neue Oper hat alle Mängel der früheren Werke Wagners. Es
ist viel Lärmen um Nichts. Jede Person im Stücke tritt mit einem be¬
sonderen Orchestermotiv auf; diese und zahllose andere Motive drängen
unablässig über einander hin. Es kommt nie zu einer Entwickelung, zu einem
freien Zug, Alles zerbröckelt in kleine Theile, ohne innern Zusammen¬
hang, ohne Wirkungsfähigkeit. Die Oper ist nicht völlig melodielos, aber
überall finden sich nur Ansätze, die sich sofort wieder verlieren und nie eine
naturgemäße Entwickelung gewinnen. Deshalb ist auch keine Steige¬
rung möglich, denn nicht durch kunstvolle thematische Verschlingungen,
nicht durch überraschende Orchestereffecte, nicht durch fremdartige Wendungen,
an denen allen es dem Werke nicht fehlt, sondern nur durch eine freie, natür¬
liche Gestaltung der Melodie, durch eine regelrechte Gliederung der Sätze,
durch eine künstlerische, schön gestaltete und harmonisch abgerundete Form ist
eine Steigerung möglich, Wie kein Mensch über die Gesetze der Sitte, über
die Verpflichtungen der Dankbarkeit und Freundschaft sich ungestraft hinweg¬
setzen darf, so auch kein Componist über die ewigen Regeln und Gesetze der
Kunst. Was besonders im „Rheingold", das ohne alle Chorgesänge ist, un¬
endlich ermüdend wirkt, ist der Mangel fast aller Ensemblesätze. Eine
Stimme singt nach der andern in monotonster Weise ihr Pensum ab. Das
Ohr dürstet nach einer T»z oder Text in den Singstimmen. Da ist denn
das seltene Zusammensingen der drei Nheinnixen ein wirkliches Labsal. Würde
der Text des Rheingoldes ohne Musikbegleitung einfach gesprochen, erwürbe,
rasch dahin gleitend, trotz seiner Härten und Sonderbarkeiten zu wirken ver¬
mögen, aber gesungen erzeugt er die tödtlichste Langeweile; was ihm an
Größe, Witz und dramatischer Combination innewohnt, geht bei solchem
Vortrag spurlos verloren.

Man sagt, die Verehrer Wagners hätten diesem gerathen, Rheingold
gleichzeitig mit der Walküre geben zu lassen. Glauben Sie, daß eine Vor¬
stellung, die mindestens sechs Stunden dauern würde, das Publicum fesseln
könnte? Der Rheingold spielt mindestens 2Vz Stunden ununterbrochen. Die
Walküre hat 3 Akte und gewiß eine Länge von 3—4 Stunden. Wer aber
wäre im Stande, nach dem ermüdenden Vorspiele auch noch das Hauptwerk
zu hören? Die zahlreiche Versammlung hat in der Probe kein Zeichen von
Beifall gegeben. Freunde wie Gegner des Tonsetzers schüttelten bedenklich
die Köpfe. Den ersteren mochte sich der Gedanke aufdrängen, daß die


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[0429] zu verstärken. Eine imposante Jnstrumentalmasse (man spricht von 120 Mann) war in dem zu diesem Zweck umgebauten und tiefer gelegten Orchesterraum zusammengebracht worden. Nur die Harfen, deren der Componist zehn be¬ ansprucht hatte, waren blos vierfach besetzt; man hätte aber in dem Orchester¬ trubel nichts von ihnen gehört, auch wenn sie SOfach vertreten gewesen wären. — Die neue Oper hat alle Mängel der früheren Werke Wagners. Es ist viel Lärmen um Nichts. Jede Person im Stücke tritt mit einem be¬ sonderen Orchestermotiv auf; diese und zahllose andere Motive drängen unablässig über einander hin. Es kommt nie zu einer Entwickelung, zu einem freien Zug, Alles zerbröckelt in kleine Theile, ohne innern Zusammen¬ hang, ohne Wirkungsfähigkeit. Die Oper ist nicht völlig melodielos, aber überall finden sich nur Ansätze, die sich sofort wieder verlieren und nie eine naturgemäße Entwickelung gewinnen. Deshalb ist auch keine Steige¬ rung möglich, denn nicht durch kunstvolle thematische Verschlingungen, nicht durch überraschende Orchestereffecte, nicht durch fremdartige Wendungen, an denen allen es dem Werke nicht fehlt, sondern nur durch eine freie, natür¬ liche Gestaltung der Melodie, durch eine regelrechte Gliederung der Sätze, durch eine künstlerische, schön gestaltete und harmonisch abgerundete Form ist eine Steigerung möglich, Wie kein Mensch über die Gesetze der Sitte, über die Verpflichtungen der Dankbarkeit und Freundschaft sich ungestraft hinweg¬ setzen darf, so auch kein Componist über die ewigen Regeln und Gesetze der Kunst. Was besonders im „Rheingold", das ohne alle Chorgesänge ist, un¬ endlich ermüdend wirkt, ist der Mangel fast aller Ensemblesätze. Eine Stimme singt nach der andern in monotonster Weise ihr Pensum ab. Das Ohr dürstet nach einer T»z oder Text in den Singstimmen. Da ist denn das seltene Zusammensingen der drei Nheinnixen ein wirkliches Labsal. Würde der Text des Rheingoldes ohne Musikbegleitung einfach gesprochen, erwürbe, rasch dahin gleitend, trotz seiner Härten und Sonderbarkeiten zu wirken ver¬ mögen, aber gesungen erzeugt er die tödtlichste Langeweile; was ihm an Größe, Witz und dramatischer Combination innewohnt, geht bei solchem Vortrag spurlos verloren. Man sagt, die Verehrer Wagners hätten diesem gerathen, Rheingold gleichzeitig mit der Walküre geben zu lassen. Glauben Sie, daß eine Vor¬ stellung, die mindestens sechs Stunden dauern würde, das Publicum fesseln könnte? Der Rheingold spielt mindestens 2Vz Stunden ununterbrochen. Die Walküre hat 3 Akte und gewiß eine Länge von 3—4 Stunden. Wer aber wäre im Stande, nach dem ermüdenden Vorspiele auch noch das Hauptwerk zu hören? Die zahlreiche Versammlung hat in der Probe kein Zeichen von Beifall gegeben. Freunde wie Gegner des Tonsetzers schüttelten bedenklich die Köpfe. Den ersteren mochte sich der Gedanke aufdrängen, daß die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/429>, abgerufen am 22.07.2024.