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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Treffliches und nur in der Partie Donners und Froh's blieb bezüglich der
Reinheit der Intonation und der Sicherheit der Einsätze noch etwas zu wün¬
schen übrig.

Wagner schrieb bekanntlich um d. I. 1853 eine größere Operndichtung,
derNingdes Nibelungen (ein Bühnenfestspiel), dessen Darstellung auf
vier aufeinanderfolgende Abende berechnet ist. Die einzelnen Partien des
Werkes heißen: Das Rheingold (Vorspiel), die Walküre, der junge
Siegfried, Götterdämmerung (Siegfrieds Tod). Die Idee des Dichter-
componisten ist unbestreitbar eine großartige, aber wo fände sich ein Dichter, wo
ein Tonsetzer für ein solches Riesenwerk, die im Stande wären, durch vier
Abende hindurch ein Publicum zu fesseln, einem Werke solche Kraft der Steige¬
rung zu geben, daß die Hörer immer mehr von Dichtung und Composition an¬
gezogen würden? Wo fände sich eine'Bühne, die den nöthigen, alles gewöhn¬
liche Maß überschreitenden äußern Apparat, wie ihn Wagner ausdrücklich bean¬
sprucht, aufzubringen vermöchte? Wo Sänger, Choristen und Orchestermitglieder,
die sich nach vorausgegangenen unzähligen erschöpfenden Proben noch der An¬
strengung einer solchen Aufführung unterziehen könnten? Wo endlich ein
Publicum, das Wagnerscher Musik gegenüber vier Abende aushielte? Die
Idee eines solchen Werkes ist großartig, ihre Ausführung aber unmöglich.
Wagner scheint zudem die Gefahr nicht bedacht zu haben, welche in der
dramatischen Wiedergabe eines Epos liegt. Um eine epische Dichtung bühnen¬
gerecht zu machen, ist eine ganz ungewöhnliche poetische Begabung nöthig,
die Wagner entschieden nicht hat. Warum vermochte man nie mit Erfolg
den Sagenkreis der Nibelungen, den Parzival, Tristan und Isolde und ähn-
liche epische Stoffe auf die Bühne zu bringen? Weil sie zu mächtig und zu
breit für ein rasch vorübergleitendes Bühnenspiel sind, weil die gewaltige
Handlung nur skizzenhaft dargestellt, die Charaktere nur in flüchtigen Um¬
rissen gezeichnet werden können. Man hat zahlreiche Romane oder Schau¬
spiele mit Glück in Operntexte umgewandelt, aber nie ein Epos, Wir er¬
innern an die häufigen Versuche, die man mit dem Oberon machte, wir er¬
innern serner an Tannhäuser, Lohengrin, Tristan und Isolde. Einen neuen
Beleg für diese unsere Ansicht liefert der vorliegende Text des Nheingoldes.
Es ist ein Bühnenspiel ohne dramatische Handlung; es fesselt nicht, es
vermag keinerlei Interesse zu erregen, auf dem Grunde prachtvoller Dekora¬
tionen bewegen sich Automaten, die uns völlig kalt lassen. Es ist uns dabei
völlig gleichgiltig, ob Wagner mit Geschick den Stabreim nachahmt, ob die
auftretenden Personen entsprechend costümirt, die Dekorationen und Ma¬
schinen richtig construirt sind; der Inhalt des Gedichtes, die Entwickelung
der Handlung sind nicht fesselnd genug.

Auf einem vom Rheine umflutheten Felsenriff ruht das von den Rhein-


Treffliches und nur in der Partie Donners und Froh's blieb bezüglich der
Reinheit der Intonation und der Sicherheit der Einsätze noch etwas zu wün¬
schen übrig.

Wagner schrieb bekanntlich um d. I. 1853 eine größere Operndichtung,
derNingdes Nibelungen (ein Bühnenfestspiel), dessen Darstellung auf
vier aufeinanderfolgende Abende berechnet ist. Die einzelnen Partien des
Werkes heißen: Das Rheingold (Vorspiel), die Walküre, der junge
Siegfried, Götterdämmerung (Siegfrieds Tod). Die Idee des Dichter-
componisten ist unbestreitbar eine großartige, aber wo fände sich ein Dichter, wo
ein Tonsetzer für ein solches Riesenwerk, die im Stande wären, durch vier
Abende hindurch ein Publicum zu fesseln, einem Werke solche Kraft der Steige¬
rung zu geben, daß die Hörer immer mehr von Dichtung und Composition an¬
gezogen würden? Wo fände sich eine'Bühne, die den nöthigen, alles gewöhn¬
liche Maß überschreitenden äußern Apparat, wie ihn Wagner ausdrücklich bean¬
sprucht, aufzubringen vermöchte? Wo Sänger, Choristen und Orchestermitglieder,
die sich nach vorausgegangenen unzähligen erschöpfenden Proben noch der An¬
strengung einer solchen Aufführung unterziehen könnten? Wo endlich ein
Publicum, das Wagnerscher Musik gegenüber vier Abende aushielte? Die
Idee eines solchen Werkes ist großartig, ihre Ausführung aber unmöglich.
Wagner scheint zudem die Gefahr nicht bedacht zu haben, welche in der
dramatischen Wiedergabe eines Epos liegt. Um eine epische Dichtung bühnen¬
gerecht zu machen, ist eine ganz ungewöhnliche poetische Begabung nöthig,
die Wagner entschieden nicht hat. Warum vermochte man nie mit Erfolg
den Sagenkreis der Nibelungen, den Parzival, Tristan und Isolde und ähn-
liche epische Stoffe auf die Bühne zu bringen? Weil sie zu mächtig und zu
breit für ein rasch vorübergleitendes Bühnenspiel sind, weil die gewaltige
Handlung nur skizzenhaft dargestellt, die Charaktere nur in flüchtigen Um¬
rissen gezeichnet werden können. Man hat zahlreiche Romane oder Schau¬
spiele mit Glück in Operntexte umgewandelt, aber nie ein Epos, Wir er¬
innern an die häufigen Versuche, die man mit dem Oberon machte, wir er¬
innern serner an Tannhäuser, Lohengrin, Tristan und Isolde. Einen neuen
Beleg für diese unsere Ansicht liefert der vorliegende Text des Nheingoldes.
Es ist ein Bühnenspiel ohne dramatische Handlung; es fesselt nicht, es
vermag keinerlei Interesse zu erregen, auf dem Grunde prachtvoller Dekora¬
tionen bewegen sich Automaten, die uns völlig kalt lassen. Es ist uns dabei
völlig gleichgiltig, ob Wagner mit Geschick den Stabreim nachahmt, ob die
auftretenden Personen entsprechend costümirt, die Dekorationen und Ma¬
schinen richtig construirt sind; der Inhalt des Gedichtes, die Entwickelung
der Handlung sind nicht fesselnd genug.

Auf einem vom Rheine umflutheten Felsenriff ruht das von den Rhein-


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[0423] Treffliches und nur in der Partie Donners und Froh's blieb bezüglich der Reinheit der Intonation und der Sicherheit der Einsätze noch etwas zu wün¬ schen übrig. Wagner schrieb bekanntlich um d. I. 1853 eine größere Operndichtung, derNingdes Nibelungen (ein Bühnenfestspiel), dessen Darstellung auf vier aufeinanderfolgende Abende berechnet ist. Die einzelnen Partien des Werkes heißen: Das Rheingold (Vorspiel), die Walküre, der junge Siegfried, Götterdämmerung (Siegfrieds Tod). Die Idee des Dichter- componisten ist unbestreitbar eine großartige, aber wo fände sich ein Dichter, wo ein Tonsetzer für ein solches Riesenwerk, die im Stande wären, durch vier Abende hindurch ein Publicum zu fesseln, einem Werke solche Kraft der Steige¬ rung zu geben, daß die Hörer immer mehr von Dichtung und Composition an¬ gezogen würden? Wo fände sich eine'Bühne, die den nöthigen, alles gewöhn¬ liche Maß überschreitenden äußern Apparat, wie ihn Wagner ausdrücklich bean¬ sprucht, aufzubringen vermöchte? Wo Sänger, Choristen und Orchestermitglieder, die sich nach vorausgegangenen unzähligen erschöpfenden Proben noch der An¬ strengung einer solchen Aufführung unterziehen könnten? Wo endlich ein Publicum, das Wagnerscher Musik gegenüber vier Abende aushielte? Die Idee eines solchen Werkes ist großartig, ihre Ausführung aber unmöglich. Wagner scheint zudem die Gefahr nicht bedacht zu haben, welche in der dramatischen Wiedergabe eines Epos liegt. Um eine epische Dichtung bühnen¬ gerecht zu machen, ist eine ganz ungewöhnliche poetische Begabung nöthig, die Wagner entschieden nicht hat. Warum vermochte man nie mit Erfolg den Sagenkreis der Nibelungen, den Parzival, Tristan und Isolde und ähn- liche epische Stoffe auf die Bühne zu bringen? Weil sie zu mächtig und zu breit für ein rasch vorübergleitendes Bühnenspiel sind, weil die gewaltige Handlung nur skizzenhaft dargestellt, die Charaktere nur in flüchtigen Um¬ rissen gezeichnet werden können. Man hat zahlreiche Romane oder Schau¬ spiele mit Glück in Operntexte umgewandelt, aber nie ein Epos, Wir er¬ innern an die häufigen Versuche, die man mit dem Oberon machte, wir er¬ innern serner an Tannhäuser, Lohengrin, Tristan und Isolde. Einen neuen Beleg für diese unsere Ansicht liefert der vorliegende Text des Nheingoldes. Es ist ein Bühnenspiel ohne dramatische Handlung; es fesselt nicht, es vermag keinerlei Interesse zu erregen, auf dem Grunde prachtvoller Dekora¬ tionen bewegen sich Automaten, die uns völlig kalt lassen. Es ist uns dabei völlig gleichgiltig, ob Wagner mit Geschick den Stabreim nachahmt, ob die auftretenden Personen entsprechend costümirt, die Dekorationen und Ma¬ schinen richtig construirt sind; der Inhalt des Gedichtes, die Entwickelung der Handlung sind nicht fesselnd genug. Auf einem vom Rheine umflutheten Felsenriff ruht das von den Rhein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/423>, abgerufen am 25.08.2024.