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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Gesandten ziemlich kühl auf. Der Bund schien ihm eine vortreffliche Idee,
aber für jetzt gänzlich unpraktisch; schon aus dem Grunde, weil Neapel alle
seine StreitkrAfte zur Wiedereroberung Siciliens brauche, und die Höfe von
Rom und Florenz kaum Truppen genug besäßen, sich im eigenen Haus auf¬
recht zu halten. Ebenso wenig günstig zeigte sich der König, der spitzig fragte,
wie denn der Großherzog von Toscana zum Vermittler für die Pacificirung
Siciliens sich aufwerfen könne, da er doch die Gesandten der provisorischen
Regierung empfangen habe. Allein Griffoli ließ sich dadurch nicht abschrecken.
In der zweiten Hälfte des September glaubte er eine günstigere Stimmung
beim Könige wahrzunehmen und richtete nun eine ausführliche Denkschrift an
ihn, in welcher vorsichtig, "weil dies keine gute Wirkung gemacht hätte",
die Möglichkeit eines Kriegs gegen Oestreich gänzlich mit Stillschweigen Über¬
gängen und der Bund im Gegentheil als das einzige Mittel gegen den
Krieg wie gegen die revolutionäre Anarchie dargestellt war. Um die Stärke
einer Conföderation zu beweisen, war auf Amerika und die Schweiz hin"
gewiesen und auf die unwiderstehlich wachsende föderative Bewegung in
Deutschland, das im Mittelpunkt Europas das Muster einer Föderativ"
Verfassung liefere (beiläufig bemerkt, in diesen sämmtlichen Verhandlungen
das einzige Mal. daß man sich auf das deutsche Bundeswesen als ein nach¬
zuahmendes Vorbild berief); wäre der Bund schon früher vorhanden gewesen, so
hätte sich Sicilien niemals von Neapel getrennt. Kurz, es war nichts versäumt,
was den König gewinnen konnte und ihm am Schluß zu Gemüthe geführt:
1) der Bund würde in Italien das Fürstenthum und die Ordnung garan-
tiren, die Revolution auslöschen, die Unabhängigkeit der Nationalität sichern,
2) würde der König von Neapel zu dem Gewicht seiner Ueberlieferungen, zu
dem Reichthum der Natur, der Güte seiner Armee, kurz zu den glücklichen
Verhältnissen seines Landes künftig noch eine neue Stütze für seinen Thron
und seine Dynastie hinzufügen, denn Neapel würde das Emporium des
italienischen Handels, der Nerv einer nationalen Kraft sein und den Primat
des verbündeten Italiens besitzen. Später richtete Griffoli noch einmal ein Schrei¬
ben an König Ferdinand, welches dessen Erbitterung über die englische Mediation
in der sicilischen Frage geschickt benutzte. Diese "brüske" Mediation beweise
für sich allein, wie hart es sei, sich immer von Fremden Gesetze vorschreiben
lassen zu müssen, und wie sehr es zu bedauern sei. daß man nicht solchen
Eingriffen eine Conföderation von 24 Mill. Menschen mit 200,000 Streitern
entgegensetzen könne. Neapel wurde schmeichlerisch der erste Staat Italiens
mit der ersten Armee und der ersten Marine genannt. Wolle der König
den Grundstein zum Bund legen, so würde er triumphirend aus der jetzigen
Lage hervorgehen, Sicilien wiedergewinnen u. tgi.

Diese Schriftstücke, vertraulich dem König übergeben, schienen wirklich


Grenzboten III. 1869. 48

Gesandten ziemlich kühl auf. Der Bund schien ihm eine vortreffliche Idee,
aber für jetzt gänzlich unpraktisch; schon aus dem Grunde, weil Neapel alle
seine StreitkrAfte zur Wiedereroberung Siciliens brauche, und die Höfe von
Rom und Florenz kaum Truppen genug besäßen, sich im eigenen Haus auf¬
recht zu halten. Ebenso wenig günstig zeigte sich der König, der spitzig fragte,
wie denn der Großherzog von Toscana zum Vermittler für die Pacificirung
Siciliens sich aufwerfen könne, da er doch die Gesandten der provisorischen
Regierung empfangen habe. Allein Griffoli ließ sich dadurch nicht abschrecken.
In der zweiten Hälfte des September glaubte er eine günstigere Stimmung
beim Könige wahrzunehmen und richtete nun eine ausführliche Denkschrift an
ihn, in welcher vorsichtig, „weil dies keine gute Wirkung gemacht hätte",
die Möglichkeit eines Kriegs gegen Oestreich gänzlich mit Stillschweigen Über¬
gängen und der Bund im Gegentheil als das einzige Mittel gegen den
Krieg wie gegen die revolutionäre Anarchie dargestellt war. Um die Stärke
einer Conföderation zu beweisen, war auf Amerika und die Schweiz hin»
gewiesen und auf die unwiderstehlich wachsende föderative Bewegung in
Deutschland, das im Mittelpunkt Europas das Muster einer Föderativ«
Verfassung liefere (beiläufig bemerkt, in diesen sämmtlichen Verhandlungen
das einzige Mal. daß man sich auf das deutsche Bundeswesen als ein nach¬
zuahmendes Vorbild berief); wäre der Bund schon früher vorhanden gewesen, so
hätte sich Sicilien niemals von Neapel getrennt. Kurz, es war nichts versäumt,
was den König gewinnen konnte und ihm am Schluß zu Gemüthe geführt:
1) der Bund würde in Italien das Fürstenthum und die Ordnung garan-
tiren, die Revolution auslöschen, die Unabhängigkeit der Nationalität sichern,
2) würde der König von Neapel zu dem Gewicht seiner Ueberlieferungen, zu
dem Reichthum der Natur, der Güte seiner Armee, kurz zu den glücklichen
Verhältnissen seines Landes künftig noch eine neue Stütze für seinen Thron
und seine Dynastie hinzufügen, denn Neapel würde das Emporium des
italienischen Handels, der Nerv einer nationalen Kraft sein und den Primat
des verbündeten Italiens besitzen. Später richtete Griffoli noch einmal ein Schrei¬
ben an König Ferdinand, welches dessen Erbitterung über die englische Mediation
in der sicilischen Frage geschickt benutzte. Diese „brüske" Mediation beweise
für sich allein, wie hart es sei, sich immer von Fremden Gesetze vorschreiben
lassen zu müssen, und wie sehr es zu bedauern sei. daß man nicht solchen
Eingriffen eine Conföderation von 24 Mill. Menschen mit 200,000 Streitern
entgegensetzen könne. Neapel wurde schmeichlerisch der erste Staat Italiens
mit der ersten Armee und der ersten Marine genannt. Wolle der König
den Grundstein zum Bund legen, so würde er triumphirend aus der jetzigen
Lage hervorgehen, Sicilien wiedergewinnen u. tgi.

Diese Schriftstücke, vertraulich dem König übergeben, schienen wirklich


Grenzboten III. 1869. 48
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[0385] Gesandten ziemlich kühl auf. Der Bund schien ihm eine vortreffliche Idee, aber für jetzt gänzlich unpraktisch; schon aus dem Grunde, weil Neapel alle seine StreitkrAfte zur Wiedereroberung Siciliens brauche, und die Höfe von Rom und Florenz kaum Truppen genug besäßen, sich im eigenen Haus auf¬ recht zu halten. Ebenso wenig günstig zeigte sich der König, der spitzig fragte, wie denn der Großherzog von Toscana zum Vermittler für die Pacificirung Siciliens sich aufwerfen könne, da er doch die Gesandten der provisorischen Regierung empfangen habe. Allein Griffoli ließ sich dadurch nicht abschrecken. In der zweiten Hälfte des September glaubte er eine günstigere Stimmung beim Könige wahrzunehmen und richtete nun eine ausführliche Denkschrift an ihn, in welcher vorsichtig, „weil dies keine gute Wirkung gemacht hätte", die Möglichkeit eines Kriegs gegen Oestreich gänzlich mit Stillschweigen Über¬ gängen und der Bund im Gegentheil als das einzige Mittel gegen den Krieg wie gegen die revolutionäre Anarchie dargestellt war. Um die Stärke einer Conföderation zu beweisen, war auf Amerika und die Schweiz hin» gewiesen und auf die unwiderstehlich wachsende föderative Bewegung in Deutschland, das im Mittelpunkt Europas das Muster einer Föderativ« Verfassung liefere (beiläufig bemerkt, in diesen sämmtlichen Verhandlungen das einzige Mal. daß man sich auf das deutsche Bundeswesen als ein nach¬ zuahmendes Vorbild berief); wäre der Bund schon früher vorhanden gewesen, so hätte sich Sicilien niemals von Neapel getrennt. Kurz, es war nichts versäumt, was den König gewinnen konnte und ihm am Schluß zu Gemüthe geführt: 1) der Bund würde in Italien das Fürstenthum und die Ordnung garan- tiren, die Revolution auslöschen, die Unabhängigkeit der Nationalität sichern, 2) würde der König von Neapel zu dem Gewicht seiner Ueberlieferungen, zu dem Reichthum der Natur, der Güte seiner Armee, kurz zu den glücklichen Verhältnissen seines Landes künftig noch eine neue Stütze für seinen Thron und seine Dynastie hinzufügen, denn Neapel würde das Emporium des italienischen Handels, der Nerv einer nationalen Kraft sein und den Primat des verbündeten Italiens besitzen. Später richtete Griffoli noch einmal ein Schrei¬ ben an König Ferdinand, welches dessen Erbitterung über die englische Mediation in der sicilischen Frage geschickt benutzte. Diese „brüske" Mediation beweise für sich allein, wie hart es sei, sich immer von Fremden Gesetze vorschreiben lassen zu müssen, und wie sehr es zu bedauern sei. daß man nicht solchen Eingriffen eine Conföderation von 24 Mill. Menschen mit 200,000 Streitern entgegensetzen könne. Neapel wurde schmeichlerisch der erste Staat Italiens mit der ersten Armee und der ersten Marine genannt. Wolle der König den Grundstein zum Bund legen, so würde er triumphirend aus der jetzigen Lage hervorgehen, Sicilien wiedergewinnen u. tgi. Diese Schriftstücke, vertraulich dem König übergeben, schienen wirklich Grenzboten III. 1869. 48

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/385>, abgerufen am 10.02.2025.