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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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schen Wirkens vor Augen haben konnte, so weist doch Ranke selbst öfters
auf die Schwäche seiner Mittel und auf Mißgriffe seines Verfahrens, sowie
auf die Berechtigung seiner beschränkten Gegner hin, mit deren An¬
sprüchen nach Wallensteins Untergang ja auch die Geschichte gründlich auf¬
geräumt hat.

Immerhin aber wird Ranke's Buch, wenn auch die Vertheidigung des
Herzogs eine problematische bleibt, als die interessanteste und lehrreichste
Arbeit über Wallenstein, sowie als der großartigste und geistreichste Beitrag
zur Geschichte des dreißigjährigen Krieges, den unsere Literatur aufzuweisen
hat, betrachtet werden. Denn der Krieg während Wallensteins Theilnahme
wird uns hier im großen Stile mit Hervorhebung aller die großen Wande¬
lungen bedingenden Momente vor Augen geführt, alle bedeutenderen Be¬
gebenheiten und Charaktere werden von dem höchsten Standpunkt allgemeiner
Betrachtung mit freiem und warmem Sinne für die fortschreitende Entwicke¬
lung der Menschheit in lebendigen Bildern und mit treffenden Urtheilen ge¬
schildert, wie in keinem anderen Buche der Geschichte jener Zeit. Referent
verweist beispielweise auf die Schilderungen Mansselds, Christians von Däne¬
mark und Gustav Adolfs, dessen gedrängte Charakteristik nach den Worten
des Verfassers hier zum Schluß beigefügt werden soll mit dem dort folgenden
Gegenbilde des Herzogs, welches fast im Gegensatz zu der Sympathie des
Verstandes, mit welcher Ranke dessen Politik in den zwei verschiedenen Pe¬
rioden vor Gustav Adolfs Auftreten und nach dessen Tode schildert, -- doch
deutlich kund gibt, sür wen in dieser Zeit Ranke's Herz schlägt.

"Für Gustav Adolf", sagt Ranke S. 268, "war der evangelische Name
Alles; er stritt für das Bestehen des Protestantismus mit vollem Herzen.
Er hatte denselben zum Princip seiner Heerführung gemacht; er selbst gehörte
ihm mit freudigem und sichern Bekenntniß an, heiter von Natur, durch und
durch populär, ein Mann der deutschen Bürgerschaften, die ihn mit Freuden
selbst als ihren Herrn begrüßt hätten. Die Verehrung, die man ihm zollte,
war ihm fast zu stark. Dagegen konnte dem Friedländer nie genug Ver¬
ehrung erwiesen werden. Man wußte nicht, ob er der Religion, die er be¬
kannte, wirklich ergeben sei: man sagte, er glaube mehr an die Gestirne, die
sein Astrolog befrage: manche meinten, er glaube auch daran nicht. Bet ihm
war alles bedachter Plan, umfassende Combination, ein immer höher strebender
Ehrgeiz. Wenn auch der König ein weiteres Ziel verfolgte, so trat doch das
vor den freien populären Impulsen zurück, denen er jeden Augenblick Raum
gab. Wallenstein war ein podagrischer Strateg; der König ein General von
rüstiger Beweglichkeit; er hatte eine lebendige, kriegsmännische Ader. Wallen¬
stein wollte die Formen des Reichs erhalten mit möglichster Schonung des
Protestantismus; Gustav Adolf sie durchbrechen mit voller Feststellung des


schen Wirkens vor Augen haben konnte, so weist doch Ranke selbst öfters
auf die Schwäche seiner Mittel und auf Mißgriffe seines Verfahrens, sowie
auf die Berechtigung seiner beschränkten Gegner hin, mit deren An¬
sprüchen nach Wallensteins Untergang ja auch die Geschichte gründlich auf¬
geräumt hat.

Immerhin aber wird Ranke's Buch, wenn auch die Vertheidigung des
Herzogs eine problematische bleibt, als die interessanteste und lehrreichste
Arbeit über Wallenstein, sowie als der großartigste und geistreichste Beitrag
zur Geschichte des dreißigjährigen Krieges, den unsere Literatur aufzuweisen
hat, betrachtet werden. Denn der Krieg während Wallensteins Theilnahme
wird uns hier im großen Stile mit Hervorhebung aller die großen Wande¬
lungen bedingenden Momente vor Augen geführt, alle bedeutenderen Be¬
gebenheiten und Charaktere werden von dem höchsten Standpunkt allgemeiner
Betrachtung mit freiem und warmem Sinne für die fortschreitende Entwicke¬
lung der Menschheit in lebendigen Bildern und mit treffenden Urtheilen ge¬
schildert, wie in keinem anderen Buche der Geschichte jener Zeit. Referent
verweist beispielweise auf die Schilderungen Mansselds, Christians von Däne¬
mark und Gustav Adolfs, dessen gedrängte Charakteristik nach den Worten
des Verfassers hier zum Schluß beigefügt werden soll mit dem dort folgenden
Gegenbilde des Herzogs, welches fast im Gegensatz zu der Sympathie des
Verstandes, mit welcher Ranke dessen Politik in den zwei verschiedenen Pe¬
rioden vor Gustav Adolfs Auftreten und nach dessen Tode schildert, — doch
deutlich kund gibt, sür wen in dieser Zeit Ranke's Herz schlägt.

„Für Gustav Adolf", sagt Ranke S. 268, „war der evangelische Name
Alles; er stritt für das Bestehen des Protestantismus mit vollem Herzen.
Er hatte denselben zum Princip seiner Heerführung gemacht; er selbst gehörte
ihm mit freudigem und sichern Bekenntniß an, heiter von Natur, durch und
durch populär, ein Mann der deutschen Bürgerschaften, die ihn mit Freuden
selbst als ihren Herrn begrüßt hätten. Die Verehrung, die man ihm zollte,
war ihm fast zu stark. Dagegen konnte dem Friedländer nie genug Ver¬
ehrung erwiesen werden. Man wußte nicht, ob er der Religion, die er be¬
kannte, wirklich ergeben sei: man sagte, er glaube mehr an die Gestirne, die
sein Astrolog befrage: manche meinten, er glaube auch daran nicht. Bet ihm
war alles bedachter Plan, umfassende Combination, ein immer höher strebender
Ehrgeiz. Wenn auch der König ein weiteres Ziel verfolgte, so trat doch das
vor den freien populären Impulsen zurück, denen er jeden Augenblick Raum
gab. Wallenstein war ein podagrischer Strateg; der König ein General von
rüstiger Beweglichkeit; er hatte eine lebendige, kriegsmännische Ader. Wallen¬
stein wollte die Formen des Reichs erhalten mit möglichster Schonung des
Protestantismus; Gustav Adolf sie durchbrechen mit voller Feststellung des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/38>, abgerufen am 25.08.2024.