Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und die einzelnen Abstriche, die der Kriegsminister Baron Kühn sich gefallen
lassen mußte, haben den Frieden ebenso wenig gestört, wie die Voden über die
Militairgrenze. In Böhmen sind die Anstrengungen der czechischen Oppo¬
sition bis jetzt erfolglos geblieben und es hat im Augenblick den Anschein,
als werde diese Opposition ebenso gespalten werden, wie die polnische. Auf
die aristokratisch - clericalen Bundesgenossen des Czechenthums hat die kirchen¬
feindliche Propaganda des repristinirten Hussitenthums nämlich so verstimmend
gewirkt, daß die Bischöfe gegen dasselbe amtlich einzuschreiten drohen; die husst-
tische Strömung steht mit der panslavistischen in engem Zusammenhang, denn
es sind grade die warmen Anhänger Rußlands, welche an die hussitischen
Nationaltraditionen appelliren und auf diese Weise die katholische Scheide¬
wand niederzureißen suchen, welche das Czechenthum von dem wesentlich anti¬
katholischen Panslavismus trennt. Die Jungczechen, welche schon seit einiger
Zeit zu der durch die Moskaner Pilgerfahrt (1867) angebahnten Annäherung
an Rußland scheel sehen, suchen ihre Bundesgenossen neuerdings bei den pol¬
nischen Demokraten Galiziens und bestreben sich diese in ihren arti-ministeriellen
Bestrebungen zu ermuthigen. Das Polenthum soll für die föderalistische
Idee gewonnen worden und zu diesem Zwecke hat man sich mit Smolka in
das engste Einvernehmen gesetzt; czechische Deputirte haben an der zu Lem-
berg abgehaltenen Feier des Unionstages von Ludim Theil genommen, zu
dem thörichten Versuch einer Verständigung mit den Ruthenen gerathen und
nach Kräften gegen die von Goluchowski geführte aristokratische Partei und
deren quasiministerielle Haltung geschürt. Der für den nächsten Monat bevor¬
stehende Lemberger Landtag wird darüber entscheiden, ob die Polen im Reichs-
rath bleiben oder ob Smolka aus diesem Kampf als Sieger hervorgeht, bei
dem die czechische Sache unter allen Umständen mehr zu gewinnen hat, als
die polnische. Auch die galizische Sprachenfrage soll in Veranlassung des
letzten, noch von Goluchowski bewirkten Rescripts wieder zur Discussion
kommen.

In den übrigen cisleilhanischen Ländern (trotz seiner östlichen Lage wird
Galizien bekanntlich unter diesen neugeschaffenen Begriff subsumirt) spielen
die Kämpfe um die Grenze zwischen staatlichen und kirchlichen Befugnissen
die Hauptrolle. Die Angelegenheit der Krakauer Nonne Barbara Ubryk hat
neues Oel in das Feuer der Wiener Liberalen gegossen und dem Ministerium
das consequente Festhalten an den Errungenschaften des Frühjahrs 1867 be¬
trächtlich erleichtert. Dem Proceß des begnadigten Bischofs von Linz soll eine
Anklage gegen Monsignore Greuter folgen und sichtlich unter dem Eindruck
der Krakauer Vorgänge hat das Oberlandesgericht von Tyrol der von dem
Innsbrucker Landesgericht beschlossenen Verfolgung des ultramontanen Partei¬
führers seine Zustimmung gegeben.


und die einzelnen Abstriche, die der Kriegsminister Baron Kühn sich gefallen
lassen mußte, haben den Frieden ebenso wenig gestört, wie die Voden über die
Militairgrenze. In Böhmen sind die Anstrengungen der czechischen Oppo¬
sition bis jetzt erfolglos geblieben und es hat im Augenblick den Anschein,
als werde diese Opposition ebenso gespalten werden, wie die polnische. Auf
die aristokratisch - clericalen Bundesgenossen des Czechenthums hat die kirchen¬
feindliche Propaganda des repristinirten Hussitenthums nämlich so verstimmend
gewirkt, daß die Bischöfe gegen dasselbe amtlich einzuschreiten drohen; die husst-
tische Strömung steht mit der panslavistischen in engem Zusammenhang, denn
es sind grade die warmen Anhänger Rußlands, welche an die hussitischen
Nationaltraditionen appelliren und auf diese Weise die katholische Scheide¬
wand niederzureißen suchen, welche das Czechenthum von dem wesentlich anti¬
katholischen Panslavismus trennt. Die Jungczechen, welche schon seit einiger
Zeit zu der durch die Moskaner Pilgerfahrt (1867) angebahnten Annäherung
an Rußland scheel sehen, suchen ihre Bundesgenossen neuerdings bei den pol¬
nischen Demokraten Galiziens und bestreben sich diese in ihren arti-ministeriellen
Bestrebungen zu ermuthigen. Das Polenthum soll für die föderalistische
Idee gewonnen worden und zu diesem Zwecke hat man sich mit Smolka in
das engste Einvernehmen gesetzt; czechische Deputirte haben an der zu Lem-
berg abgehaltenen Feier des Unionstages von Ludim Theil genommen, zu
dem thörichten Versuch einer Verständigung mit den Ruthenen gerathen und
nach Kräften gegen die von Goluchowski geführte aristokratische Partei und
deren quasiministerielle Haltung geschürt. Der für den nächsten Monat bevor¬
stehende Lemberger Landtag wird darüber entscheiden, ob die Polen im Reichs-
rath bleiben oder ob Smolka aus diesem Kampf als Sieger hervorgeht, bei
dem die czechische Sache unter allen Umständen mehr zu gewinnen hat, als
die polnische. Auch die galizische Sprachenfrage soll in Veranlassung des
letzten, noch von Goluchowski bewirkten Rescripts wieder zur Discussion
kommen.

In den übrigen cisleilhanischen Ländern (trotz seiner östlichen Lage wird
Galizien bekanntlich unter diesen neugeschaffenen Begriff subsumirt) spielen
die Kämpfe um die Grenze zwischen staatlichen und kirchlichen Befugnissen
die Hauptrolle. Die Angelegenheit der Krakauer Nonne Barbara Ubryk hat
neues Oel in das Feuer der Wiener Liberalen gegossen und dem Ministerium
das consequente Festhalten an den Errungenschaften des Frühjahrs 1867 be¬
trächtlich erleichtert. Dem Proceß des begnadigten Bischofs von Linz soll eine
Anklage gegen Monsignore Greuter folgen und sichtlich unter dem Eindruck
der Krakauer Vorgänge hat das Oberlandesgericht von Tyrol der von dem
Innsbrucker Landesgericht beschlossenen Verfolgung des ultramontanen Partei¬
führers seine Zustimmung gegeben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0360" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121581"/>
          <p xml:id="ID_1124" prev="#ID_1123"> und die einzelnen Abstriche, die der Kriegsminister Baron Kühn sich gefallen<lb/>
lassen mußte, haben den Frieden ebenso wenig gestört, wie die Voden über die<lb/>
Militairgrenze. In Böhmen sind die Anstrengungen der czechischen Oppo¬<lb/>
sition bis jetzt erfolglos geblieben und es hat im Augenblick den Anschein,<lb/>
als werde diese Opposition ebenso gespalten werden, wie die polnische. Auf<lb/>
die aristokratisch - clericalen Bundesgenossen des Czechenthums hat die kirchen¬<lb/>
feindliche Propaganda des repristinirten Hussitenthums nämlich so verstimmend<lb/>
gewirkt, daß die Bischöfe gegen dasselbe amtlich einzuschreiten drohen; die husst-<lb/>
tische Strömung steht mit der panslavistischen in engem Zusammenhang, denn<lb/>
es sind grade die warmen Anhänger Rußlands, welche an die hussitischen<lb/>
Nationaltraditionen appelliren und auf diese Weise die katholische Scheide¬<lb/>
wand niederzureißen suchen, welche das Czechenthum von dem wesentlich anti¬<lb/>
katholischen Panslavismus trennt. Die Jungczechen, welche schon seit einiger<lb/>
Zeit zu der durch die Moskaner Pilgerfahrt (1867) angebahnten Annäherung<lb/>
an Rußland scheel sehen, suchen ihre Bundesgenossen neuerdings bei den pol¬<lb/>
nischen Demokraten Galiziens und bestreben sich diese in ihren arti-ministeriellen<lb/>
Bestrebungen zu ermuthigen. Das Polenthum soll für die föderalistische<lb/>
Idee gewonnen worden und zu diesem Zwecke hat man sich mit Smolka in<lb/>
das engste Einvernehmen gesetzt; czechische Deputirte haben an der zu Lem-<lb/>
berg abgehaltenen Feier des Unionstages von Ludim Theil genommen, zu<lb/>
dem thörichten Versuch einer Verständigung mit den Ruthenen gerathen und<lb/>
nach Kräften gegen die von Goluchowski geführte aristokratische Partei und<lb/>
deren quasiministerielle Haltung geschürt. Der für den nächsten Monat bevor¬<lb/>
stehende Lemberger Landtag wird darüber entscheiden, ob die Polen im Reichs-<lb/>
rath bleiben oder ob Smolka aus diesem Kampf als Sieger hervorgeht, bei<lb/>
dem die czechische Sache unter allen Umständen mehr zu gewinnen hat, als<lb/>
die polnische. Auch die galizische Sprachenfrage soll in Veranlassung des<lb/>
letzten, noch von Goluchowski bewirkten Rescripts wieder zur Discussion<lb/>
kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1125"> In den übrigen cisleilhanischen Ländern (trotz seiner östlichen Lage wird<lb/>
Galizien bekanntlich unter diesen neugeschaffenen Begriff subsumirt) spielen<lb/>
die Kämpfe um die Grenze zwischen staatlichen und kirchlichen Befugnissen<lb/>
die Hauptrolle. Die Angelegenheit der Krakauer Nonne Barbara Ubryk hat<lb/>
neues Oel in das Feuer der Wiener Liberalen gegossen und dem Ministerium<lb/>
das consequente Festhalten an den Errungenschaften des Frühjahrs 1867 be¬<lb/>
trächtlich erleichtert. Dem Proceß des begnadigten Bischofs von Linz soll eine<lb/>
Anklage gegen Monsignore Greuter folgen und sichtlich unter dem Eindruck<lb/>
der Krakauer Vorgänge hat das Oberlandesgericht von Tyrol der von dem<lb/>
Innsbrucker Landesgericht beschlossenen Verfolgung des ultramontanen Partei¬<lb/>
führers seine Zustimmung gegeben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0360] und die einzelnen Abstriche, die der Kriegsminister Baron Kühn sich gefallen lassen mußte, haben den Frieden ebenso wenig gestört, wie die Voden über die Militairgrenze. In Böhmen sind die Anstrengungen der czechischen Oppo¬ sition bis jetzt erfolglos geblieben und es hat im Augenblick den Anschein, als werde diese Opposition ebenso gespalten werden, wie die polnische. Auf die aristokratisch - clericalen Bundesgenossen des Czechenthums hat die kirchen¬ feindliche Propaganda des repristinirten Hussitenthums nämlich so verstimmend gewirkt, daß die Bischöfe gegen dasselbe amtlich einzuschreiten drohen; die husst- tische Strömung steht mit der panslavistischen in engem Zusammenhang, denn es sind grade die warmen Anhänger Rußlands, welche an die hussitischen Nationaltraditionen appelliren und auf diese Weise die katholische Scheide¬ wand niederzureißen suchen, welche das Czechenthum von dem wesentlich anti¬ katholischen Panslavismus trennt. Die Jungczechen, welche schon seit einiger Zeit zu der durch die Moskaner Pilgerfahrt (1867) angebahnten Annäherung an Rußland scheel sehen, suchen ihre Bundesgenossen neuerdings bei den pol¬ nischen Demokraten Galiziens und bestreben sich diese in ihren arti-ministeriellen Bestrebungen zu ermuthigen. Das Polenthum soll für die föderalistische Idee gewonnen worden und zu diesem Zwecke hat man sich mit Smolka in das engste Einvernehmen gesetzt; czechische Deputirte haben an der zu Lem- berg abgehaltenen Feier des Unionstages von Ludim Theil genommen, zu dem thörichten Versuch einer Verständigung mit den Ruthenen gerathen und nach Kräften gegen die von Goluchowski geführte aristokratische Partei und deren quasiministerielle Haltung geschürt. Der für den nächsten Monat bevor¬ stehende Lemberger Landtag wird darüber entscheiden, ob die Polen im Reichs- rath bleiben oder ob Smolka aus diesem Kampf als Sieger hervorgeht, bei dem die czechische Sache unter allen Umständen mehr zu gewinnen hat, als die polnische. Auch die galizische Sprachenfrage soll in Veranlassung des letzten, noch von Goluchowski bewirkten Rescripts wieder zur Discussion kommen. In den übrigen cisleilhanischen Ländern (trotz seiner östlichen Lage wird Galizien bekanntlich unter diesen neugeschaffenen Begriff subsumirt) spielen die Kämpfe um die Grenze zwischen staatlichen und kirchlichen Befugnissen die Hauptrolle. Die Angelegenheit der Krakauer Nonne Barbara Ubryk hat neues Oel in das Feuer der Wiener Liberalen gegossen und dem Ministerium das consequente Festhalten an den Errungenschaften des Frühjahrs 1867 be¬ trächtlich erleichtert. Dem Proceß des begnadigten Bischofs von Linz soll eine Anklage gegen Monsignore Greuter folgen und sichtlich unter dem Eindruck der Krakauer Vorgänge hat das Oberlandesgericht von Tyrol der von dem Innsbrucker Landesgericht beschlossenen Verfolgung des ultramontanen Partei¬ führers seine Zustimmung gegeben.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/360
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/360>, abgerufen am 25.08.2024.