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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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seines Ehrgeizes gestrebt habe, welches zu erreichen die Geschicke dem besonders
begabten Abenteurer sonst wohl vergönnt, wenn er ein nutzbares Werkzeug für
ihre höheren Zwecke wird. Dies waren ungefähr die Anschauungen des
modernen historischen Bewußtseins, die sich auf viele zerstreute Notizen, auf
Mittheilungen, die von entgegengesetzten Standpunkten ausgegeben worden
waren,, stützten. Wie schwer war es für die, welche von einem solchen Stand¬
punkte aus neue Aufklärungen brachten, unbefangen zu bleiben und wenn
sie dies auch waren, wie schwer nach allen Richtungen hin umzuschauen und
durch die Prüfung und das Verständniß aller dieser oft sich widerstrebenden
Mittheilungen über Wallenstein zu einer möglichst objectiven Anschauung zu
gelangen. -- Daß nun der Meister der modernen deutschen Geschichtsforschung
und historischen Kunst, der mehr als irgend einer mit dem Geist und der
Bewegung der Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts vertraut ist, sich
entschlossen hat, diese noch unerledigte Aufgabe zu lösen und, was seither zur
Geschichte Wallensteins veröffentlicht worden ist. in einer ausführlichen Bio¬
graphie des Herzogs zu einem geiht- und lebensvollen Bilde zusammenzufassen
-- das muß als eines der erfreulichsten Ereignisse für die deutsche Historio¬
graphie betrachtet werden.

Was die Thatsachen betrifft, so gibt Ranke, der neben selbständiger
Ausbeute und fruchtbarer kritischer Controle früher gemachter archiva-
lischer Forschungen das bereits veröffentlichte urkundliche Material und
die vorhandene Literatur mit seinem weiten und scharfen Blicke umfassend
benutzt' hat, nichts wesentlich Neues. Aber die BeHandlungsweise ist durch-
weg original. Denn abgesehen von der, manche wichtige Momente aufklären¬
den scharfen Kritik tritt uns hier der Charakter Wallensteins im Großen und
Ganzen, die feine psychologische Entwickelung seiner Tendenzen, seine durch
die Verhältnisse gebotene Politik in einem meisterhaften die Zeit und ihre Ver¬
treter oft wunderbar beleuchtenden Bilde vor Augen. Dabei wird er zu¬
gleich der Theilnahme viel näher gerückt, das Rohe und Gehässige in seinem
Charakter wird nicht verschwiegen, aber doch sehr gemildert, sein ganzes
Streben großartiger dargestellt, als es seither betrachtet wurde; überall, wo
die Gegner anklagen, tritt Ranke mit außerordentlichem Scharfsinn als Ver¬
theidiger auf, indem er, was Wallenstein bei seinen Unternehmungen beab¬
sichtigen konnte oder theilweise wollte, als sein unverrücktes Ziel darstellt
und das geschichtliche Recht des gewaltigeren Geistes gegen die beschränkter
Berechtigten geltend macht. Und wer wollte als echter Historiker nicht ein
solches Recht anerkennen, wie es in bewegten Zeiten z. B. Moritz von
Sachsen, Richelieu, Cromwell, Napoleon vertrat. Aber zweierlei ist noth-
wendig, wenn eine solche sympathische Betrachtung für die endgültige Be¬
urtheilung einer historischen Persönlichkeit maßgebend sein soll. Zunächst ein


seines Ehrgeizes gestrebt habe, welches zu erreichen die Geschicke dem besonders
begabten Abenteurer sonst wohl vergönnt, wenn er ein nutzbares Werkzeug für
ihre höheren Zwecke wird. Dies waren ungefähr die Anschauungen des
modernen historischen Bewußtseins, die sich auf viele zerstreute Notizen, auf
Mittheilungen, die von entgegengesetzten Standpunkten ausgegeben worden
waren,, stützten. Wie schwer war es für die, welche von einem solchen Stand¬
punkte aus neue Aufklärungen brachten, unbefangen zu bleiben und wenn
sie dies auch waren, wie schwer nach allen Richtungen hin umzuschauen und
durch die Prüfung und das Verständniß aller dieser oft sich widerstrebenden
Mittheilungen über Wallenstein zu einer möglichst objectiven Anschauung zu
gelangen. — Daß nun der Meister der modernen deutschen Geschichtsforschung
und historischen Kunst, der mehr als irgend einer mit dem Geist und der
Bewegung der Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts vertraut ist, sich
entschlossen hat, diese noch unerledigte Aufgabe zu lösen und, was seither zur
Geschichte Wallensteins veröffentlicht worden ist. in einer ausführlichen Bio¬
graphie des Herzogs zu einem geiht- und lebensvollen Bilde zusammenzufassen
— das muß als eines der erfreulichsten Ereignisse für die deutsche Historio¬
graphie betrachtet werden.

Was die Thatsachen betrifft, so gibt Ranke, der neben selbständiger
Ausbeute und fruchtbarer kritischer Controle früher gemachter archiva-
lischer Forschungen das bereits veröffentlichte urkundliche Material und
die vorhandene Literatur mit seinem weiten und scharfen Blicke umfassend
benutzt' hat, nichts wesentlich Neues. Aber die BeHandlungsweise ist durch-
weg original. Denn abgesehen von der, manche wichtige Momente aufklären¬
den scharfen Kritik tritt uns hier der Charakter Wallensteins im Großen und
Ganzen, die feine psychologische Entwickelung seiner Tendenzen, seine durch
die Verhältnisse gebotene Politik in einem meisterhaften die Zeit und ihre Ver¬
treter oft wunderbar beleuchtenden Bilde vor Augen. Dabei wird er zu¬
gleich der Theilnahme viel näher gerückt, das Rohe und Gehässige in seinem
Charakter wird nicht verschwiegen, aber doch sehr gemildert, sein ganzes
Streben großartiger dargestellt, als es seither betrachtet wurde; überall, wo
die Gegner anklagen, tritt Ranke mit außerordentlichem Scharfsinn als Ver¬
theidiger auf, indem er, was Wallenstein bei seinen Unternehmungen beab¬
sichtigen konnte oder theilweise wollte, als sein unverrücktes Ziel darstellt
und das geschichtliche Recht des gewaltigeren Geistes gegen die beschränkter
Berechtigten geltend macht. Und wer wollte als echter Historiker nicht ein
solches Recht anerkennen, wie es in bewegten Zeiten z. B. Moritz von
Sachsen, Richelieu, Cromwell, Napoleon vertrat. Aber zweierlei ist noth-
wendig, wenn eine solche sympathische Betrachtung für die endgültige Be¬
urtheilung einer historischen Persönlichkeit maßgebend sein soll. Zunächst ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/36>, abgerufen am 25.08.2024.