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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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und der Geist muthigen Vorwärtsstrebens auf ein Ziel, das, je kräftiger sich
die Macht des Staates entfaltete, um so klarer und deutlicher sichtbar
wurde.

Zunächst war Waldeck der einzige Vertreter der vorwärtsstrebender
deutschen Politik im Cabinet des Kurfürsten, und wie die Verhältnisse ein¬
mal logen, mußte er sich vorläufig noch mit der Rolle des aufmerksamen
Zuschauers begnügen und seinem Antipoden Blumenthal die Leitung der
Reichsangelegenheiten überlassen. Blumenthal sah das Heil des Staates in
dem Anschluß an Oestreich. Und ohne Zweifel, einem Staatsmann, dem es
ausschließlich darauf ankam, die Existenz des Staates sicher zu stellen, mußte
sich das Zusammengehen mit Oestreich als die geeignetste Politik empfehlen:
wie auch in neuerer Zeit der Anschluß an die östreichische Politik die Inte¬
grität des Staatsgebietes besser als irgend ein anderes System gewährleistete.
Aber ein höheres Ziel konnte sich diese Staatskunst im 19. so wenig wie
im 17. Jahrhundert stecken. Für den Augenblick zwang den Kurfürsten die
Jsolirung, in der er sich befand, Blumenthals Rath zu folgen und die An¬
näherung an den Kaiser zu suchen. Denn es war für Brandenburg von
äußerster Wichtigkeit, daß Schweden, welches offen nach der leitenden Rolle
in Norddeutschland strebte, und daher der natürliche Nebenbuhler der in der
Bildung begriffenen preußisch-brandenburgischen Macht war, genöthigt würde,
gemäß den Bestimmungen des westphälischen Friedens schleunigst Hinter¬
pommern zu räumen, in dessen Besitznahme es ddn Kurfürsten noch immer
zu hindern suchte. Da nun aber allein der Kaiser im Stande war, aus
Schweden einen wirksamen Druck auszuüben, so blieb dem Kurfürsten Nichts
übrig, als gegen Waldeck's Rath sich zum Kurfürstencongreß nach Prag zu
begeben. Damit schloß er sich der dem Kaiser ergebenen Kurfürstenpartei
an, zum großen Verdruß der Fürstenpartei, die auf ihn gerechnet, aber Nichts
gethan hatte, um ihn durch kräftige Unterstützung in seinen Händeln mit
Schweden auf ihre Seite zu ziehen. In der That erreichte auch Friedrich
Wilhelm auf diesem Wege das nächste Ziel seiner Bestrebungen: Schweden
räumte Hinterpommern, um an dem bevorstehenden Regensburger Reichs¬
tage theilnehmen zu können, und die Belehnung mit seinen Reichslanden zu
erlangen. Als Preis mußte der Kurfürst der Wahl des jungen Erzherzogs
Ferdinand zum römischen Könige beistimmen, was durchaus nicht im Sinne
Waldeck's, aber ein unvermeidliches Opfer war.

Im Verlaufe des berühmten, am 21. Juni 16S3 eröffnete Regensburger
Reichstags ist uns hier ein Punkt vor Allem von Interesse: der Bruch mit
der im Allgemeinen auf Seiten des Kaisers stehenden Kurfürstenpartei und
der Anschluß an die oppositionelle Fürstenpartei, die Wendung also, die
Waldeck anstrebte.


und der Geist muthigen Vorwärtsstrebens auf ein Ziel, das, je kräftiger sich
die Macht des Staates entfaltete, um so klarer und deutlicher sichtbar
wurde.

Zunächst war Waldeck der einzige Vertreter der vorwärtsstrebender
deutschen Politik im Cabinet des Kurfürsten, und wie die Verhältnisse ein¬
mal logen, mußte er sich vorläufig noch mit der Rolle des aufmerksamen
Zuschauers begnügen und seinem Antipoden Blumenthal die Leitung der
Reichsangelegenheiten überlassen. Blumenthal sah das Heil des Staates in
dem Anschluß an Oestreich. Und ohne Zweifel, einem Staatsmann, dem es
ausschließlich darauf ankam, die Existenz des Staates sicher zu stellen, mußte
sich das Zusammengehen mit Oestreich als die geeignetste Politik empfehlen:
wie auch in neuerer Zeit der Anschluß an die östreichische Politik die Inte¬
grität des Staatsgebietes besser als irgend ein anderes System gewährleistete.
Aber ein höheres Ziel konnte sich diese Staatskunst im 19. so wenig wie
im 17. Jahrhundert stecken. Für den Augenblick zwang den Kurfürsten die
Jsolirung, in der er sich befand, Blumenthals Rath zu folgen und die An¬
näherung an den Kaiser zu suchen. Denn es war für Brandenburg von
äußerster Wichtigkeit, daß Schweden, welches offen nach der leitenden Rolle
in Norddeutschland strebte, und daher der natürliche Nebenbuhler der in der
Bildung begriffenen preußisch-brandenburgischen Macht war, genöthigt würde,
gemäß den Bestimmungen des westphälischen Friedens schleunigst Hinter¬
pommern zu räumen, in dessen Besitznahme es ddn Kurfürsten noch immer
zu hindern suchte. Da nun aber allein der Kaiser im Stande war, aus
Schweden einen wirksamen Druck auszuüben, so blieb dem Kurfürsten Nichts
übrig, als gegen Waldeck's Rath sich zum Kurfürstencongreß nach Prag zu
begeben. Damit schloß er sich der dem Kaiser ergebenen Kurfürstenpartei
an, zum großen Verdruß der Fürstenpartei, die auf ihn gerechnet, aber Nichts
gethan hatte, um ihn durch kräftige Unterstützung in seinen Händeln mit
Schweden auf ihre Seite zu ziehen. In der That erreichte auch Friedrich
Wilhelm auf diesem Wege das nächste Ziel seiner Bestrebungen: Schweden
räumte Hinterpommern, um an dem bevorstehenden Regensburger Reichs¬
tage theilnehmen zu können, und die Belehnung mit seinen Reichslanden zu
erlangen. Als Preis mußte der Kurfürst der Wahl des jungen Erzherzogs
Ferdinand zum römischen Könige beistimmen, was durchaus nicht im Sinne
Waldeck's, aber ein unvermeidliches Opfer war.

Im Verlaufe des berühmten, am 21. Juni 16S3 eröffnete Regensburger
Reichstags ist uns hier ein Punkt vor Allem von Interesse: der Bruch mit
der im Allgemeinen auf Seiten des Kaisers stehenden Kurfürstenpartei und
der Anschluß an die oppositionelle Fürstenpartei, die Wendung also, die
Waldeck anstrebte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/336>, abgerufen am 22.07.2024.