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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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hören mußten, soll ein Engländer hier nicht sein armes England vertheidigen
dürfen?" -- O'Brien setzt sich, und aus seinen tiefliegenden dunklen Augen
blitzt es wie ein Gemisch von Grimm und Lustigkeit. -- Salomons: Sein
Sie ruhig. England steht sest, die Bank ist noch gut, mein' ich. Grumleh:
Ja, unser großes armes England! Was hat der arme Engländer von seiner
Größe? Mancher freilich denkt nur an Banken und Millionäre, ist sogar
stolz auf die Unzahl schwarzer, schwindelhoher Fabrikessen, zwischen denen
durch Ueberproduction der Proletarier entsteht, das trostlose Geschöpf, ohne
Glauben und Zukunft, ohne Wurzel in der Heimath, mit einem Auge nach
Australien, mit dem andern nach Amerika schielend. Geht in die grünen
Grafschaften. Sieben-Shilling die Woche, weiße Rüben zu Mittag und kaum
das Salz dazu -- so lebt der ehrliche Ackersmann, denn der Whiggismus
fiel auf den Weizen wie Mehlthau. ("O!" Der Redner fortfahrend): "Jemand
ruft: O! Ich merke, sogar in den Ohren des grauen Hofes klingt dies Lied
schon zu altväterisch. Doch wartet, so wahr das Evangelium über den herz¬
losen Theorien der Nationalökonomie steht, die neumodische Ordnung dauert
nur eine Weile. Den Whig werfen die Radicalen über Bord, und das
Raubschiff des Radikalismus selber, mit Mammon und Maus wird es unter¬
gehen. (Beifall.) Dann richtet sich, aber nicht ohne Kampf und Mühsal,
das Reich wieder auf. Ich frage nun, ist derjenige ein Freund Englands,
der in solchen Zeiten den äußersten Whigs und Radicalen die Hand reicht
und Werkzeuge zuträgt, um die letzten Bollwerke der Verfassung zu unter¬
wühlen? So danken uns nämlich die Gentlemen der Schwesterinsel, die wir
in der Hungersnoth füttern mußten, denen wir die Pforten der Gesetzgebung
aufgethan haben; jeder in seiner Weise. Der erfolgreiche Stellenjäger thut
es in Westminster, das kleinere Nagethier bei Wahlmeetings, in Clubs und
Pennyblättern. Das Oberhaus soll -- unterwühlt, die Primogenitur --
unterwühlt, die Staatskirche -- unterwühlt werden! Ah. Mr. Thunder hat
uns sein Glaubensbekenntniß kaum halb enthüllt, sein Anhang ist hier noch
zu gering dazu. Aber in Fleck-Street prophezeit er, daß die Staats¬
kirche in Irland stürzen muß, ehe fünf Jahre um sind. (Bewegung. -- To-
perton: Unsinn! Was gilt die Wette, nicht in 200 Jahren!) Und wenn bis
dahin auch die übrigen Bollwerke schwinden -- allmächtiger Gott, wie wird
unser England aussehn!" --

O'Brien aufspringend: Schöner, schlanker und jugendlicher als jetzt, mein
Honigtöpfchen. Strahlend wie der Morgenstern, frisch und fest wie Mai¬
butter, und lustig wie Grün Erin selber. -- Toperton: Wenn's in Green
Emil so lustig ist, bleibt doch zu Hause. Wozu kommt Ihr herüber gewim¬
melt? -- O'Brien: Wir statten Euch unsern Gegenbesuch ab. Aber still.


Grenzboten III. 186S. 40

hören mußten, soll ein Engländer hier nicht sein armes England vertheidigen
dürfen?" — O'Brien setzt sich, und aus seinen tiefliegenden dunklen Augen
blitzt es wie ein Gemisch von Grimm und Lustigkeit. — Salomons: Sein
Sie ruhig. England steht sest, die Bank ist noch gut, mein' ich. Grumleh:
Ja, unser großes armes England! Was hat der arme Engländer von seiner
Größe? Mancher freilich denkt nur an Banken und Millionäre, ist sogar
stolz auf die Unzahl schwarzer, schwindelhoher Fabrikessen, zwischen denen
durch Ueberproduction der Proletarier entsteht, das trostlose Geschöpf, ohne
Glauben und Zukunft, ohne Wurzel in der Heimath, mit einem Auge nach
Australien, mit dem andern nach Amerika schielend. Geht in die grünen
Grafschaften. Sieben-Shilling die Woche, weiße Rüben zu Mittag und kaum
das Salz dazu — so lebt der ehrliche Ackersmann, denn der Whiggismus
fiel auf den Weizen wie Mehlthau. („O!" Der Redner fortfahrend): „Jemand
ruft: O! Ich merke, sogar in den Ohren des grauen Hofes klingt dies Lied
schon zu altväterisch. Doch wartet, so wahr das Evangelium über den herz¬
losen Theorien der Nationalökonomie steht, die neumodische Ordnung dauert
nur eine Weile. Den Whig werfen die Radicalen über Bord, und das
Raubschiff des Radikalismus selber, mit Mammon und Maus wird es unter¬
gehen. (Beifall.) Dann richtet sich, aber nicht ohne Kampf und Mühsal,
das Reich wieder auf. Ich frage nun, ist derjenige ein Freund Englands,
der in solchen Zeiten den äußersten Whigs und Radicalen die Hand reicht
und Werkzeuge zuträgt, um die letzten Bollwerke der Verfassung zu unter¬
wühlen? So danken uns nämlich die Gentlemen der Schwesterinsel, die wir
in der Hungersnoth füttern mußten, denen wir die Pforten der Gesetzgebung
aufgethan haben; jeder in seiner Weise. Der erfolgreiche Stellenjäger thut
es in Westminster, das kleinere Nagethier bei Wahlmeetings, in Clubs und
Pennyblättern. Das Oberhaus soll — unterwühlt, die Primogenitur —
unterwühlt, die Staatskirche — unterwühlt werden! Ah. Mr. Thunder hat
uns sein Glaubensbekenntniß kaum halb enthüllt, sein Anhang ist hier noch
zu gering dazu. Aber in Fleck-Street prophezeit er, daß die Staats¬
kirche in Irland stürzen muß, ehe fünf Jahre um sind. (Bewegung. — To-
perton: Unsinn! Was gilt die Wette, nicht in 200 Jahren!) Und wenn bis
dahin auch die übrigen Bollwerke schwinden — allmächtiger Gott, wie wird
unser England aussehn!" —

O'Brien aufspringend: Schöner, schlanker und jugendlicher als jetzt, mein
Honigtöpfchen. Strahlend wie der Morgenstern, frisch und fest wie Mai¬
butter, und lustig wie Grün Erin selber. — Toperton: Wenn's in Green
Emil so lustig ist, bleibt doch zu Hause. Wozu kommt Ihr herüber gewim¬
melt? — O'Brien: Wir statten Euch unsern Gegenbesuch ab. Aber still.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/321>, abgerufen am 24.08.2024.