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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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natürlich, so wenig ehrenvoll sie war und so sehr sie geeignet war, an die
Stelle eines berechtigten und veredelnden Staatsbewußtseins den demorali-
sirenden Einfluß des rohesten und engherzigsten Egoismus treten zu lassen, --
auf die Finanzen dieser Staaten die günstigsten Rückwirkungen äußern. Man
war in der Lage, sich bei verhältnißmäßig mäßigen Steuern, bei der Befriedi¬
gung der Bedürfnisse des Staatslebens nach dem mannichfachsten Richtungen
hin den zwar unproductiven und wirthschaftlich schädlichen aber recht bequemen
Luxus eines politischen Kleinbetriebs zu gestatten, der bei den ge¬
steigerten Anforderungen an die Finanzen auch der Mittel- und Klein¬
staaten sich aus die Dauer gar nicht durchführen läßt. Die nach der
militärischen Seite gering in Anspruch genommenen Finanzen machten es eben
möglich, auch sür kleinere Territorien den ganzen Apparat eines in sich abge¬
schlossenen und abgerundeten Staatswesens herzustellen und mit den erforder¬
lichen persönlichen und sachlichen Mitteln auszustatten, ohne Rücksicht aus
das offen zu Tag getretene, jedenfalls jetzt offen zu Tag tretende Mißver¬
hältniß der aufgewandten Mittel zu den erzielten Leistungen. So besaß zum
Beispiel das kleine Nassau zwei Hofgerichte als zweite Instanzen und ein
Oberappellationsgericht. So hat das Großherzogthum Hessen bei einer Be¬
völkerung wie etwa die der Stadt Berlin ist, nicht weniger als vier Jnstanz-
gerichte, für jede der beiden diesseitigen Provinzen ein Hofgericht und für
Rheinhessen ein sogen. Obergericht als zweite Instanzen, wozu dann als dritte
resp, als Cassationsinstanz noch das Oberappellations- und Cassationsgericht
kommt. Bedenkt man, daß all' diese Gerichte so stark besetzt sein müssen
wie es eine gesicherte Justizpflege und das gegenseitige Verhältniß der ver¬
schiedenen Instanzen erfordern, daß zugleich die Rücksicht auf Verhinderungs¬
fälle und dergl. eine noch weitere Vermehrung der Stellen nöthig macht, so
gelangt man zu einem Personal, welches zu dem Umfang der Geschäfte wirk¬
lich außer allem Verhältniß steht -- und tüchtige Arbeitskräfte und eine ra¬
tionellere und energischere Arbeitsmethode vorausgesetzt -- gut und gern die
drei- und vierfache Arbeitslast würde bewältigen können. Aehnliches gilt dann
auch sür die Organisation der ersten Instanz. Schon der geringe Umfang
eines solchen Staates, die räumliche Beschränkung erschwert eine zweckmäßige
Organisation, eine Abtheilung in größere Sprengel; nach allen Seiten stößt
man gar zu bald an die Grenzen des Staatsgebiets. Auch fallen, von son¬
stigen Nebenrücksichten ganz abgesehen, in einem derartigen kleinen Staats¬
wesen ganz specielle Localinteressen dieses oder jenes Landstädtchens, welches
zur Vermehrung seiner Nahrungsquellen mit einer Gerichts- oder Verwal¬
tungsstelle bedacht sein will, naturgemäß viel schwerer in's Gewicht, als in
einem großen Staate, der sich nach großen Interessen bewegt. Noch weit
mehr tritt aber das Mißverhältniß zwischen aufgewandten Mitteln und er-


natürlich, so wenig ehrenvoll sie war und so sehr sie geeignet war, an die
Stelle eines berechtigten und veredelnden Staatsbewußtseins den demorali-
sirenden Einfluß des rohesten und engherzigsten Egoismus treten zu lassen, —
auf die Finanzen dieser Staaten die günstigsten Rückwirkungen äußern. Man
war in der Lage, sich bei verhältnißmäßig mäßigen Steuern, bei der Befriedi¬
gung der Bedürfnisse des Staatslebens nach dem mannichfachsten Richtungen
hin den zwar unproductiven und wirthschaftlich schädlichen aber recht bequemen
Luxus eines politischen Kleinbetriebs zu gestatten, der bei den ge¬
steigerten Anforderungen an die Finanzen auch der Mittel- und Klein¬
staaten sich aus die Dauer gar nicht durchführen läßt. Die nach der
militärischen Seite gering in Anspruch genommenen Finanzen machten es eben
möglich, auch sür kleinere Territorien den ganzen Apparat eines in sich abge¬
schlossenen und abgerundeten Staatswesens herzustellen und mit den erforder¬
lichen persönlichen und sachlichen Mitteln auszustatten, ohne Rücksicht aus
das offen zu Tag getretene, jedenfalls jetzt offen zu Tag tretende Mißver¬
hältniß der aufgewandten Mittel zu den erzielten Leistungen. So besaß zum
Beispiel das kleine Nassau zwei Hofgerichte als zweite Instanzen und ein
Oberappellationsgericht. So hat das Großherzogthum Hessen bei einer Be¬
völkerung wie etwa die der Stadt Berlin ist, nicht weniger als vier Jnstanz-
gerichte, für jede der beiden diesseitigen Provinzen ein Hofgericht und für
Rheinhessen ein sogen. Obergericht als zweite Instanzen, wozu dann als dritte
resp, als Cassationsinstanz noch das Oberappellations- und Cassationsgericht
kommt. Bedenkt man, daß all' diese Gerichte so stark besetzt sein müssen
wie es eine gesicherte Justizpflege und das gegenseitige Verhältniß der ver¬
schiedenen Instanzen erfordern, daß zugleich die Rücksicht auf Verhinderungs¬
fälle und dergl. eine noch weitere Vermehrung der Stellen nöthig macht, so
gelangt man zu einem Personal, welches zu dem Umfang der Geschäfte wirk¬
lich außer allem Verhältniß steht — und tüchtige Arbeitskräfte und eine ra¬
tionellere und energischere Arbeitsmethode vorausgesetzt — gut und gern die
drei- und vierfache Arbeitslast würde bewältigen können. Aehnliches gilt dann
auch sür die Organisation der ersten Instanz. Schon der geringe Umfang
eines solchen Staates, die räumliche Beschränkung erschwert eine zweckmäßige
Organisation, eine Abtheilung in größere Sprengel; nach allen Seiten stößt
man gar zu bald an die Grenzen des Staatsgebiets. Auch fallen, von son¬
stigen Nebenrücksichten ganz abgesehen, in einem derartigen kleinen Staats¬
wesen ganz specielle Localinteressen dieses oder jenes Landstädtchens, welches
zur Vermehrung seiner Nahrungsquellen mit einer Gerichts- oder Verwal¬
tungsstelle bedacht sein will, naturgemäß viel schwerer in's Gewicht, als in
einem großen Staate, der sich nach großen Interessen bewegt. Noch weit
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/310>, abgerufen am 24.08.2024.