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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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den soll, an den Bundesrath gerichtet worden. Und wenn dieser Antrag
auch im Bundesrath nicht angenommen wurde, so wurde dabei doch, soviel
wir wissen, ausdrücklich auf die bevorstehende Einführung eines gemeinschaft¬
lichen Proceßverfahrens hingewiesen und der Antrag als "bis dahin" oder
"zur Zeit" ungeeignet bezeichnet. Es darf dabei auch nicht übersehen werden,
daß mit der Einführung der neuen Proeeßordnung selbst, -- wenn anders nicht
die neugewonnene Einheit des Proceßrechts alsbald wieder in Frage gestellt
werden soll-- von Bundes wegen eine oberste Cassationsinstanz für alle Fragen
des Proceßrechts eingeführt werden muß. Gleiches muß dann mit der Ein¬
führung des Bundes-Strafgesetzbuchs und der Vunbes-Strafproceßordnung für
das Straf- und Strasproceßrecht geschehen. Mit der Einführung des in der
Bundesverfassung vorgesehenen allgemeinen Obligationenrechts, sowie des be¬
reits dem Bundesrath vorliegenden Gesetzes über das literarische und künstlerische
Urheberrecht, würde dann nothwendigerweise die Competenz des obersten
Bundesgerichts auch auf alle Fragen aus diesen Materien ausgedehnt werden
müssen und es würde schließlich mit der Vollendung der in Art. 4 der
Bundesverfassung vorgesehenen gemeinsamen Legislation für die obersten
Gerichtshöfe der einzelnen Bundesterritorien, falls man solche beibehalten
wollte, kaum noch etwas Anderes übrig bleiben, als die Entscheidung in den
verhältnismäßig vereinzelten Processen über Eigenthums-, Servitut- und Erb¬
recht -- vielleicht nicht ein Zwanzigstel ihres gegenwärtigen Geschäfts¬
kreises!

Speciell bei dem oben erwähnten Hamburger Antrage trat bereits die
Wirksamkeit eines Gesichtspunktes sehr deutlich hervor, der für die Weiter¬
entwickelung des Bundes und der Bundeseomvetenz noch nach gar manchen
Richtungen hin sich wird geltend machen -- des Finanzpunktes.

Bis zum Jahre 1866 waren die Mittel - und Kleinstaaten der ersten
Und wichtigsten Aufgabe des Staates, des Schutzes des Landes und seiner
Bewohner gegen äußere Angriffe, im Wesentlichen überhoben. Sie erfüllten
zwar, oft dürftig genug, ihre bundesmatrieularmäßigen Obliegenheiten, ver¬
wandten auch vielleicht zur Befriedigung besonderer militairischer Liebhabe¬
reien des Souverains in einzelnen Fällen ganz ansehnliche Summen. Allein
die colossalen Aufwendungen, welche nöthig sind, um bei dem gegenwärtigen
Stande der militairischen Technik und ihren ständigen Fortschritten eine wirk¬
lich leistungsfähige, gut ausgerüstete und gut eingeübte, jederzeit kriegs¬
bereite und schlagfertige Armee und Marine für den Fall der Noth bereit
zu halten, blieben ihnen fremd. Sie überließen es einfach Preußen, den
Schutz Deutschlands resp. Norddeutschlands gegen das Ausland herzustellen.

Diese eigenthümliche Situation der außerpreußischen Territorien, ihre
staatliche Existenz halbwegs auf fremde Kosten fristen zu können, mußte


den soll, an den Bundesrath gerichtet worden. Und wenn dieser Antrag
auch im Bundesrath nicht angenommen wurde, so wurde dabei doch, soviel
wir wissen, ausdrücklich auf die bevorstehende Einführung eines gemeinschaft¬
lichen Proceßverfahrens hingewiesen und der Antrag als „bis dahin" oder
„zur Zeit" ungeeignet bezeichnet. Es darf dabei auch nicht übersehen werden,
daß mit der Einführung der neuen Proeeßordnung selbst, — wenn anders nicht
die neugewonnene Einheit des Proceßrechts alsbald wieder in Frage gestellt
werden soll— von Bundes wegen eine oberste Cassationsinstanz für alle Fragen
des Proceßrechts eingeführt werden muß. Gleiches muß dann mit der Ein¬
führung des Bundes-Strafgesetzbuchs und der Vunbes-Strafproceßordnung für
das Straf- und Strasproceßrecht geschehen. Mit der Einführung des in der
Bundesverfassung vorgesehenen allgemeinen Obligationenrechts, sowie des be¬
reits dem Bundesrath vorliegenden Gesetzes über das literarische und künstlerische
Urheberrecht, würde dann nothwendigerweise die Competenz des obersten
Bundesgerichts auch auf alle Fragen aus diesen Materien ausgedehnt werden
müssen und es würde schließlich mit der Vollendung der in Art. 4 der
Bundesverfassung vorgesehenen gemeinsamen Legislation für die obersten
Gerichtshöfe der einzelnen Bundesterritorien, falls man solche beibehalten
wollte, kaum noch etwas Anderes übrig bleiben, als die Entscheidung in den
verhältnismäßig vereinzelten Processen über Eigenthums-, Servitut- und Erb¬
recht — vielleicht nicht ein Zwanzigstel ihres gegenwärtigen Geschäfts¬
kreises!

Speciell bei dem oben erwähnten Hamburger Antrage trat bereits die
Wirksamkeit eines Gesichtspunktes sehr deutlich hervor, der für die Weiter¬
entwickelung des Bundes und der Bundeseomvetenz noch nach gar manchen
Richtungen hin sich wird geltend machen — des Finanzpunktes.

Bis zum Jahre 1866 waren die Mittel - und Kleinstaaten der ersten
Und wichtigsten Aufgabe des Staates, des Schutzes des Landes und seiner
Bewohner gegen äußere Angriffe, im Wesentlichen überhoben. Sie erfüllten
zwar, oft dürftig genug, ihre bundesmatrieularmäßigen Obliegenheiten, ver¬
wandten auch vielleicht zur Befriedigung besonderer militairischer Liebhabe¬
reien des Souverains in einzelnen Fällen ganz ansehnliche Summen. Allein
die colossalen Aufwendungen, welche nöthig sind, um bei dem gegenwärtigen
Stande der militairischen Technik und ihren ständigen Fortschritten eine wirk¬
lich leistungsfähige, gut ausgerüstete und gut eingeübte, jederzeit kriegs¬
bereite und schlagfertige Armee und Marine für den Fall der Noth bereit
zu halten, blieben ihnen fremd. Sie überließen es einfach Preußen, den
Schutz Deutschlands resp. Norddeutschlands gegen das Ausland herzustellen.

Diese eigenthümliche Situation der außerpreußischen Territorien, ihre
staatliche Existenz halbwegs auf fremde Kosten fristen zu können, mußte


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[0309] den soll, an den Bundesrath gerichtet worden. Und wenn dieser Antrag auch im Bundesrath nicht angenommen wurde, so wurde dabei doch, soviel wir wissen, ausdrücklich auf die bevorstehende Einführung eines gemeinschaft¬ lichen Proceßverfahrens hingewiesen und der Antrag als „bis dahin" oder „zur Zeit" ungeeignet bezeichnet. Es darf dabei auch nicht übersehen werden, daß mit der Einführung der neuen Proeeßordnung selbst, — wenn anders nicht die neugewonnene Einheit des Proceßrechts alsbald wieder in Frage gestellt werden soll— von Bundes wegen eine oberste Cassationsinstanz für alle Fragen des Proceßrechts eingeführt werden muß. Gleiches muß dann mit der Ein¬ führung des Bundes-Strafgesetzbuchs und der Vunbes-Strafproceßordnung für das Straf- und Strasproceßrecht geschehen. Mit der Einführung des in der Bundesverfassung vorgesehenen allgemeinen Obligationenrechts, sowie des be¬ reits dem Bundesrath vorliegenden Gesetzes über das literarische und künstlerische Urheberrecht, würde dann nothwendigerweise die Competenz des obersten Bundesgerichts auch auf alle Fragen aus diesen Materien ausgedehnt werden müssen und es würde schließlich mit der Vollendung der in Art. 4 der Bundesverfassung vorgesehenen gemeinsamen Legislation für die obersten Gerichtshöfe der einzelnen Bundesterritorien, falls man solche beibehalten wollte, kaum noch etwas Anderes übrig bleiben, als die Entscheidung in den verhältnismäßig vereinzelten Processen über Eigenthums-, Servitut- und Erb¬ recht — vielleicht nicht ein Zwanzigstel ihres gegenwärtigen Geschäfts¬ kreises! Speciell bei dem oben erwähnten Hamburger Antrage trat bereits die Wirksamkeit eines Gesichtspunktes sehr deutlich hervor, der für die Weiter¬ entwickelung des Bundes und der Bundeseomvetenz noch nach gar manchen Richtungen hin sich wird geltend machen — des Finanzpunktes. Bis zum Jahre 1866 waren die Mittel - und Kleinstaaten der ersten Und wichtigsten Aufgabe des Staates, des Schutzes des Landes und seiner Bewohner gegen äußere Angriffe, im Wesentlichen überhoben. Sie erfüllten zwar, oft dürftig genug, ihre bundesmatrieularmäßigen Obliegenheiten, ver¬ wandten auch vielleicht zur Befriedigung besonderer militairischer Liebhabe¬ reien des Souverains in einzelnen Fällen ganz ansehnliche Summen. Allein die colossalen Aufwendungen, welche nöthig sind, um bei dem gegenwärtigen Stande der militairischen Technik und ihren ständigen Fortschritten eine wirk¬ lich leistungsfähige, gut ausgerüstete und gut eingeübte, jederzeit kriegs¬ bereite und schlagfertige Armee und Marine für den Fall der Noth bereit zu halten, blieben ihnen fremd. Sie überließen es einfach Preußen, den Schutz Deutschlands resp. Norddeutschlands gegen das Ausland herzustellen. Diese eigenthümliche Situation der außerpreußischen Territorien, ihre staatliche Existenz halbwegs auf fremde Kosten fristen zu können, mußte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/309>, abgerufen am 02.10.2024.