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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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kaufen die fertig gereiften Früchte der Weisheit frischweg vom Munde eines
mehr oder minder berühmten Redners. -- Aber Zeitungen lesen sie doch in
Masse. -- Ja, und was fesselt sie darin am meisten? Der gedruckte Redner,
der Staatsmann im Parlament, beim Meeting oder Banket. Was hier
zu Lande wirken soll, muß den rhetorischen Zug haben.

Doch wir stehen vor dem grauen Hofe. Das Haus ist durch und durch
eigenthümlich und hat vor Zeiten einem edlen Gentleman gehört, wie die
schönen Treppen und andere Spuren verrathen. Fast in jedem Gemach
findet man die beiden Schildhalter in einer neuen Stellung wieder, mit einem
passenden Spruch versehen. In Little Mayfields -- fuhr er fort -- wird über die
Schicksale des grauen Hofes viel gefabelt. Es steht aber fest, daß die Inschrift
über die Thore nicht aus uralter Zeit stammt, sondern erst im siebzehnten Jahr¬
hundert von Sir Walter Gray eingegraben wurde. Nun, das Haus ist, wenn
man es buchstäblich nimmt, bisher von des Himmels Strafgericht verschont ge¬
blieben, aber wo sind die Gray's von Swillbourne? Sie waren eine, gute englische
Familie und besaßen außer ihren Ländereien in Wales auch ein Gut in Ir¬
land, Bog Manor, kurzweg der Bog (der Sumpf) geheißen; sie hatten es
in der Zeit der irischen Confiscationen erworben, und es war kein Segen
daran. Von den Söhnen und Enkeln Sir Walter's weiß man nur, daß sie
in Saus und Braus lebten und bei Hahnenkämpfen große Summen ver¬
wetteten. Sein Urenkel, Sir Archibald, ein phantastischer Kopf, der in früher
Jugend in den Gordon'schen Aufruhr gegen die Papisten verwickelt war,
hatte Jahre lang keinen andern Gedanken als wie er den Spruch des Ur¬
großvaters weiterspinnen und immer neue Reime und Bildwerke im Innern
des Hauses anbringen konnte. Zwei Söhne hinterließ dieser Baronet; sie
lebten von Kindheit auf in Feindschaft und waren die letzten der Gray's von
Swillbourne. Sir Arthur, der Erstgeborene, hatte, wie man sagt, eine
reizende Jrländerin geheirathet, die er aus Eifersucht mißhandelte. Man sah
sie oft am westlichen Fenster stehn und die rothgeweinten Augen flehend zum
Himmel aufschlagen. Edward, ihr Schwager, entführte sie nach Irland,
wurde aber bei Bog Manor von dem nachsetzenden Bruder eingeholt und
im Streit erschossen. In wilder Angst suchte der Mörder nach dem nächsten
Hafenort zu gelangen, und wie er dahin sprengte, überhörte er die War¬
nungen der Bauern am Wege, ritt im Abenddunkel gerade auf den tiefen
Sumpf los und ging mit seinem Roß darin unter. Dies geschah kaum eine
Stunde nach der entsetzlichen That, und in derselben Nacht fuhr ein Orcan
über Little Mayfields hin, der den Giebel des grauen Hoff zertrümmerte,
ohne einem andern Dach im Gäßchen etwas zu Leide zu thun -- wenn man
nämlich dem Volksmunde glauben darf, der graue Hof wanderte durch die
Hände der Advocaten und wurde Wirthshaus.


kaufen die fertig gereiften Früchte der Weisheit frischweg vom Munde eines
mehr oder minder berühmten Redners. — Aber Zeitungen lesen sie doch in
Masse. — Ja, und was fesselt sie darin am meisten? Der gedruckte Redner,
der Staatsmann im Parlament, beim Meeting oder Banket. Was hier
zu Lande wirken soll, muß den rhetorischen Zug haben.

Doch wir stehen vor dem grauen Hofe. Das Haus ist durch und durch
eigenthümlich und hat vor Zeiten einem edlen Gentleman gehört, wie die
schönen Treppen und andere Spuren verrathen. Fast in jedem Gemach
findet man die beiden Schildhalter in einer neuen Stellung wieder, mit einem
passenden Spruch versehen. In Little Mayfields — fuhr er fort — wird über die
Schicksale des grauen Hofes viel gefabelt. Es steht aber fest, daß die Inschrift
über die Thore nicht aus uralter Zeit stammt, sondern erst im siebzehnten Jahr¬
hundert von Sir Walter Gray eingegraben wurde. Nun, das Haus ist, wenn
man es buchstäblich nimmt, bisher von des Himmels Strafgericht verschont ge¬
blieben, aber wo sind die Gray's von Swillbourne? Sie waren eine, gute englische
Familie und besaßen außer ihren Ländereien in Wales auch ein Gut in Ir¬
land, Bog Manor, kurzweg der Bog (der Sumpf) geheißen; sie hatten es
in der Zeit der irischen Confiscationen erworben, und es war kein Segen
daran. Von den Söhnen und Enkeln Sir Walter's weiß man nur, daß sie
in Saus und Braus lebten und bei Hahnenkämpfen große Summen ver¬
wetteten. Sein Urenkel, Sir Archibald, ein phantastischer Kopf, der in früher
Jugend in den Gordon'schen Aufruhr gegen die Papisten verwickelt war,
hatte Jahre lang keinen andern Gedanken als wie er den Spruch des Ur¬
großvaters weiterspinnen und immer neue Reime und Bildwerke im Innern
des Hauses anbringen konnte. Zwei Söhne hinterließ dieser Baronet; sie
lebten von Kindheit auf in Feindschaft und waren die letzten der Gray's von
Swillbourne. Sir Arthur, der Erstgeborene, hatte, wie man sagt, eine
reizende Jrländerin geheirathet, die er aus Eifersucht mißhandelte. Man sah
sie oft am westlichen Fenster stehn und die rothgeweinten Augen flehend zum
Himmel aufschlagen. Edward, ihr Schwager, entführte sie nach Irland,
wurde aber bei Bog Manor von dem nachsetzenden Bruder eingeholt und
im Streit erschossen. In wilder Angst suchte der Mörder nach dem nächsten
Hafenort zu gelangen, und wie er dahin sprengte, überhörte er die War¬
nungen der Bauern am Wege, ritt im Abenddunkel gerade auf den tiefen
Sumpf los und ging mit seinem Roß darin unter. Dies geschah kaum eine
Stunde nach der entsetzlichen That, und in derselben Nacht fuhr ein Orcan
über Little Mayfields hin, der den Giebel des grauen Hoff zertrümmerte,
ohne einem andern Dach im Gäßchen etwas zu Leide zu thun — wenn man
nämlich dem Volksmunde glauben darf, der graue Hof wanderte durch die
Hände der Advocaten und wurde Wirthshaus.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/286>, abgerufen am 24.08.2024.