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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Spiegelscheiben, die bunten Sinnbilder. Schilder und Jnnungszeichen, die
vor Thüren und Simsen bis zum obersten Stockwerk hangen, oder sucht
zu entziffern, was in Goldschrift von der dunklen Zinne des ehedem
patrizischen Wohnhauses flimmert! Zuweilen muß er aufblicken zu den er¬
staunlichen Neubauten, die bald von rechts, bald von links die Nachbarschaft
überschatten; pomphafte Club - oder Bankhäuser, überreich an Säulen, Söllern,
Rundbogen und phantastischem, schon etwas rauchumflortem Steinschmuck;
breite thurmartige Ungethüme von ungewisser Bestimmung, in gothisch¬
romanisch-maurisch-japanischem Styl, mit Citadellen von Schornsteinen und
vergoldeten Dachfahnen. Einst, sagt man, wird die ganze City aus solchen
Kolossen bestehen; die Londoner Hauptstraße wird von der Nordsee im Osten
bis zum Weltmeer im Westen reichen, die Bevölkerung wird 13--15 Millio¬
nen groß sein. In jenem "Einst", sür das nicht wenige Patrioten schwär¬
men wird der gesammte Erdkreis englisch ,reden. Dort strahlt eine rothe
Gasampel, mit dem Wort "Magnetit" gezeichnet, durch den dämmrigen
Stadtdunst. Merk auf, junger Mann, du nahst den Hallen, von denen dein
heimisches Dreamgate in Norfolk oder Sloomcombe in Devon sich gern er¬
zählt, den Hallen, wo die Drähte der Blitzpost ausgehen; sie laufen
stracks über den Meeresboden nach fremden Küsten und bis an die Grenzen
Utopiens. Dies sind die Behausungen des Telegraphen, der nach der Volks¬
sage Alles weiß, wiewohl er nicht Jedem sein Wissen offenbart und kleinen
Leuten kurze Antworten gibt. Nicht umsonst aber wird er von Staats¬
männern und Philosophen und sogar von der Königin zu Rath gezogen.
Wer seinen eigenen Draht hält, kann durch die Schlüssellöcher der Zukunft
gucken; nur muß er Frechheit und Fürwitz meiden. Der Millionär, zum Bei¬
spiel, der sorgenvolle, der durch den Welthandel sein Leben fristet, sitzt in sei¬
nem electrischen Gemach allein. Andächtig schließt er die Augen und schaut
den blauen Ocean, der von weißen Segeln schimmert; er zählt seine Schiffe
darauf. Die Curse tanzen vor ihm, sie zeigen ihren Wandel von morgen
und übermorgen. ^8, ^, V" klingt es in melodischem Discant, wie das
Glockenspiel der Bowkirche. Schnell mehren sich seine Consols, schon steht
sein Töchterchen mit einem Howard oder Percy am Traualtare. Schon ruht
er im Schatten eines ehrwürdigen Stammbaumes; seine kleinen Enkel, Grafen-
krönlein auf dem Haupt, schlagen Purzelbäume im Grase. Armer Millionär!
Von Hoffahrt gestochen, den Hut im Genick, sagt er bei Lloyd's: "Ich werde
meinen Sitz erhöhen über die Lords des Landes." Kaum sitzt er wieder und
schließt die Augen, so kriegt er eine Depesche an den Kopf, daß er hinstürzt
wie Saul vor Samuel. Hundert kleine Handelsfürsten, seine Vasallen, er¬
zittern auf ihren Stühlen und werden vor Schreck bankerott. Solchen Ge¬
schichten aus Dreamgate hängt der Sohn des Dorfs im Gehen nach und


Spiegelscheiben, die bunten Sinnbilder. Schilder und Jnnungszeichen, die
vor Thüren und Simsen bis zum obersten Stockwerk hangen, oder sucht
zu entziffern, was in Goldschrift von der dunklen Zinne des ehedem
patrizischen Wohnhauses flimmert! Zuweilen muß er aufblicken zu den er¬
staunlichen Neubauten, die bald von rechts, bald von links die Nachbarschaft
überschatten; pomphafte Club - oder Bankhäuser, überreich an Säulen, Söllern,
Rundbogen und phantastischem, schon etwas rauchumflortem Steinschmuck;
breite thurmartige Ungethüme von ungewisser Bestimmung, in gothisch¬
romanisch-maurisch-japanischem Styl, mit Citadellen von Schornsteinen und
vergoldeten Dachfahnen. Einst, sagt man, wird die ganze City aus solchen
Kolossen bestehen; die Londoner Hauptstraße wird von der Nordsee im Osten
bis zum Weltmeer im Westen reichen, die Bevölkerung wird 13—15 Millio¬
nen groß sein. In jenem „Einst", sür das nicht wenige Patrioten schwär¬
men wird der gesammte Erdkreis englisch ,reden. Dort strahlt eine rothe
Gasampel, mit dem Wort „Magnetit" gezeichnet, durch den dämmrigen
Stadtdunst. Merk auf, junger Mann, du nahst den Hallen, von denen dein
heimisches Dreamgate in Norfolk oder Sloomcombe in Devon sich gern er¬
zählt, den Hallen, wo die Drähte der Blitzpost ausgehen; sie laufen
stracks über den Meeresboden nach fremden Küsten und bis an die Grenzen
Utopiens. Dies sind die Behausungen des Telegraphen, der nach der Volks¬
sage Alles weiß, wiewohl er nicht Jedem sein Wissen offenbart und kleinen
Leuten kurze Antworten gibt. Nicht umsonst aber wird er von Staats¬
männern und Philosophen und sogar von der Königin zu Rath gezogen.
Wer seinen eigenen Draht hält, kann durch die Schlüssellöcher der Zukunft
gucken; nur muß er Frechheit und Fürwitz meiden. Der Millionär, zum Bei¬
spiel, der sorgenvolle, der durch den Welthandel sein Leben fristet, sitzt in sei¬
nem electrischen Gemach allein. Andächtig schließt er die Augen und schaut
den blauen Ocean, der von weißen Segeln schimmert; er zählt seine Schiffe
darauf. Die Curse tanzen vor ihm, sie zeigen ihren Wandel von morgen
und übermorgen. ^8, ^, V« klingt es in melodischem Discant, wie das
Glockenspiel der Bowkirche. Schnell mehren sich seine Consols, schon steht
sein Töchterchen mit einem Howard oder Percy am Traualtare. Schon ruht
er im Schatten eines ehrwürdigen Stammbaumes; seine kleinen Enkel, Grafen-
krönlein auf dem Haupt, schlagen Purzelbäume im Grase. Armer Millionär!
Von Hoffahrt gestochen, den Hut im Genick, sagt er bei Lloyd's: „Ich werde
meinen Sitz erhöhen über die Lords des Landes." Kaum sitzt er wieder und
schließt die Augen, so kriegt er eine Depesche an den Kopf, daß er hinstürzt
wie Saul vor Samuel. Hundert kleine Handelsfürsten, seine Vasallen, er¬
zittern auf ihren Stühlen und werden vor Schreck bankerott. Solchen Ge¬
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[0282] Spiegelscheiben, die bunten Sinnbilder. Schilder und Jnnungszeichen, die vor Thüren und Simsen bis zum obersten Stockwerk hangen, oder sucht zu entziffern, was in Goldschrift von der dunklen Zinne des ehedem patrizischen Wohnhauses flimmert! Zuweilen muß er aufblicken zu den er¬ staunlichen Neubauten, die bald von rechts, bald von links die Nachbarschaft überschatten; pomphafte Club - oder Bankhäuser, überreich an Säulen, Söllern, Rundbogen und phantastischem, schon etwas rauchumflortem Steinschmuck; breite thurmartige Ungethüme von ungewisser Bestimmung, in gothisch¬ romanisch-maurisch-japanischem Styl, mit Citadellen von Schornsteinen und vergoldeten Dachfahnen. Einst, sagt man, wird die ganze City aus solchen Kolossen bestehen; die Londoner Hauptstraße wird von der Nordsee im Osten bis zum Weltmeer im Westen reichen, die Bevölkerung wird 13—15 Millio¬ nen groß sein. In jenem „Einst", sür das nicht wenige Patrioten schwär¬ men wird der gesammte Erdkreis englisch ,reden. Dort strahlt eine rothe Gasampel, mit dem Wort „Magnetit" gezeichnet, durch den dämmrigen Stadtdunst. Merk auf, junger Mann, du nahst den Hallen, von denen dein heimisches Dreamgate in Norfolk oder Sloomcombe in Devon sich gern er¬ zählt, den Hallen, wo die Drähte der Blitzpost ausgehen; sie laufen stracks über den Meeresboden nach fremden Küsten und bis an die Grenzen Utopiens. Dies sind die Behausungen des Telegraphen, der nach der Volks¬ sage Alles weiß, wiewohl er nicht Jedem sein Wissen offenbart und kleinen Leuten kurze Antworten gibt. Nicht umsonst aber wird er von Staats¬ männern und Philosophen und sogar von der Königin zu Rath gezogen. Wer seinen eigenen Draht hält, kann durch die Schlüssellöcher der Zukunft gucken; nur muß er Frechheit und Fürwitz meiden. Der Millionär, zum Bei¬ spiel, der sorgenvolle, der durch den Welthandel sein Leben fristet, sitzt in sei¬ nem electrischen Gemach allein. Andächtig schließt er die Augen und schaut den blauen Ocean, der von weißen Segeln schimmert; er zählt seine Schiffe darauf. Die Curse tanzen vor ihm, sie zeigen ihren Wandel von morgen und übermorgen. ^8, ^, V« klingt es in melodischem Discant, wie das Glockenspiel der Bowkirche. Schnell mehren sich seine Consols, schon steht sein Töchterchen mit einem Howard oder Percy am Traualtare. Schon ruht er im Schatten eines ehrwürdigen Stammbaumes; seine kleinen Enkel, Grafen- krönlein auf dem Haupt, schlagen Purzelbäume im Grase. Armer Millionär! Von Hoffahrt gestochen, den Hut im Genick, sagt er bei Lloyd's: „Ich werde meinen Sitz erhöhen über die Lords des Landes." Kaum sitzt er wieder und schließt die Augen, so kriegt er eine Depesche an den Kopf, daß er hinstürzt wie Saul vor Samuel. Hundert kleine Handelsfürsten, seine Vasallen, er¬ zittern auf ihren Stühlen und werden vor Schreck bankerott. Solchen Ge¬ schichten aus Dreamgate hängt der Sohn des Dorfs im Gehen nach und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/282>, abgerufen am 02.10.2024.