Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.strative Unabhängigkeit erweitert. Dies ist der Zweck und wird auch die Der Vorwurf der Unbestimmtheit trifft am meisten den Kirchen- und Die Annahme der Verfassung, deren Hauptzüge wir geschildert, erfolgte strative Unabhängigkeit erweitert. Dies ist der Zweck und wird auch die Der Vorwurf der Unbestimmtheit trifft am meisten den Kirchen- und Die Annahme der Verfassung, deren Hauptzüge wir geschildert, erfolgte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0264" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/121485"/> <p xml:id="ID_870" prev="#ID_869"> strative Unabhängigkeit erweitert. Dies ist der Zweck und wird auch die<lb/> Folge sein des Referendums und der directen Wahl der Regierung durch das<lb/> Volk. Statt auf geradem Wege zu einer gründlichen Reform zu schreiten,<lb/> verweilt man bei solchen halben Maßregeln, welche eine neue, vielleicht<lb/> schlimmere Krise herbeiführen werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_871"> Der Vorwurf der Unbestimmtheit trifft am meisten den Kirchen- und<lb/> Arbeiterartikel. Als vor zwanzig Jahren der Communismus in Zürich be¬<lb/> deutende Fortschritte machte, erließ der Cantonsrath ein sehr strenges Gesetz<lb/> gegen die Arbeitercoalilionen, während die Arbeitgeber sich frei vereinigen<lb/> durften, und davon auch ausgedehnten Gebrauch machten, indem z. B. ein<lb/> Arbeirer, der von einem Arbeitgeber entlassen worden, von keinem andern<lb/> mehr angestellt werden durfte und so zum Verlassen des Cantons genöthigt<lb/> ward. Ferner wurde eine zu lange Arbeitszeit eingeführt und die Fabrik¬<lb/> kinder entbehrten des genügenden Schutzes gegen übermäßige Anstrengung.<lb/> Obschon nun hier Stoff genug zu gründlichen Reformen gewesen wäre,<lb/> nahm der Verfassungsrath doch nur wieder einen sehr denk- und drehbaren<lb/> Artikel an. „Der Staat fördert und erleichtert die Entwickelung des aus<lb/> Selbsthilfe beruhenden Genossenschaftswesens. Er erläßt auf dem Wege der<lb/> Gesetzgebung die zum Schutze der Arbeiter nöthigen Bestimmungen" (§ 23).<lb/> Im Uebrigen ist das verhaßte Coalitionsgesetz durch Art. 3 aufgehoben, worin<lb/> die Gewährleistung des Vereins- und Versammlungsrechts ausgesprochen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_872" next="#ID_873"> Die Annahme der Verfassung, deren Hauptzüge wir geschildert, erfolgte<lb/> durch das Volk am 18. April d. I., nachdem ein lebhafter Streit über die<lb/> Frage, ob die Abstimmung in Globo oder abschnittsweise oder artikelweise<lb/> zu geschehen habe, vorhergegangen. Das letztere war in einer mit 13,000<lb/> Unterschriften bedeckten Petition verlangt worden. Nichtsdestoweniger be¬<lb/> schloß der Verfassungsrath Abstimmung in Globo. Diese erfolgte mit 34,441<lb/> annehmenden gegen 22,351 verwerfenden Stimmen, also mit etwas mehr als<lb/> 12,000 Stimmen Mehrheit. Am 9. Mai fanden die Wahlen des neuen<lb/> Cantonsrathes, des Regierungsrathes, der beiden Mitglieder des schweize¬<lb/> rischen Ständerathes und der sämmtlichen Bezirksbeamten statt. In den<lb/> Canronsrathswahlen siegte die demokratische Partei schon weniger glänzend,<lb/> als bei der letzten Abstimmung über die Verfassung, nachdem auch diese be¬<lb/> reits eine Abnahme der Stimmen der Demokraten im Vergleich mit den<lb/> Wahlen in den Verfassungsrath und diese letztere wiederum im Vergleich mit<lb/> der großen Volksabstimmung über die Verfassungsrevision, am 26. Januar<lb/> constatirt hatten. Das Verhältniß der Demokraten zu den Liberalen im<lb/> Cantonsrathe stellt sich jetzt ungefähr wie 4 oder 5 zu 3 oder 4, d. h. 110<lb/> entschiedene Demokraten zu 87 Liberalen und 20— 25 Unentschiedenen oder<lb/> Unabhängigen. Trotz ihrer geringen Mehrheit haben seither die Demokraten</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0264]
strative Unabhängigkeit erweitert. Dies ist der Zweck und wird auch die
Folge sein des Referendums und der directen Wahl der Regierung durch das
Volk. Statt auf geradem Wege zu einer gründlichen Reform zu schreiten,
verweilt man bei solchen halben Maßregeln, welche eine neue, vielleicht
schlimmere Krise herbeiführen werden.
Der Vorwurf der Unbestimmtheit trifft am meisten den Kirchen- und
Arbeiterartikel. Als vor zwanzig Jahren der Communismus in Zürich be¬
deutende Fortschritte machte, erließ der Cantonsrath ein sehr strenges Gesetz
gegen die Arbeitercoalilionen, während die Arbeitgeber sich frei vereinigen
durften, und davon auch ausgedehnten Gebrauch machten, indem z. B. ein
Arbeirer, der von einem Arbeitgeber entlassen worden, von keinem andern
mehr angestellt werden durfte und so zum Verlassen des Cantons genöthigt
ward. Ferner wurde eine zu lange Arbeitszeit eingeführt und die Fabrik¬
kinder entbehrten des genügenden Schutzes gegen übermäßige Anstrengung.
Obschon nun hier Stoff genug zu gründlichen Reformen gewesen wäre,
nahm der Verfassungsrath doch nur wieder einen sehr denk- und drehbaren
Artikel an. „Der Staat fördert und erleichtert die Entwickelung des aus
Selbsthilfe beruhenden Genossenschaftswesens. Er erläßt auf dem Wege der
Gesetzgebung die zum Schutze der Arbeiter nöthigen Bestimmungen" (§ 23).
Im Uebrigen ist das verhaßte Coalitionsgesetz durch Art. 3 aufgehoben, worin
die Gewährleistung des Vereins- und Versammlungsrechts ausgesprochen ist.
Die Annahme der Verfassung, deren Hauptzüge wir geschildert, erfolgte
durch das Volk am 18. April d. I., nachdem ein lebhafter Streit über die
Frage, ob die Abstimmung in Globo oder abschnittsweise oder artikelweise
zu geschehen habe, vorhergegangen. Das letztere war in einer mit 13,000
Unterschriften bedeckten Petition verlangt worden. Nichtsdestoweniger be¬
schloß der Verfassungsrath Abstimmung in Globo. Diese erfolgte mit 34,441
annehmenden gegen 22,351 verwerfenden Stimmen, also mit etwas mehr als
12,000 Stimmen Mehrheit. Am 9. Mai fanden die Wahlen des neuen
Cantonsrathes, des Regierungsrathes, der beiden Mitglieder des schweize¬
rischen Ständerathes und der sämmtlichen Bezirksbeamten statt. In den
Canronsrathswahlen siegte die demokratische Partei schon weniger glänzend,
als bei der letzten Abstimmung über die Verfassung, nachdem auch diese be¬
reits eine Abnahme der Stimmen der Demokraten im Vergleich mit den
Wahlen in den Verfassungsrath und diese letztere wiederum im Vergleich mit
der großen Volksabstimmung über die Verfassungsrevision, am 26. Januar
constatirt hatten. Das Verhältniß der Demokraten zu den Liberalen im
Cantonsrathe stellt sich jetzt ungefähr wie 4 oder 5 zu 3 oder 4, d. h. 110
entschiedene Demokraten zu 87 Liberalen und 20— 25 Unentschiedenen oder
Unabhängigen. Trotz ihrer geringen Mehrheit haben seither die Demokraten
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