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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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durch welche sich vorzugsweise in der Schweiz eine neue Periode in der Ent¬
wickelung der Staatsformen eröffnete, indem sie seither bereits in mehreren
Cantonen die Anregung zur Nachahmung gegeben haben. Die Summe ist:
das Volk übt die gesetzgebende Gewalt unter Mitwirkung des Cantonsrathes
aus. "Das Vorschlagsrecht der Stimmberechtigten (Initiative) umfaßt das Be¬
gehren nach Erlaß, Aufhebung oder Abänderung'eines Gesetzes." "Derartige
Begehren können in der Form der einfachen Anregung oder des ausgearbei-
teten Entwurfs gestellt werden und sind im einen wie im anderen Falle zu
begründen. Wenn ein Einzelner oder eine Behörde ein solches Begehren
stellt, welches von einem Drittheile der Mitglieder des Cantonsraths unter¬
stützt wird, so muß über dieselbe durch das Volk entschieden werden. Dem
Antragsteller steht das Recht der persönlichen Begründung im Schoße des
Cantonsraths zu. insofern 2S Mitglieder des letzteren das Gesuch um per¬
sönliche Begründung unterstützen. Ebenso muß der Volksentscheid veranlaßt
werden, wenn 8000 stimmberechtigte oder eine Anzahl von Gemeindever¬
sammlungen, an denen wenigstens 5000 stimmberechtigte dafür gestimmt
haben, ein solches Begehren stellen, insofern der Cantonsrath demselben nicht
entspricht." Die Anregung bezüglich des Entwurfs ist vor der Abstimmung
immer dem Cantonsraths zu begutachtender Beschlußfassung zu unterbreiten.
Für den Fall, daß ein von der Volksinitiative ausgegangener Gesetzesentwurf
zur Abstimmung gelangt, kann der Cantonsrath dem Volke außer seinem
Gutachten auch einen abgeänderten Entwurf zur Entscheidung vorlegen
(§Z. 28. 29).

Zu diesem Rechte der Initiative kommt nun das sogenannte Referendum:
"Alljährlich zwei Mal, im Frühjahr und im Herbst, findet die Abstimmung
des Volkes über die gesetzgeberischen Acte des Cantonsraths statt. In
dringenden Fällen kann dieser eine außerordentliche Abstimmung anordnen"*).

Sehr großes Gewicht legten die Demokraten von Anfang an auf Ein¬
führung der directen Wahl der Executive durch das Volk, nach¬
dem dieselbe bisher vom Cantonsrath gewählt worden. Sie bezweckten damit
eine unabhängige Stellung der Exekutive gegenüber dem letztern, einen vvlks-



") Der Volksabstimmung sind zu unterstkllen: 1) alle Verfassungsänderungen, Gesetze und
Concordate; 2) diejenigen Beschlüsse des Cantonsrathes, welche derselbe nicht endgiltig zu
fassen befugt ist. lNämlich die Entscheidung über neue einmalige Ausgaben für einen be¬
stimmten Zweck, welche den Betrag von 250,00V Fr. übersteigen, sowie über neue jährliche
Ausgaben von mehr als 20,000 Fr. (§ 31. S,)j 3) Schlußnahmcn, welche der Cantonsrath
von sich ans zur Abstimmung bringen will. Die Abstimmung findet mittelst der Stimmurne
in den Gemeinden statt. Die Betheiligung hieran ist eine allgemeine Bürgerpflicht. Die Volks¬
abstimmung kann nur bejahend oder verneinend sein. Die absolute Mehrheit entscheidet. Der
Cantonsrath ist nicht befugt, Gesetze oder Beschlüsse vor der Abstimmung provisorisch in Kraft
zu setzen. Alle zur Volksabstimmung gelangenden Vorlagen sind spätestens 30 Tage vor der¬
selben zu veröffentlichen und den Stimmberechtigten einzuhändigen.

durch welche sich vorzugsweise in der Schweiz eine neue Periode in der Ent¬
wickelung der Staatsformen eröffnete, indem sie seither bereits in mehreren
Cantonen die Anregung zur Nachahmung gegeben haben. Die Summe ist:
das Volk übt die gesetzgebende Gewalt unter Mitwirkung des Cantonsrathes
aus. „Das Vorschlagsrecht der Stimmberechtigten (Initiative) umfaßt das Be¬
gehren nach Erlaß, Aufhebung oder Abänderung'eines Gesetzes." „Derartige
Begehren können in der Form der einfachen Anregung oder des ausgearbei-
teten Entwurfs gestellt werden und sind im einen wie im anderen Falle zu
begründen. Wenn ein Einzelner oder eine Behörde ein solches Begehren
stellt, welches von einem Drittheile der Mitglieder des Cantonsraths unter¬
stützt wird, so muß über dieselbe durch das Volk entschieden werden. Dem
Antragsteller steht das Recht der persönlichen Begründung im Schoße des
Cantonsraths zu. insofern 2S Mitglieder des letzteren das Gesuch um per¬
sönliche Begründung unterstützen. Ebenso muß der Volksentscheid veranlaßt
werden, wenn 8000 stimmberechtigte oder eine Anzahl von Gemeindever¬
sammlungen, an denen wenigstens 5000 stimmberechtigte dafür gestimmt
haben, ein solches Begehren stellen, insofern der Cantonsrath demselben nicht
entspricht." Die Anregung bezüglich des Entwurfs ist vor der Abstimmung
immer dem Cantonsraths zu begutachtender Beschlußfassung zu unterbreiten.
Für den Fall, daß ein von der Volksinitiative ausgegangener Gesetzesentwurf
zur Abstimmung gelangt, kann der Cantonsrath dem Volke außer seinem
Gutachten auch einen abgeänderten Entwurf zur Entscheidung vorlegen
(§Z. 28. 29).

Zu diesem Rechte der Initiative kommt nun das sogenannte Referendum:
„Alljährlich zwei Mal, im Frühjahr und im Herbst, findet die Abstimmung
des Volkes über die gesetzgeberischen Acte des Cantonsraths statt. In
dringenden Fällen kann dieser eine außerordentliche Abstimmung anordnen"*).

Sehr großes Gewicht legten die Demokraten von Anfang an auf Ein¬
führung der directen Wahl der Executive durch das Volk, nach¬
dem dieselbe bisher vom Cantonsrath gewählt worden. Sie bezweckten damit
eine unabhängige Stellung der Exekutive gegenüber dem letztern, einen vvlks-



") Der Volksabstimmung sind zu unterstkllen: 1) alle Verfassungsänderungen, Gesetze und
Concordate; 2) diejenigen Beschlüsse des Cantonsrathes, welche derselbe nicht endgiltig zu
fassen befugt ist. lNämlich die Entscheidung über neue einmalige Ausgaben für einen be¬
stimmten Zweck, welche den Betrag von 250,00V Fr. übersteigen, sowie über neue jährliche
Ausgaben von mehr als 20,000 Fr. (§ 31. S,)j 3) Schlußnahmcn, welche der Cantonsrath
von sich ans zur Abstimmung bringen will. Die Abstimmung findet mittelst der Stimmurne
in den Gemeinden statt. Die Betheiligung hieran ist eine allgemeine Bürgerpflicht. Die Volks¬
abstimmung kann nur bejahend oder verneinend sein. Die absolute Mehrheit entscheidet. Der
Cantonsrath ist nicht befugt, Gesetze oder Beschlüsse vor der Abstimmung provisorisch in Kraft
zu setzen. Alle zur Volksabstimmung gelangenden Vorlagen sind spätestens 30 Tage vor der¬
selben zu veröffentlichen und den Stimmberechtigten einzuhändigen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/261>, abgerufen am 25.08.2024.