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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Zürich zu verdanken. Unter seiner Leitung gewann die zürcherische Regie¬
rung durch ihre Sorge für die materiellen Interessen des Volkes bald eine
große Popularität und eine- sast unwidersprochene Gewalt. Escher besaß eine
seltene Arbeitskraft, einen nie erlahmenden Eifer, umfassende Kenntnisse und
widmete alle diese großen Eigenschaften aufs Uneigennützigste seinem Vater¬
lande. Bedeutende öffentliche Arbeiten wurden ausgeführt, der Volksunter¬
richt und das höhere Schulwesen verbessert, dem Handel und der Industrie
ein mächtiger Aufschwung gegeben.

Ein allgemeines Wohlbehagen lohnte anfangs die Regierung für ihre Ver¬
dienste. Man ließ dieselbe immer mehr gewähren, man kümmerte sich immer
weniger um die öffentlichen Angelegenheiten, desto mehr aber um die För¬
derung der privaten materiellen Interessen. Die Wahlen wurden von Jahr
zu Jahr immer spärlicher besucht und immer mehr verliefen dieselben unter
dem Einfluß einer ziemlich centralisirten Regierung und eines von großen
Industriellen und Landwirthen geleiteten Cantonsraths. In letzterer Be¬
hörde verschwand die Opposition nach und nach fast ganz. Im Leben der
begüterten Classen war ein fühlbarer Umschwung' von den bisher bei ihnen
gepflegten mehr idealen Bestrebungen zum Materialismus eingetreten. Na¬
mentlich zeigte sich dies in einer fast zügellosen Bauwuth. Früher hatte die
Beschäftigung mit Literatur, Kunst und Wissenschaft bei den Söhnen der
reichen Familien für eine Ehre gegolten. Das machte jetzt einem rastlosen
Haschen nach Gewinn, Luxus und Genuß Platz. In politischer Beziehung
concentrirte sich durch diese Geistesrichtung die Macht immer mehr in der
Hand eines Einzigen.

Einen neuen Impuls empfing die materialistische Richtung, als Anfangs
1866 der Eisenbahnbau in der Schweiz begann. Die in den Bundesbehörden
entstandene Frage ob Privat - oder Staatsbäu, ward namentlich durch den
Einfluß Escher's zu Gunsten des erstern entschieden. Bald darauf legte er
selbst Hand ans Werk. Er gründete 18S3 die Gesellschaft der Ostbahn
(Zürich-Romanshorn), welche sich nicht lange nachher mit der Nordbahn
(Zürich-Baden-Otter) susionirte und an letztgenanntem Orte mit der schweize¬
rischen Centralbahn vereinigte. Escher trat jetzt aus der Negierung und stellte
sich an die Spitze des von ihm gegründeten Unternehmens. Unter seiner
überall Vertrauen einflößenden Leitung fand sich bald Geld zu guten Be¬
dingungen. Ein vollständiger Erfolg krönte seine Bemühungen. Die Nord¬
ostbahn, deren Bau auss Sorgfältigste ausgeführt und deren Betrieb von
Anfang an als mustergiltig erschien, wurde zur blühendsten Eisenbahngesell¬
schaft der Schweiz. Acht Procent ist seit einigen Jahren die normale Ziffer
ihrer Dividenden.

Herr Escher wußte aber auch, daß das Gedeihen einer Bahn mit dem


Zürich zu verdanken. Unter seiner Leitung gewann die zürcherische Regie¬
rung durch ihre Sorge für die materiellen Interessen des Volkes bald eine
große Popularität und eine- sast unwidersprochene Gewalt. Escher besaß eine
seltene Arbeitskraft, einen nie erlahmenden Eifer, umfassende Kenntnisse und
widmete alle diese großen Eigenschaften aufs Uneigennützigste seinem Vater¬
lande. Bedeutende öffentliche Arbeiten wurden ausgeführt, der Volksunter¬
richt und das höhere Schulwesen verbessert, dem Handel und der Industrie
ein mächtiger Aufschwung gegeben.

Ein allgemeines Wohlbehagen lohnte anfangs die Regierung für ihre Ver¬
dienste. Man ließ dieselbe immer mehr gewähren, man kümmerte sich immer
weniger um die öffentlichen Angelegenheiten, desto mehr aber um die För¬
derung der privaten materiellen Interessen. Die Wahlen wurden von Jahr
zu Jahr immer spärlicher besucht und immer mehr verliefen dieselben unter
dem Einfluß einer ziemlich centralisirten Regierung und eines von großen
Industriellen und Landwirthen geleiteten Cantonsraths. In letzterer Be¬
hörde verschwand die Opposition nach und nach fast ganz. Im Leben der
begüterten Classen war ein fühlbarer Umschwung' von den bisher bei ihnen
gepflegten mehr idealen Bestrebungen zum Materialismus eingetreten. Na¬
mentlich zeigte sich dies in einer fast zügellosen Bauwuth. Früher hatte die
Beschäftigung mit Literatur, Kunst und Wissenschaft bei den Söhnen der
reichen Familien für eine Ehre gegolten. Das machte jetzt einem rastlosen
Haschen nach Gewinn, Luxus und Genuß Platz. In politischer Beziehung
concentrirte sich durch diese Geistesrichtung die Macht immer mehr in der
Hand eines Einzigen.

Einen neuen Impuls empfing die materialistische Richtung, als Anfangs
1866 der Eisenbahnbau in der Schweiz begann. Die in den Bundesbehörden
entstandene Frage ob Privat - oder Staatsbäu, ward namentlich durch den
Einfluß Escher's zu Gunsten des erstern entschieden. Bald darauf legte er
selbst Hand ans Werk. Er gründete 18S3 die Gesellschaft der Ostbahn
(Zürich-Romanshorn), welche sich nicht lange nachher mit der Nordbahn
(Zürich-Baden-Otter) susionirte und an letztgenanntem Orte mit der schweize¬
rischen Centralbahn vereinigte. Escher trat jetzt aus der Negierung und stellte
sich an die Spitze des von ihm gegründeten Unternehmens. Unter seiner
überall Vertrauen einflößenden Leitung fand sich bald Geld zu guten Be¬
dingungen. Ein vollständiger Erfolg krönte seine Bemühungen. Die Nord¬
ostbahn, deren Bau auss Sorgfältigste ausgeführt und deren Betrieb von
Anfang an als mustergiltig erschien, wurde zur blühendsten Eisenbahngesell¬
schaft der Schweiz. Acht Procent ist seit einigen Jahren die normale Ziffer
ihrer Dividenden.

Herr Escher wußte aber auch, daß das Gedeihen einer Bahn mit dem


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[0252] Zürich zu verdanken. Unter seiner Leitung gewann die zürcherische Regie¬ rung durch ihre Sorge für die materiellen Interessen des Volkes bald eine große Popularität und eine- sast unwidersprochene Gewalt. Escher besaß eine seltene Arbeitskraft, einen nie erlahmenden Eifer, umfassende Kenntnisse und widmete alle diese großen Eigenschaften aufs Uneigennützigste seinem Vater¬ lande. Bedeutende öffentliche Arbeiten wurden ausgeführt, der Volksunter¬ richt und das höhere Schulwesen verbessert, dem Handel und der Industrie ein mächtiger Aufschwung gegeben. Ein allgemeines Wohlbehagen lohnte anfangs die Regierung für ihre Ver¬ dienste. Man ließ dieselbe immer mehr gewähren, man kümmerte sich immer weniger um die öffentlichen Angelegenheiten, desto mehr aber um die För¬ derung der privaten materiellen Interessen. Die Wahlen wurden von Jahr zu Jahr immer spärlicher besucht und immer mehr verliefen dieselben unter dem Einfluß einer ziemlich centralisirten Regierung und eines von großen Industriellen und Landwirthen geleiteten Cantonsraths. In letzterer Be¬ hörde verschwand die Opposition nach und nach fast ganz. Im Leben der begüterten Classen war ein fühlbarer Umschwung' von den bisher bei ihnen gepflegten mehr idealen Bestrebungen zum Materialismus eingetreten. Na¬ mentlich zeigte sich dies in einer fast zügellosen Bauwuth. Früher hatte die Beschäftigung mit Literatur, Kunst und Wissenschaft bei den Söhnen der reichen Familien für eine Ehre gegolten. Das machte jetzt einem rastlosen Haschen nach Gewinn, Luxus und Genuß Platz. In politischer Beziehung concentrirte sich durch diese Geistesrichtung die Macht immer mehr in der Hand eines Einzigen. Einen neuen Impuls empfing die materialistische Richtung, als Anfangs 1866 der Eisenbahnbau in der Schweiz begann. Die in den Bundesbehörden entstandene Frage ob Privat - oder Staatsbäu, ward namentlich durch den Einfluß Escher's zu Gunsten des erstern entschieden. Bald darauf legte er selbst Hand ans Werk. Er gründete 18S3 die Gesellschaft der Ostbahn (Zürich-Romanshorn), welche sich nicht lange nachher mit der Nordbahn (Zürich-Baden-Otter) susionirte und an letztgenanntem Orte mit der schweize¬ rischen Centralbahn vereinigte. Escher trat jetzt aus der Negierung und stellte sich an die Spitze des von ihm gegründeten Unternehmens. Unter seiner überall Vertrauen einflößenden Leitung fand sich bald Geld zu guten Be¬ dingungen. Ein vollständiger Erfolg krönte seine Bemühungen. Die Nord¬ ostbahn, deren Bau auss Sorgfältigste ausgeführt und deren Betrieb von Anfang an als mustergiltig erschien, wurde zur blühendsten Eisenbahngesell¬ schaft der Schweiz. Acht Procent ist seit einigen Jahren die normale Ziffer ihrer Dividenden. Herr Escher wußte aber auch, daß das Gedeihen einer Bahn mit dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/252>, abgerufen am 25.08.2024.