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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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Der tirolische Clerus.

Bisher ruhte die Sache der Bildung unseres Volkes auf dem Lande wie
größtentheils in den Städten in den Händen der Geistlichkeit. Seine ganze Er¬
ziehung war auf Gehorsam gegen diese angelegt.' Von Kindesbeinen an lehrte
man es in kirchlichen Gebräuchen und Ceremonien, Aufzügen und Festen die
wahre Gottesverehrung und sein Seelenheil, nebenbei auch sein Ergötzen zu
suchen; damit hing zusammen, das dem Volk die Träger dieser Handlungen
wie Geschöpfe höherer Ordnung erschienen, dazu bestimmt, den Verkehr zwischen
Himmel und Erde zu vermitteln. Bei der Abgeschlossenheit unserer Berge
und Thäler, der geringen Berührung, in die selbst die Städtebewohner mit'
dem Auslande kamen, dem Zustande unserer Volksschulen und der Unter¬
stützung, die der Clerus bei der Regierung fand, hielt es nicht schwer, das
Volk in so beschränkten Anschauungen zu erziehen. Für die Leute, die dem
Catechismus und den Christenlehren entwächst" waren, halfen die Predigten,
der Beichtstuhl und die mündliche Unterweisung nach, hatten sie doch alle
den Zweck, die Herrschaft der Diener der Kirche bei Jung und Alt, Arm
und Reich aufrecht zu erhalten und zu befestigen.

Das neue Schulgesetz ist der erste Versuch, die Erziehung des Volkes auf
eine rationelle Grundlage zu stellen, vorerst freilich nur ein Versuch und
zwar einer, dessen Gelingen von Umständen abhängen wird. Zunächst darf
nicht übersehen werden, daß das neue Gesetz den Clerus an der gewohnten
Art des Vortrags der Religionslehre auf keine Weise stört, dieser somit bei
der alten, bequemen Form beharren kann und zweifelsohne auch beharren
wird. Die von anderer Seite gestellten Anforderungen, die Wünsche für eine
gründliche Behandlung der übrigen Lehrgegenstände, können sich aber nur
allmälig und langsam Bahn brechen. Gute Schullehrer, die das moralische
Gefühl und das Denkvermögen der Jugend zu wecken verstehen, müssen ganz
neu gebildet werden. Nebenher thun insgeheim und öffentlich wohlge¬
meinte Lehren bereits das Ihrige, um den Aeltern das gründlichste Mißtrauen
gegen die neue Schulordnung und ihre Vertreter einzuflößen. Die tiroler
Kanzeln sind neuerdings überhaupt mehr die Tummelplätze für die politische
Agitation als Stätten evangelischer Belehrung gewesen. Dies verdanken wir
insbesondere den jüngeren Geistlichen, die ihre theologischen Curse in der
Sturm- und Drangperiode unmittelbar vor und nach dem Jahre 1848, oder
noch später durchmachten, und bei weitem einseitiger, verblendeter und fana¬
tischer sind als diejenigen Priester, die der josephinischen Zeit näher standen.
Daß es so kam und kommen mußte, dazu trugen hauptsächlich die Trennung


Der tirolische Clerus.

Bisher ruhte die Sache der Bildung unseres Volkes auf dem Lande wie
größtentheils in den Städten in den Händen der Geistlichkeit. Seine ganze Er¬
ziehung war auf Gehorsam gegen diese angelegt.' Von Kindesbeinen an lehrte
man es in kirchlichen Gebräuchen und Ceremonien, Aufzügen und Festen die
wahre Gottesverehrung und sein Seelenheil, nebenbei auch sein Ergötzen zu
suchen; damit hing zusammen, das dem Volk die Träger dieser Handlungen
wie Geschöpfe höherer Ordnung erschienen, dazu bestimmt, den Verkehr zwischen
Himmel und Erde zu vermitteln. Bei der Abgeschlossenheit unserer Berge
und Thäler, der geringen Berührung, in die selbst die Städtebewohner mit'
dem Auslande kamen, dem Zustande unserer Volksschulen und der Unter¬
stützung, die der Clerus bei der Regierung fand, hielt es nicht schwer, das
Volk in so beschränkten Anschauungen zu erziehen. Für die Leute, die dem
Catechismus und den Christenlehren entwächst» waren, halfen die Predigten,
der Beichtstuhl und die mündliche Unterweisung nach, hatten sie doch alle
den Zweck, die Herrschaft der Diener der Kirche bei Jung und Alt, Arm
und Reich aufrecht zu erhalten und zu befestigen.

Das neue Schulgesetz ist der erste Versuch, die Erziehung des Volkes auf
eine rationelle Grundlage zu stellen, vorerst freilich nur ein Versuch und
zwar einer, dessen Gelingen von Umständen abhängen wird. Zunächst darf
nicht übersehen werden, daß das neue Gesetz den Clerus an der gewohnten
Art des Vortrags der Religionslehre auf keine Weise stört, dieser somit bei
der alten, bequemen Form beharren kann und zweifelsohne auch beharren
wird. Die von anderer Seite gestellten Anforderungen, die Wünsche für eine
gründliche Behandlung der übrigen Lehrgegenstände, können sich aber nur
allmälig und langsam Bahn brechen. Gute Schullehrer, die das moralische
Gefühl und das Denkvermögen der Jugend zu wecken verstehen, müssen ganz
neu gebildet werden. Nebenher thun insgeheim und öffentlich wohlge¬
meinte Lehren bereits das Ihrige, um den Aeltern das gründlichste Mißtrauen
gegen die neue Schulordnung und ihre Vertreter einzuflößen. Die tiroler
Kanzeln sind neuerdings überhaupt mehr die Tummelplätze für die politische
Agitation als Stätten evangelischer Belehrung gewesen. Dies verdanken wir
insbesondere den jüngeren Geistlichen, die ihre theologischen Curse in der
Sturm- und Drangperiode unmittelbar vor und nach dem Jahre 1848, oder
noch später durchmachten, und bei weitem einseitiger, verblendeter und fana¬
tischer sind als diejenigen Priester, die der josephinischen Zeit näher standen.
Daß es so kam und kommen mußte, dazu trugen hauptsächlich die Trennung


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[0024] Der tirolische Clerus. Bisher ruhte die Sache der Bildung unseres Volkes auf dem Lande wie größtentheils in den Städten in den Händen der Geistlichkeit. Seine ganze Er¬ ziehung war auf Gehorsam gegen diese angelegt.' Von Kindesbeinen an lehrte man es in kirchlichen Gebräuchen und Ceremonien, Aufzügen und Festen die wahre Gottesverehrung und sein Seelenheil, nebenbei auch sein Ergötzen zu suchen; damit hing zusammen, das dem Volk die Träger dieser Handlungen wie Geschöpfe höherer Ordnung erschienen, dazu bestimmt, den Verkehr zwischen Himmel und Erde zu vermitteln. Bei der Abgeschlossenheit unserer Berge und Thäler, der geringen Berührung, in die selbst die Städtebewohner mit' dem Auslande kamen, dem Zustande unserer Volksschulen und der Unter¬ stützung, die der Clerus bei der Regierung fand, hielt es nicht schwer, das Volk in so beschränkten Anschauungen zu erziehen. Für die Leute, die dem Catechismus und den Christenlehren entwächst» waren, halfen die Predigten, der Beichtstuhl und die mündliche Unterweisung nach, hatten sie doch alle den Zweck, die Herrschaft der Diener der Kirche bei Jung und Alt, Arm und Reich aufrecht zu erhalten und zu befestigen. Das neue Schulgesetz ist der erste Versuch, die Erziehung des Volkes auf eine rationelle Grundlage zu stellen, vorerst freilich nur ein Versuch und zwar einer, dessen Gelingen von Umständen abhängen wird. Zunächst darf nicht übersehen werden, daß das neue Gesetz den Clerus an der gewohnten Art des Vortrags der Religionslehre auf keine Weise stört, dieser somit bei der alten, bequemen Form beharren kann und zweifelsohne auch beharren wird. Die von anderer Seite gestellten Anforderungen, die Wünsche für eine gründliche Behandlung der übrigen Lehrgegenstände, können sich aber nur allmälig und langsam Bahn brechen. Gute Schullehrer, die das moralische Gefühl und das Denkvermögen der Jugend zu wecken verstehen, müssen ganz neu gebildet werden. Nebenher thun insgeheim und öffentlich wohlge¬ meinte Lehren bereits das Ihrige, um den Aeltern das gründlichste Mißtrauen gegen die neue Schulordnung und ihre Vertreter einzuflößen. Die tiroler Kanzeln sind neuerdings überhaupt mehr die Tummelplätze für die politische Agitation als Stätten evangelischer Belehrung gewesen. Dies verdanken wir insbesondere den jüngeren Geistlichen, die ihre theologischen Curse in der Sturm- und Drangperiode unmittelbar vor und nach dem Jahre 1848, oder noch später durchmachten, und bei weitem einseitiger, verblendeter und fana¬ tischer sind als diejenigen Priester, die der josephinischen Zeit näher standen. Daß es so kam und kommen mußte, dazu trugen hauptsächlich die Trennung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/24>, abgerufen am 22.07.2024.