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Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band.

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tung. die sie bei der belgisch-französischen Differenz angenommen hat und
die geradezu schmählich genannt werden darf, wenn man auch vollkommen
von allen deutschen Gesichtspunkten absieht.

Es mag dem Grafen Beust unbequem genug gewesen sein, daß seine
Depesche vom 1. Mai an den Grafen Wimpffen bekannt ward, und er hat
sich gehütet, sie in sein Rothbuch aufzunehmen, und auch das abschwächende
Circular, das er zur Erklärung erlassen haben soll, fehlt. Wir finden nur
eine Depesche an den Gesandten in Dresden, welche einer falschen Auffassung
der kaiserlichen Politik seitens der sächsischen Regierung entgegenwirken soll.
Wir können uns aller Bemerkungen hierüber enthalten, da die bekannte vor¬
treffliche Antwort des Herrn v. Friesen an diesem Product schon Justiz geübt
hat. Der eigentliche Kern bleibt die Depesche vom 1> Mai, die zunächst ganz
unmotivirt war.

Es war natürlich, daß der östreichische Gesandte in Berlin mit seinem
belgischen Collegen gelegentlich über eine Frage sprach, welche die Politik da¬
mals lebhaft bewegte. Aber eine derartige Unterhaltung motivirte in keiner
Weise Rathschläge an Belgien, sich nachgiebig gegen Frankreich zu zeigen.
Belgien hatte sie nicht gefordert und brauchte sie auch nicht, es hatte sich
nur auf einen Alliirten zu stützen und dessen Rath zu beachten, nämlich Eng¬
land. Lord Clarendon hat seine Aufgabe in trefflichster Weise gelöst, er hat
in Paris seine Stimme aufs nachdrücklichste für die Unabhängigkeit Belgiens
erhoben und hat in Brüssel seinen Beistand gegen jedes unkeusche Verlangen
Frankreichs zugesagt. Mit dieser Unterstützung ist es der Klugheit und
Energie des Herrn Frere-Orban gelungen, den ungeschickten Angriff abzu¬
schlagen und in eine ziemlich offene Niederlage der napoleonischen Politik zu
verwandeln. Aber weder er noch Lord Clarendon haben viel Wesen von
ihrer Action gemacht, Graf Beust hat sich unberufen mit Rathschlägen ein¬
gedrängt, welche allgemeines Mißtrauen wachgerufen. Lord Ciarendon hat
über die ihm mitgetheilte Depesche seinen unverhohlensten Unwillen aus¬
gesprochen und in Paris war man wiederum von der Betonung der politischen
Unabhängigkeit Belgiens wenig erbaut, womit der franzosenfreundliche Rath
an das Brüsseler Cabinet verbrämt war. Der Reichskanzler hat wenig Grund,
sich über seine Einmischung zu beglückwünschen.

Die einzige Frage, in der wir seiner Haltung zustimmen und ihm besten
Erfolg wünschen, ist die des Verhältnisses zu Rom. Der Reichskanzler
scheint uns hier die einzig richtige Politik zu verfolgen, nämlich ohne Ver¬
handlungen mit Rom, die doch unnütz bleiben müssen, einseitig die gesetzliche
Regelung der confessionellen Verhältnisse im Interesse des Staates zu voll¬
ziehen, dabei aber sorgfältig sich jedes Actes zu enthalten, welcher dem Clerus
den Anschein eines Martyriums geben könnte und die katholische Bevölker-


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tung. die sie bei der belgisch-französischen Differenz angenommen hat und
die geradezu schmählich genannt werden darf, wenn man auch vollkommen
von allen deutschen Gesichtspunkten absieht.

Es mag dem Grafen Beust unbequem genug gewesen sein, daß seine
Depesche vom 1. Mai an den Grafen Wimpffen bekannt ward, und er hat
sich gehütet, sie in sein Rothbuch aufzunehmen, und auch das abschwächende
Circular, das er zur Erklärung erlassen haben soll, fehlt. Wir finden nur
eine Depesche an den Gesandten in Dresden, welche einer falschen Auffassung
der kaiserlichen Politik seitens der sächsischen Regierung entgegenwirken soll.
Wir können uns aller Bemerkungen hierüber enthalten, da die bekannte vor¬
treffliche Antwort des Herrn v. Friesen an diesem Product schon Justiz geübt
hat. Der eigentliche Kern bleibt die Depesche vom 1> Mai, die zunächst ganz
unmotivirt war.

Es war natürlich, daß der östreichische Gesandte in Berlin mit seinem
belgischen Collegen gelegentlich über eine Frage sprach, welche die Politik da¬
mals lebhaft bewegte. Aber eine derartige Unterhaltung motivirte in keiner
Weise Rathschläge an Belgien, sich nachgiebig gegen Frankreich zu zeigen.
Belgien hatte sie nicht gefordert und brauchte sie auch nicht, es hatte sich
nur auf einen Alliirten zu stützen und dessen Rath zu beachten, nämlich Eng¬
land. Lord Clarendon hat seine Aufgabe in trefflichster Weise gelöst, er hat
in Paris seine Stimme aufs nachdrücklichste für die Unabhängigkeit Belgiens
erhoben und hat in Brüssel seinen Beistand gegen jedes unkeusche Verlangen
Frankreichs zugesagt. Mit dieser Unterstützung ist es der Klugheit und
Energie des Herrn Frere-Orban gelungen, den ungeschickten Angriff abzu¬
schlagen und in eine ziemlich offene Niederlage der napoleonischen Politik zu
verwandeln. Aber weder er noch Lord Clarendon haben viel Wesen von
ihrer Action gemacht, Graf Beust hat sich unberufen mit Rathschlägen ein¬
gedrängt, welche allgemeines Mißtrauen wachgerufen. Lord Ciarendon hat
über die ihm mitgetheilte Depesche seinen unverhohlensten Unwillen aus¬
gesprochen und in Paris war man wiederum von der Betonung der politischen
Unabhängigkeit Belgiens wenig erbaut, womit der franzosenfreundliche Rath
an das Brüsseler Cabinet verbrämt war. Der Reichskanzler hat wenig Grund,
sich über seine Einmischung zu beglückwünschen.

Die einzige Frage, in der wir seiner Haltung zustimmen und ihm besten
Erfolg wünschen, ist die des Verhältnisses zu Rom. Der Reichskanzler
scheint uns hier die einzig richtige Politik zu verfolgen, nämlich ohne Ver¬
handlungen mit Rom, die doch unnütz bleiben müssen, einseitig die gesetzliche
Regelung der confessionellen Verhältnisse im Interesse des Staates zu voll¬
ziehen, dabei aber sorgfältig sich jedes Actes zu enthalten, welcher dem Clerus
den Anschein eines Martyriums geben könnte und die katholische Bevölker-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 28, 1869, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341809_121220/235>, abgerufen am 26.08.2024.